Süddeutsche Zeitung

Kanzlerdebatte:Scholz schadet sich selbst und der SPD

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Der Vizekanzler fühlt sich kandidatentauglich. Doch die von ihm losgetretene Debatte untergräbt die Autorität der Parteivorsitzenden Nahles. Die SPD wieder aufzurichten, wird so nicht leichter.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Vor drei Jahren hatte Olaf Scholz noch eine klare Meinung zur Hierarchie in seiner Partei: "Der SPD-Vorsitzende ist der natürliche Kanzlerkandidat", sagte der damalige Hamburger Bürgermeister seinerzeit. Die Sozialdemokraten seien eine solidarische Partei, an deren Spitze Zusammenhalt herrsche. Letzteres war schon immer eine idyllisierende Beschreibung von politischer Konkurrenz, wenn auch nicht nur, was die Zustände in der SPD betrifft. Seit diesem Wochenende gelten auch Scholz' damalige Äußerungen über den Status eines Vorsitzenden nicht mehr. Jedenfalls nicht für ihn.

Man kann streiten, wie sinnvoll es für die SPD ist, sich in ihrer aktuellen Lage Gedanken über einen Kanzlerkandidaten zu machen. Andererseits hat es auch mit der Selbstachtung einer traditionsreichen Partei zu tun, den Regierungsanspruch nicht dranzugeben. Das gilt umso mehr, als sich Stimmungen heute sehr schnell ändern, in die eine wie in die andere Richtung - schlag nach bei Martin Schulz. Das eigentlich Irritierende an den Äußerungen von Olaf Scholz, mit denen er sich unmissverständlich als Kanzlerkandidat beworben hat, ist aber sein Umgang mit der SPD-Vorsitzenden: Andrea Nahles spielt bei ihm keine Rolle mehr, nicht als Kandidatin, nicht einmal als Kandidatenmacherin. Sie findet überhaupt keine Erwähnung mehr.

Es mag schon sein, dass Nahles' demoskopische Werte derzeit nicht an die von Scholz heranreichen. Und es ist ganz sicher so, dass Nahles schon Schwierigkeiten hat, ihren Führungsanspruch als Vorsitzende in Partei und Fraktion durchzusetzen. Aber was gerade eine Vorsitzende, die um ihre Autorität ringt, brauchen kann wie Zahnweh, ist ein Stellvertreter, der sie in öffentlichen Äußerungen ignoriert; einen Vizekanzler, der sagt, wenn Annegret Kramp-Karrenbauer sich die Kanzlerschaft zutraue, dann gelte das auch für ihn - der also seine Ambition nicht von der eigenen Parteichefin ableitet, sondern über die neue Vorsitzende der wichtigsten Konkurrenzpartei. Wer soll Andrea Nahles noch ernst nehmen, wenn sie von ihrem wichtigsten Verbündeten nicht mehr ernst genommen wird?

Scholz hat als Minister und als Ministerpräsident bewiesen, dass er das Handwerk des Regierens kann. Allerdings gilt das für Nahles auch, die als Arbeitsministerin selbst Kritiker überraschte. Scholz hat den Parteivorsitz stets gemieden, Nahles nicht. Ohne ihren lautstarken Einsatz für die große Koalition wäre er heute gar nicht Vizekanzler. Nahles hat Fehler gemacht, den schwersten im Fall Maaßen. Doch hat sie da auch ihre Fähigkeit zur Selbstkritik gezeigt, auf die man bei Olaf Scholz und seinem wesentlich gravierenderen G-20-Desaster lange warten musste.

Es ist gut möglich, dass Scholz und Nahles die Kandidatenfrage längst unter sich ausgemacht haben. Doch selbst wenn eine Vorsitzende nicht die natürliche Kandidatin ist, sollte sie zumindest die natürliche Herrin des Verfahrens bleiben. Auch das ist nach Scholz' Äußerungen nicht mehr gegeben. Eine Vorsitzende, die ihn vorschlägt, ist nun immer eine Vorsitzende, die sich seinen Wünschen fügt.

Im übrigen schadet sich Scholz mit Nahles' Desavouierung auch selbst. Ohne die Partei wird selbst ein Olaf Scholz keine Wahl gewinnen. Die SPD in ihrem desolaten Zustand aufzurichten, wird jedoch nicht leichter, wenn sie ein nicht gewählter Vorsitzender zu dominieren versucht, indem er die eigentliche Chefin zu einer bloßen politischen Hilfskraft degradiert.

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Quelle:
SZ vom 08.01.2019
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