Die SPD-Spitze um die Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken hat Berichten zufolge versucht, Olaf Scholz von einer erneuten Kanzlerkandidatur abzubringen. Wie der Tagesspiegel und das Portal t-online berichteten, sei Klingbeil bei Scholz im November vorstellig geworden, um ihm einen Verzicht nahezulegen. Allerdings habe Scholz nicht verzichten wollen.
Klingbeil habe die Bedenken der engeren SPD-Führung sowie aus SPD-Landesverbänden zum Ausdruck gebracht, die nach dem Bruch der Ampelkoalition für eine Kandidatur von Verteidigungsminister Boris Pistorius plädierten, berichtet der Tagesspiegel.
„Ich dementiere den Bericht. Die Darstellung ist falsch“, sagt eine Parteisprecherin
Auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung, ob es eine solche Verzichtsaufforderung gegeben habe, widersprach eine Parteisprecherin: „Ich dementiere den Bericht. Die Darstellung ist falsch.“ Zugleich bestätigte sie, dass es damals Gespräche der Parteispitze mit Scholz gegeben habe.
Auf mehrfache Nachfrage, ob man auch eine an Scholz gerichtete Aufforderung zum Verzicht explizit dementiere, wurde auf das allgemeine Dementi verwiesen. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch, der auch am Entscheidungsprozess beteiligt war, ließ die Berichte ebenfalls allgemein dementieren. Die Nachfrage, ob Scholz je ein Verzicht auf die Kandidatur nahegelegt worden sei, blieb unbeantwortet. SPD-Co-Chefin Esken sagte am Rande eines Wahlkampftermins in Bayern, der Medienbericht sei eine „sehr, sehr wilde Räuberpistole“. Scholz selbst erklärte am Mittwochnachmittag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dass es ein Gespräch mit Klingbeil über seinen Rückzug als Kandidat nie gegeben habe. Und fügte hinzu: „Und ich müsste es ja wissen.“
Scholz’ Beliebtheitswerte sind schlecht
Es gab schon früher Spekulationen in der Partei darüber, dass mit Scholz ein Verzicht erörtert worden sei. Aber es war immer klar, dass die Partei den Kanzler nicht stürzen würde, er zog immer wieder Parallelen zu seiner Aufholjagd 2021. Ein Parteistratege meinte zum Durchsickern solcher Informationen zum jetzigen Zeitpunkt, dass die Operation „Rette sich wer kann“ begonnen habe. Eine Erzählung, Scholz habe eben nicht weichen wollen, helfe, wenn das Ergebnis erwartbar schlecht ausfallen sollte.
Meinungsforscher halten es inzwischen für ausgeschlossen, dass der SPD mit Scholz noch eine Aufholjagd gelingen kann, seine persönlichen Zustimmungswerte sind niedrig. Das ZDF-„Politbarometer“ ermittelte dazu die schlechtesten je gemessenen Werte für eine Bundesregierung.
SPD-Chef Klingbeil wird nach der Wahl am 23. Februar eine wichtige Rolle zugesprochen. Falls die SPD nicht die stärkste Kraft wird und Scholz das Kanzleramt verliert, könnte Klingbeil bei einer Koalition mit der Union Vizekanzler werden.
Aber auch Pistorius, weiter beliebtester Politiker im Land, dürfte an Einfluss gewinnen. Allerdings droht der SPD auch das schlechteste Ergebnis im Bund in ihrer Geschichte – sollte es so weit kommen, könnte es auch für Klingbeil und Esken ungemütlich werden. Im Falle größerer Turbulenzen und Rücktritten wird vor allem die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger für höchste Aufgaben in der Partei gehandelt.
Boris Pistorius hielt sich für einen geeigneten Kanzlerkandidaten – aber nur, sollte Scholz verzichten
Während einer Reise von Olaf Scholz zum G-20-Gipfel in Rio de Janeiro war im November die Kandidaten-Debatte in der SPD offen ausgebrochen. Zahlreiche SPD-Politiker sprachen sich für eine Kandidatur von Boris Pistorius aus, die Parteispitze versuchte die Diskussion einzudämmen und stärkte Scholz den Rücken.
Pistorius hielt sich tagelang eine Kandidatur offen, sagte, nur das Amt des Papstes könne er für sich ausschließen. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte Pistorius jüngst dazu: „Stellen Sie sich vor, ich hätte gesagt: ‚Ich schließe für mich aus, jemals als Kanzlerkandidat zur Verfügung zu stehen.‘ Und eine Woche später hätte Olaf Scholz, aus welchen Gründen auch immer, überraschend erklärt, dass er nicht kandidieren würde.“ Dann hätte er, Pistorius, seine Aussage zurücknehmen müssen, „oder man hätte auf mich nicht mehr zukommen können“. Das sei doch ein Paradebeispiel dafür, warum man vorsichtig sein sollte, etwas von vornherein komplett auszuschließen.
Am 21. November nahm sich Pistorius selbst aus dem Spiel, nachdem klar war, dass Scholz nicht verzichten würde. In einer Videobotschaft an die SPD-Mitglieder erklärte Pistorius, dass er „nicht zur Verfügung stehe“ für die Kandidatur um das Amt des Bundeskanzlers. „Das ist meine souveräne, meine persönliche und ganz eigene Entscheidung“, sagte Pistorius.