Schmidt, Steinbrück und die SPD:Anleitung zum Kanzlerwerden

Helmut Schmidt und Peer Steinbrück sind Freunde, Schachpartner, Brüder im Geiste. Schon erhält der Ex-Finanzminister dasselbe Klischee wie der Altkanzler: "Heller Kopf, aber in der falschen Partei." Doch wenn Steinbrück wirklich Kanzlerkandidat der SPD werden will, muss er auch diejenigen erreichen, die ihn bisher nur "den Herrn Steinbrück" nennen.

Klaus Bölling

Politik als Schachspiel - das ist eine bis auf die Knochen abgemagerte Metapher. Ganz unbrauchbar ist sie deshalb nicht. Aus Respekt vor dem erheblich Älteren hat Peer Steinbrück remonstriert, als sein Hamburger Freund bei Günther Jauch lächelnd eingestand, dass er von dem Jüngeren beim königlichen Spiel häufig mattgesetzt wird.

Altkanzler Helmut Schmidt und Peer Steinbrück

Altkanzler und Wunschkanzler: Schmidt (re.) hat Steinbrück als Kandidaten vorgeschlagen. Der muss jetzt Geduld haben und auch diejenigen überzeugen, die in ihm bisher nur "den Herrn Steinbrück" sehen.

(Foto: dpa)

Dabei ist Helmut Schmidt kein leichter Gegner. Wenn das neue Buch der beiden konservativen Sozialdemokraten "Zug um Zug" betitelt ist, so kann man, um im Bild zu bleiben, dem Jüngeren zutrauen, dass er die Figuren manchmal schneller bewegt als sein seigneurales Gegenüber. Mit dem Alter von Schmidt hat das nichts zu tun. Steinbrück ist ganz einfach eine ungewöhnliche Schachbegabung und nach Schmidts Meinung einer von denen, die auch in dem schönsten und schwersten Amt dieser Republik wohlüberlegt die richtigen Züge wissen. Ob er in diesem Amt eines Tages auch Schmidts Erwartungen entspricht? Eine Lieblingswendung von Schmidt lautet: "remains to be seen". Bleibt abzuwarten.

Könnte es sein, dass der in jungen Jahren im Bundeskanzleramt ungemein fleißige "Hilfsreferent" Steinbrück mit seiner scharfen, von einigen Genossen als einschüchternd erlebten Intelligenz versucht ist, in den Sphären der Politik gelegentlich die Geschwindigkeitsgrenzen zu überschreiten? Da muss er achtgeben. Man kann leicht sagen, dass die zwei Hanseaten jedweder quasi-linken Ideologie abgeneigt sind. Aber was heißt das schon? Wo sind deren Anhänger in der SPD heute noch durch Persönlichkeiten (wie Erhard Eppler) vertreten, welche die Phantasie der Wähler in der Mitte, erst recht die der Stammwähler positiv befeuern?

Es trifft zu, dass Helmut Schmidt, der sich in der Öffentlichkeit kaum je zu den zeitweilig so unersprießlichen Vorgängen im Führungszirkel der SPD geäußert hat, von dem Höllensturz seiner Partei am Abend des 9. September 2009 tief bedrückt war. Die Leistung von Sigmar Gabriel, die SPD aus dem Keller herausgeholt zu haben, wird von Schmidt ausdrücklich gewürdigt. Mit Gabriel ist er in gutem Gespräch.

Mann mit falschem Parteibuch

Es ist noch immer so gewesen, dass der "Kanzler außer Dienst" von den eingefleischten Gegnern der SPD als der "Mann mit dem falschen Parteibuch" beschrieben und gleichsam für die CDU vereinnahmt worden ist. Und das mit Wonne. Nun wird Steinbrück vermutlich ein ganz ähnliches Klischee angeheftet werden. Steinbrück ist ein Mann, der bis heute die Agenda 2010 für eine zwingend notwendige Reformanstrengung des Kanzlers Schröder hält, auch hier akkurat auf der Position von Schmidt; und er ist ein Genosse, der nicht auf die Idee käme, seine Antwort auf den Brief eines immer noch über die Agenda entrüsteten Genossen aus einem westfälischen Ortsverein "Mit sozialistischen Grüßen" zu unterschreiben. Er glaubt an das Urprinzip der SPD, und das heißt seit bald 150 Jahren Solidarität. Er sagt geradezu, dass er Eliten fördern will. Dieses Wort ist manchen Funktionären immer noch höchst verdächtig. Denen missfällt auch, dass Steinbrück in der sozialen Unterschicht kein Wählerreservoir für die SPD erkennen kann. Gerechtigkeit für die Schwachen und Beistand des Staates muss es selbstredend geben, zugleich eine Politik, die Leistung erwartet und belohnt. Das sind Selbstverständlichkeiten.

