Der Abschied war kurz. Ob er auch ganz schmerzlos verlief, ist nicht gewiss. Tränen seien jedenfalls keine geflossen, versicherte Regierungssprecher Steffen Hebestreit im Anschluss. Keine 20 Minuten hat die letzte von Bundeskanzler Olaf Scholz geleitete Kabinettssitzung gedauert. Auf der Tagesordnung stand die „Verordnung zur Bestimmung des Rentenwerts in der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Bestimmung weiterer Werte zum 1. Juli 2025“. Beschlossen ist damit eine Rentenerhöhung von 3,74 Prozent. Das fügte sich, immerhin war eine sichere Rente dem Sozialdemokraten Scholz immer ein Anliegen.
Natürlich sei allen im Kabinettssaal bewusst gewesen, dass man sich zum letzten Mal „in diesem Rahmen“ treffe, dass da „jetzt etwas endet, was man ja doch mit großem Engagement und Herzblut betrieben hat“, beschrieb es der Regierungssprecher. Von einem „emotionalen Höhepunkt“ wollte Hebestreit allerdings dann doch nicht sprechen; alles sei eher „hanseatisch nüchtern“ abgelaufen. Der Kanzler habe zum Abschluss ein paar wertschätzende Worte für seine Ministerinnen und Minister sowie die Mitarbeiter gefunden. In Vertretung des krankgemeldeten Vizekanzlers Robert Habeck erwiderte Außenministerin Annalena Baerbock den Dank vonseiten der Grünen.
Am Montagabend ist noch Zapfenstreich, am Dienstag dann Amtsübergabe
Nach 131 Kabinettssitzungen, 1778 Kabinettsvorlagen – darunter 361 Gesetzentwürfe, 186 Verordnungen und 35 allgemeine Verwaltungsvorschriften – war es das dann. Am kommenden Montagabend noch ein Zapfenstreich, Scholz hat sich dafür die Songs „Respect“, „In My Life“ sowie Musik von Johann Sebastian Bach gewünscht. Am Dienstag dann die Amtsübergabe. Scholz hat vorher noch ein paar Termine, beim Evangelischen Kirchentag etwa. Am Mittwoch traf er sich noch einmal mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Abendessen in Paris. Der vierte sozialdemokratische Kanzler verabschiedet sich eher leise. Scholz gibt erst einmal keine großen Abschiedsinterviews, in denen er tiefe Einblicke in sein derzeitiges Befinden gewähren würde.

Darüber, wie es um die Gefühlslage von Scholz bestellt ist, kann man deshalb nur mutmaßen. In seinem Umfeld heißt es, zu einem gewissen Teil sei der – nur noch geschäftsführende – Kanzler erleichtert, dass die lange Lame-Duck-Phase zwischen dem Bruch seiner Regierung Anfang November und seinem tatsächlichen Ausscheiden aus dem Amt nun zu Ende gehe. Sehr sichtbar wurde ja zuletzt, dass sich die gesamte Aufmerksamkeit und die Erwartungen auf den CDU-Mann Friedrich Merz richteten, während Scholz zwar noch im Kanzleramt, aber weitgehend im Schatten saß.
Hätte es alles anders laufen können?
In diesem Schatten dürfte sich Scholz mit der Frage beschäftigt haben, ob er vielleicht noch länger hätte Kanzler bleiben können, wenn er anders gehandelt hätte. Ob er also durch andere Entscheidungen hätte verhindern können, Chef einer vorzeitig zerbrochenen Regierung zu werden. In seinem ersten Interview nach dem Bruch der Ampel sagte Scholz der SZ: „Ich hätte vielleicht schneller feststellen müssen, ab wann es so nicht mehr weitergehen kann. Womöglich hätte ich die Entscheidung, den Finanzminister zu entlassen, auch früher treffen müssen.“ Damit hätte er das Ende seiner eigenen Regierung allerdings nur beschleunigt, nicht verhindert.
Nun, bei nüchterner Betrachtung, fragt sich Scholz womöglich, ob er einen Bruch ganz hätte vermeiden können. Auf das größte Ereignis seiner Kanzlerschaft, den Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022, hatte Scholz freilich keinen Einfluss. Bleibt die Frage, ob seine Kanzlerschaft anders verlaufen wäre, wenn er als Reaktion auf die von ihm sogenannte Zeitenwende seine Koalition noch einmal ganz neu aufgestellt hätte für die neue Zeit, unter anderem mit einer Zusage der FDP, deutlich mehr Geld für die Stärkung der Bundeswehr und die Unterstützung der Ukraine zu mobilisieren. Die Frage ist allerdings auch eher theoretisch; die harte Haltung der FDP war immer klar.
Eine gewisse Genugtuung soll der scheidende Kanzler aber doch empfinden, aus zwei Gründen. Zum einen scheint er mit sich und seiner Entscheidung, noch einmal anzutreten, im Reinen zu sein. Zwar hat die SPD mit ihm als Kanzlerkandidaten ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren, aber immerhin soll Scholz der Meinung sein, alles gegeben zu haben. Und zweitens soll der Noch-Kanzler mit einer gewissen Genugtuung beobachtet haben, dass die neue, schwarz-rote Regierung nun genau das umsetzt, was Scholz im Wahlkampf gefordert hat: mehr Geld für Bundeswehr und Ukraine, ohne deswegen in großem Stil in anderen Ressorts zu kürzen.
Nach dem Ende seiner Kanzlerschaft am kommenden Dienstag wird Olaf Scholz in der Politik bleiben und auf seinem Sitz im Bundestag Platz nehmen – allerdings auf dem Stuhl eines Abgeordneten und nicht mehr im Kanzlersessel. Scholz hat seinen Wahlkreis Potsdam direkt gewonnen, den Auftrag der Wählerinnen und Wähler als einziger direkt gewählter Sozialdemokrat im Osten will er nun auch ausführen. Ein Urlaub ist angeblich erst einmal nicht geplant. Der Wechsel ins neue Leben kommt, wie Hebestreit es formuliert, auch nicht aus „vollstem Lauf“. Im Kanzleramt sei es in den vergangenen Wochen ja schon deutlich ruhiger zugegangen.