Scholz-Interview:"Verfassungsbruch ist offenkundig"

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Rupert Scholz, Verfassungsrechtler und CDU-Bundestagsabgeordneter, über die Entscheidung des Bundespräsidenten Johannes Rau, das Zuwanderungsgesetz zu unterzeichnen.

Thorsten Denkler, Berlin

sueddeutsche.de: Herr Scholz, Bundespräsident Johannes Rau hat das Zuwanderungsgesetz unterzeichnet. Die Union und insbesondere Sie selbst haben ihn immer wieder davor gewarnt. Sind sie überrascht?

Rupert Scholz, Verfassungsrechtler und CDU-Bundestagsabgeordneter (Foto: N/A)

Rupert Scholz: Das würde ich so nicht sagen. Vielleicht in dem Sinne, dass der Präsident davon gesprochen hat, dass in dieser Verfassungsfrage beide Positionen gute Argumente hätten. Das ist nicht nachvollziehbar. Es gibt eine eindeutig herrschende Meinung in der Literatur, die ganz klar sagt, der Artikel 51, Absatz drei des Grundgesetzes fordert die einheitliche Stimmabgabe. Andernfalls sind diese Stimmen ungültig.

sueddeutsche.de: Es gibt dennoch Verfassungsrechtler, die die Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten in den Vordergrund stellen. Sie sagen, Stolpe habe auf die Dritte Nachfrage des Bundesratspräsidenten Klaus Wowereit mit ja geantwortet, es gab keine gegenteilige Reaktion mehr, also seien die Stimmen gültig.

Scholz: Die Zahl derjenigen, die diese Auffassung vertreten, ist verschwindend gering. Nun muss man wissen, dass das Landesverfassungsrecht überhaupt keine Rolle bei Bundesratsentscheidungen spielt, die sich allein auf das Grundgesetz stützen dürfen. Die Argumentation ist auch unlogisch.

Bei der ersten Stimmabgabe hat Sozialminister Alwin Ziel mit Ja und Jörg Schönbohm mit Nein gestimmt. Wenn Rau die Richtlinienkompetenz für eine plausible, diskutable Position hält, dann hätte er den Minister Jörg Schönbohm auch in seiner Rolle als stellvertretenden Ministerpräsidenten von Brandenburg sehen müssen. Im Moment der ersten Stimmabgabe hat Schönbohm die Richtlinienkompetenz ausgeübt.

Stolpe hat sich ja bekanntlich in diesem Moment noch herausgehalten. In der Logik dieser Argumentation wäre Brandenburgs Stimme nicht nur ungültig, sondern als Nein zu werten gewesen. Dies hat Rau dies nicht berücksichtigt. Das ist bedauerlich.

sueddeutsche.de: Aber auch Sie räumen ein, es gibt unterschiedliche Auffassungen. Rau aber sagt, er müsse davon überzeugt sein, dass ein Gesetz zweifelsfrei und offenkundig gegen Verfassungsrecht verstoße. Dies aber sein für ihn nicht gegeben. Ist das für Sie nicht nachvollziehbar?

Scholz: Nein, aus den eben genannten Gründen nicht. Rau hat die Staatspraxis und die Bundespräsidenten Carstens und Herzog zitiert ...

sueddeutsche.de: ...die in ihrer Amtszeit mit der selben Begründung strittige Gesetze unterschrieben haben...

Scholz: ...nur in diesem Fall ist der Verfassungsbruch zweifelsfrei und offenkundig.

sueddeutsche.de: Rau sagt auch, es sei nicht seine Aufgabe, in dieser schwierigen Frage eine letztgültige Entscheidung zu fällen.

Scholz: Der Bundespräsident muss das Grundgesetz nicht auslegen. Er muss es anwenden. Es ist an dieser Stelle eindeutig. Und die Literaturmeinung ist ebenfalls eindeutig. Die Offenkundigkeit ist also gegeben.

sueddeutsche.de: Sollte man in Zukunft alle Verfassungsrechtler in einen großen Saal sperren und sie per Mehrheitsvotum entscheiden lassen, welche Gesetze der Bundespräsident unterschreiben darf, und welche nicht?

Scholz: Natürlich nicht. Aber in diesem Fall gibt es eine einhellige Meinung. Es gibt in der Literatur nur vereinzelte Stimmen, die die Richtlinienkompetenz als eine erwägenswerte Überlegung bezeichnet haben. Punkt. Es gibt also keine wirklichen Voten. Die jüngeren Äußerungen zu diesem Thema sind politisch zu werten.

sueddeutsche.de: Ist es nicht dennoch begrüßenswert, dass jetzt der Weg zum Verfassungsgericht frei ist, um diese Frage ein für allemal zu klären?

Scholz: Bisher war dies nicht nötig. Das Grundgesetz ist, wie gesagt, eindeutig. Aber natürlich, das Bundesverfassungsgericht wird mit Sicherheit von den Unions-geführten Ländern angerufen werden. Aber man muss auch sehen, dass diese Entscheidung des Bundespräsidenten zu einer gefährlichen Rechtsunsicherheit führt.

Es gibt Bundesländer, die kennen keine Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten. Da stellt sich schon die Frage, was im Bundesrat gelten soll. Ich fürchte, dass hier ein großer Schaden entstanden ist. Denn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wird einige Zeit in Anspruch nehmen.

sueddeutsche.de: Spricht das nicht für einen Eilantrag?

Scholz: Sie können einen Eilantrag nur in Bezug auf das konkrete Gesetz begründen, um das es hier geht. Und das tritt erst am 1. Januar 2003 in Kraft.

sueddeutsche.de: Rechnen Sie mit einer Entscheidung noch vor Jahresfrist?

Scholz: Das kann man nur hoffen. Aber das Gericht ist, wie man weiß, frei in seiner Terminierung.

sueddeutsche.de: Der Bundespräsident hat in seltener Deutlichkeit das Verhalten der Parteien an jenem denkwürdigen 22. März im Bundesrat gerügt. In wie weit muss sich die Union diesen Schuh anziehen?

Scholz: Er hat namentlich Herrn Stolpe und Herrn Schönbohm gerügt. Da hätte ich mir gewünscht, dass er auch eine Rüge an den Bundesratspräsidenten Herrn Wowereit ausgesprochen hätte. Denn Herr Wowereit ist für das ganze Desaster letztlich verantwortlich.

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