Wahlkampf:Der Kanzler und der „Hofnarr“

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Joe Chialo (CDU) ist seit fast zwei Jahren Berliner Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. (Foto: Soeren Stache/picture alliance/dpa)

Olaf Scholz würdigt den Berliner CDU-Kultursenator Joe Chialo auf einer Geburtstagsparty herab, es folgen Rassismusvorwürfe. Der Kanzler wehrt sich entschieden. Und spricht sich mit Chialo aus.

Von Georg Ismar, Berlin

Es ist eine illustre Runde, die sich am Abend des 2. Februar im Berlin Capital Club versammelt hat. Der bestens in der Hauptstadt vernetzte Unternehmer Harald Christ hat zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen. Er war lange Mitglied in der SPD, dann in der FDP, wo er zum Schatzmeister aufstieg und den Ampel-Koalitionsvertrag mit verhandelte. Aber nach der D-Day-Affäre trat er aus der FDP aus. Rund 300 Gäste sind in den Capital Club gekommen, auch der Bundeskanzler mit seiner Frau und Berlins Kultursenator Joe Chialo.

Dazu Bundesminister und Vertreter aus allen Parteien der demokratischen Mitte, Wirtschaft, Kultur und Medien. Anfangs wird vom Gastgeber auf den rein privaten Charakter hingewiesen, keine Berichterstattung in Wort oder Bild. Alles soll sozusagen im Capital Club bleiben, Olaf Scholz wird von Teilnehmern als locker beschrieben, aber natürlich spielt der Wahlkampf eine Rolle.

Der Begriff „Hofnarr“ sei im Sprachgebrauch nicht rassistisch konnotiert, erklärt Scholz

Zugegen ist auch der Chefredakteur des Magazins Focus, Georg Meck. Und er erlebt eine Szene, die ihn dazu verleitet, doch zu berichten. Scholz habe der Union mit ihrem Kanzlerkandidaten unterstellt, nach den jüngsten Entwicklungen im Bundestag womöglich ein Bündnis mit der AfD nach der Wahl am 23. Februar anzustreben. Da Merz ja im Streit um Asylverschärfungen auch sein Wort gebrochen habe, keine Zustimmung für eigene Anträge oder Gesetzesentwürfe mithilfe der AfD im Bundestag zu suchen.

Als der schwarze CDU-Politiker Joe Chialo sich dagegen verwahrte, die CDU in eine rassistische Ecke zu stellen, habe Scholz ihm unter anderem vorgeworfen, er sei „nicht mehr als ein Feigenblatt“, heißt es in dem Bericht. Und Meck schildert das Weitere dann so: „Jede Partei hat ihren Hofnarren“, habe der Kanzler an Chialo gerichtet gesagt. „Ungläubige Blicke in der Runde. Ein Moment zum Fremdschämen. Ruhig setzte Chialo zur Widerrede an, Scholz die Chance zur Korrektur gebend. Vergebens. Der Kanzler wiederholte das Wort vom ,Hofnarren‘. Eine Schmähung ausgerechnet für einen Mann, der mit seiner Familie von Rassisten bedroht wird, dessen Wohnhaus in Berlin von Antisemiten beschmiert wurde.“

Chialos Sprecher bestätigte „einen Vorfall“. Auf Anfrage verschickte die SPD eine Stellungnahme von Olaf Scholz. In einem Gespräch auf der privaten Geburtstagsfeier zwischen ihm und einem Journalisten sei es zunächst wie geschildert um das gemeinsame Abstimmungsverhalten von CDU/CSU und AfD im Deutschen Bundestag gegangen. „Dies habe ich in dem Gespräch als Tabubruch bezeichnet. Des Weiteren ging es um die Frage, ob sich das wiederholen könne und wer innerhalb der CDU diesen Tabubruch überhaupt offen thematisiere“, so Scholz.

Auf den Hinweis, dass es auch liberale Stimmen in der CDU gebe, habe Scholz entgegnet, dass sich nur sehr wenige liberale Stimmen in der CDU gegen das Verhalten des CDU-Vorsitzenden gestellt und kritisch zu Wort gemeldet hätten. „Der dabei von mir verwandte Begriff (gemeint ist: ‚Hofnarr‘, Anm.d.Red.) ist im Sprachgebrauch nicht rassistisch konnotiert und war von mir auch nie so intendiert. Der erhobene Vorwurf des Rassismus ist absurd und künstlich konstruiert.“ Persönlich schätze er Joe Chialo „gerade als eine wichtige liberale Stimme in der Union“, betonte Scholz.

Scholz rief Chialo persönlich auch dazu an. Chialo sagte nach dem Telefonat, er sehe Scholz nicht als Rassisten, diese habe in dem Gespräch bedauert, dass seine Aussagen als rassistisch verstanden worden seien. "Daran, dass seine Worte herabwürdigend und verletzend waren, ändert dies jedoch nichts", betonte Chialo.

Der Kanzler beauftragte zugleich den Medienanwalt Christian Schertz damit, rechtliche Schritte gegen den Focus einzuleiten, weil eine Passage im Text den Eindruck einer rassistischen Beleidigung habe aufkommen lassen. Dies verletze die Persönlichkeitsrechte von Olaf Scholz in hohem Maße, hieß es in einer Erklärung.

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sagte am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Neubrandenburg, es habe ihn „wirklich sprachlos gemacht“, als er von dem Vorfall erfahren habe. „Das ist der Bundeskanzler, der immer Respekt beansprucht, offensichtlich aber nur für sich selbst.“ Scholz müsse selbst entscheiden, ob er sich entschuldigt. Der Vorfall „wirft ein Licht auch auf seinen Umgang und sein Verhalten, auch auf sein Sozialverhalten.“

Gastgeber Harald Christ sagte hingegen der Süddeutschen Zeitung: „Ich kenne Olaf Scholz lange und gut genug, um zu sagen: Es ist absurd, den Bundeskanzler in die Ecke eines Rassisten zu rücken.“ Als es zu dem Dialog zwischen Scholz und Chialo gekommen sein soll, sei er aber nicht zugegen gewesen, sagte Christ. Er habe in seiner Begrüßung unterstrichen: „Die Voraussetzung für einen Abend, bei dem offen miteinander geredet werden darf und soll, ist, dass über persönliche Gespräche öffentlich nicht berichtet wird. Das war mir gerade in diesen polarisierten Zeiten wichtig, um einen geschützten Raum für kontroverse Gespräche zu schaffen.“

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