Die geistige Nähe zwischen den beiden Hamburgern erklärt sich bestimmt nicht zuletzt daraus, dass sie sich immer schon unzweideutig gegen den "Demokratischen Sozialismus" abgegrenzt haben: Schmidt gleich nach seinem Eintritt in die SPD. Das war ja der fundamentale und niemals überwundene Gegensatz zwischen Schmidt und Willy Brandt. Es ist tröstlich, dass sich die beiden zuletzt auf glaubhafte Weise versöhnt haben. Es blieb bei Schmidt eine ehrliche Bewunderung für den Charismatiker aus Lübeck.

Nun haben die französischen Sozialisten, mit einer sehr anderen Historie und einst "Studienrats"-Partei, soeben vorgeführt, wie man einige Millionen Landsleute für eine Vorwahl des Spitzenkandidaten gegen Sarkozy begeistern kann. Das darf man eine genuin demokratische Veranstaltung nennen. Nur taugt sie nicht für die SPD. In Frankreich hat die Parteivorsitzende Aubry ihren Genossen und Konkurrenten als schlappen und unberechenbaren Kerl verunglimpft. Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück gehen, bei allen und gewichtigen Unterschieden ihrer Biographien und Temperamente, durchaus freundschaftlich miteinander um. Jedenfalls würde sich keiner der beiden in die Rolle eines Duellanten drängen lassen.

Das Modell à la française - funktioniert für die SPD nicht

Hans-Jochen Vogel, der den demokratischen Prozess belebt sehen möchte, hat in seinem neuen Buch ("Wie wollen wir leben?", Gespräche mit Sandra Maischberger) ausgemalt, wie eine solche Urwahl ausfallen könnte. Der eine Kandidat erhält 55, der andere 45 Prozent der Stimmen. Dann könnten die anderen Parteien und die ganze Öffentlichkeit sagen: "Schaut her, den nominierten Kandidaten wollen nicht einmal 45 Prozent der eigenen Leute." Das Modell à la française ist reizvoll, aber für uns nicht tauglich.

Steinbrück hat sich, beinahe unmerklich, seiner Partei angenähert. Dazu mag ihm auch Schmidt geraten haben. Allerdings macht er keine Verbeugung vor jenen Genossen auf dem linken Flügel, die gelegentlich von "dem Herrn Steinbrück" sprechen. Helmut Schmidt hat früher einmal im Freundeskreis gesagt, dass er "bis zu meinem letzten Atemzug" Sozialdemokrat bleiben werde. Steinbrück muss eine solche Identifizierung, auch emotional, noch herstellen. Bis zu seiner wahrscheinlichen "Ausrufung" durch den Parteivorsitzenden ist das noch ein schwieriger Parcours, der viel Geduld und Selbstdisziplin verlangt.

Auch Überraschungen sind möglich. Was werden im Wahljahr 2013 die großen Themen für das Land sein? Mit Sicherheit sind es wirtschafts- und finanzpolitische Themen, die Zukunft unseres Sozialstaates. Die Kompetenz von Steinbrück wird auch in zwei Jahren gefragt sein. Er wird auf der Bühne bleiben müssen. Nur sollte er seine Auftritte künftig dosieren. Man scheut sich vor der Politikerphrase, die einfachen Parteimitglieder müssten "mitgenommen" werden. Das wollen neuerdings und immer, immer dringlicher Angela Merkels Gefolgsleute. Das erwarten erst recht die Ortsvereine der SPD. Wenn die SPD, wie Vogel rät, "ihre Arme immer wieder ausbreitet", werden im Herbst 2013 vielleicht auch die verlorenen Söhne hinter Steinbrück stehen. Oder doch hinter Steinmeier? Schließlich wollen sie doch alle zurück an die Macht.

Klaus Bölling, 83, ist Publizist und lebt in Berlin. Er war Regierungssprecher unter Kanzler Helmut Schmidt und 1981/82 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik in der DDR.

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