Scholz zum Kanzler gewählt:Fröhlicher Start, gut gelaunter Abschied

Wenige Worte, kleine Gesten und ein sehr stolzes Grinsen: Olaf Scholz hat es geschafft. Der Sozialdemokrat ist zum neunten Kanzler gewählt worden. Bei Grünen, Liberalen und SPD sieht man viele fröhliche Gesichter - und die scheidende Kanzlerin lächelt auf der Tribüne.

Von Stefan Braun, Berlin

Er hat es geschafft, er ist gewählt, eine Mehrheit hat für ihn die Stimme abgegeben. 395 Abgeordnete, verkündet Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Das reicht, es reicht locker, auch wenn nicht alle der 416 künftigen Ampel-Parlamentarier für ihn votiert haben. Manche sind krank, manche haben vielleicht doch noch gegrummelt. In der Sekunde des Erfolgs spielt das fürs Erste aber keine Rolle. Olaf Scholz ist neuer Kanzler, in Deutschland beginnt eine neue Zeitrechnung.

Offen lachen - das macht Scholz selten bis nie. Leise schmunzeln - das macht er gerne. Und das bekommen jetzt auch die mehr als 700 Abgeordneten zu sehen. Stolz wie Bolle wirkt er, könnte man in Berlin sagen. Wäre Scholz kein Hanseat, würde das jetzt ideal passen. Sogar ein bisschen Winken ins große Rund gibt es als Zugabe.

Es folgt rauschender Beifall. So wie immer, wenn da ein Neuer (oder eine Neue) zum Kanzler gewählt wird. Alle tun das jetzt im großen Rund, es gehört zum höflichen Ritual des Parlamentarismus, dass auch die Opposition in diesem Moment mitmacht. Nur die AfD verzichtet - was nichts wirklich Neues ist in solchen Momenten.

Danach kommt die Gratulationstour. Viele wollen jetzt diese Hand schütteln, alle wollen zeigen, dass sie den neuen Kanzler anerkennen. Als Erstes der eigene Fraktionschef Rolf Mützenich, danach Ralph Brinkhaus, der Unionsfraktionschef, und dann kommen alle anderen. Der künftige Vizekanzler Robert Habeck, der künftige Vize-Vizekanzler Christian Lindner, und danach so ziemlich alle aus den Reihen der Ampel-Parteien. Überraschend ist daran wenig.

Bemerkenswert aber ist, dass auch der traurige Verlierer Armin Laschet (CDU) dazuzählt. Schon als Dritter steht er beim neuen Kanzler. Überhaupt zeigt der künftige einfache Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen, wie verlieren aussehen sollte. Höflich, freundlich, zugewandt und auf keinen Fall beleidigt. Laschet, der Ex-Ministerpräsident und Ex-Kanzlerkandidat, demonstriert an diesem Morgen, wie gut und anständig das laufen kann. Auch wenn ihm im eigenen Herzen an diesem Tag nicht zum Lachen zumute sein wird.

Andere dagegen haben allen Grund, ihr Glück an diesem Tag auszukosten. Das lässt sich an diesem Morgen von der ersten Minute an studieren. Ein bisschen abstrus sieht das zwar immer wieder aus hinter den vielen weißen, grauen oder schwarzen Masken. Das Lachen aber und die leuchtenden Augen sind auch durch Masken nicht zu verbergen. Da drückt der SPD-Minister Hubertus Heil den Neu-Justizminister Marco Buschmann; da plaudert der designierte SPD-Chef Lars Klingbeil mit der Bald-Außenministerin Annalena Baerbock, und da stehen Claudia Roth und Olaf Scholz zusammen, um ein paar gut gelaunte Worte auszutauschen.

Merkel steht auf, sie winkt - und freut sich sichtlich über den Beifall

Naturgemäß macht das vor allem jenen Freude, die künftig regieren werden: Grüne, Liberale, Sozialdemokraten. Den ersten großen Applaus des Tages aber bekommt nicht die neue Ampel, sondern die scheidende Regierungschefin. Angela Merkel, 16 Jahre Kanzlerin, darf zwar nicht mehr unten im Plenarsaal mit dabei sein; sie gehört dem neuen Parlament nicht mehr an. Aber sie hat auf der Tribüne Platz genommen. Und als die Bundestagspräsidentin sie - kaum ist die Sitzung eröffnet - begrüßt, brandet breiter Beifall auf. Erst in den Reihen der Union, dann bei allen im Saal (einzige Ausnahme, natürlich: die AfD). Merkel steht auf, sie winkt, sie freut sich sichtlich über den finalen Beifall.

Neben ihr haben der frühere Bundespräsident Joachim Gauck und der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert Platz genommen. Hinter ihr sitzen mehrere künftige Ministerinnen, dazu ehemalige Parlamentarier - und bei all dem ist eine scheidende Kanzlerin zu beobachten, die plaudert, die fröhlich wirkt, die offensichtlich froh ist über einen aus ihrer Sicht geglückten Ausstieg.

Für Scholz ist es ein langer, ein wilder, ein mühsamer Weg gewesen. Noch im Frühjahr lag der damals trotzig weiterkämpfende SPD-Kanzlerkandidat weit zurück, und nur wenige hätten noch auf einen Sieg des Sozialdemokraten gewettet. Nun hat er es doch geschafft, ist gewählt und darf auf die entscheidende Frage der Bundestagspräsidentin, ob er denn die Wahl annehme, das eine mächtige Wort sagen: "Ja!"

Dann muss er eilen. In den kommenden Stunden wird es schnell hin und her gehen. Erst düst Scholz ins Schloss Bellevue, um vom Bundespräsidenten ernannt zu werden. Dann geht es zurück in den Bundestag, um den Eid auf die Verfassung abzulegen, wieder zurück zu Frank-Walter Steinmeier, die Ministerinnen und Minister müssen ihre Urkunde erhalten, um anschließend im Bundestag auch ihren Eid zu leisten. Ein wilder Tag der Wechsel, ein glücklicher Tag für den neuen Kanzler, ein spannender Neuanfang fürs Land.

Und ein Akteur, der froh sein kann, dass es auch für ihn bis hierher ziemlich perfekt läuft. Gemeint ist der Bundespräsident, der sich nach diesem Tag berechtigte Hoffnungen machen kann, im Februar noch einmal gewählt zu werden. Offene Freude zeigt er nicht, kann er nicht zeigen. Still zufrieden aber dürfte er wohl sein, wenn das Kommen und Gehen im Schloss Bellevue an diesem Tag vorbei ist.

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