Süddeutsche Zeitung

Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner:Weder Bauer noch Knecht

Er gilt als "Roter Rambo": Ralf Stegner, Chef der Nord-SPD, ist Mensch gewordene Kante. In der eigenen Partei gefürchtet, kennt er beim politischen Gegner keine Gnade. Er ist ein Mann der Konfrontation, aber auch einer, der zu seinen Positionen steht. Doch nun überrascht er mit einer neuen Rolle.

Ralf Wiegand

Es war eine kleine Notiz im Zusammenhang mit einer großen Sache, es ging um den Fiskalpakt und darum, ob der Bundestag zustimmen würde. Bei der SPD rumorte die Parteilinke, forderte dies und jenes, aber dann meldeten die Zeitungen, dass auch die Sozialdemokraten mitmachen würden: Ralf Stegner, der Koordinator der Parteilinken, habe den Flügel auf Kurs gebracht und mit einem Kompromiss zur Einigung beigetragen.

Wie bitte? Kompromiss, Einigung, Ralf Stegner - alles in einem Satz? Gibt es da etwa noch einen Politiker in der SPD mit diesem Namen, nicht nur diesen Landesvorsitzenden aus Schleswig-Holstein, der sich in einem politischen Leben den Namen Kampfnamen "Roter Rambo" verdiente, weil er so kompromisslos in der Sache war? Und dieser Ralf Stegner betreibt nun glanzlose Cafeteria-Diplomatie?

Dieser Ralf Stegner, 52 Jahre alt, steht jetzt auf Gleis 6 des Hamburger Hauptbahnhofs mit so einer Art Pilotenkoffer in der Hand, an dem man leicht die politischen Handlungsreisenden erkennen kann. Sind Akten drin. Gleich wird er in den Zug nach Berlin steigen, zu noch einem Termin ohne Glamour. Es wird um die Verjährungsfrist von sexuellem Missbrauch gehen, die SPD will sich da was ausdenken. Ein Nachmittag im Zug, ein Abend im Willy-Brandt-Haus, eine Nacht im Hotel, zurück nach Kiel. "Man muss da unbedingt was tun", sagt Ralf Stegner.

Er macht das jetzt häufiger, etwas tun, im Hintergrund. Auch nach Berlin reist er öfter. Er hat, so scheint es, seine Rolle gefunden. Stegner ist Berufspolitiker, seit mehr als 20 Jahren im Geschäft. Er hat alles ausprobiert, den Schattenmann, wie er es als Staatssekretär sein musste, um seinen Chefs in den Ministerien die Fakten zu sortieren, damit die dann glänzen konnten. Und die Rampensau, die auf der Bühne so tun musste, als könne sie übers Wasser gehen, damit die da unten einen wählen.

Als Stegner Rampensau war, Spitzenkandidat seiner Landes-SPD 2009, war das Wasser viel zu aufgewühlt. Er soff ab. "Es war eine Zeit, in der man nicht gewinnen konnte", sagt er heute. Die große Koalition in Kiel war, so glaubten viele, nur an ihm zerbrochen, in Berlin lief es noch ganz gut für Schwarz-Gelb. Aber wie er verlor: Mit 25,4 Prozent, dem schlechtesten Ergebnis an der Küste seit Menschengedenken.

Kampf gegen Konkurrenten

Der Verlierer jedoch sagte noch am Wahlabend, als Landesvorsitzender bleiben und wieder Fraktionschef werden zu wollen. Manche SPD-Mitglieder waren empört, andere konsterniert von so wenig persönlicher Konsequenz. Im politischen Betrieb an der Förde ist Ralf Stegner, diese Mensch gewordene Kante, für diese Art des Machterhalts gefürchtet und verhasst.

Im Parlament gibt es Kollegen anderer Parteien, die halten ihn für eine Art Aussätzigen, "völlig isoliert", so hat es Wolfgang Kubicki (FDP) sogar gesagt. In der eigenen Partei wird ihm Härte unterstellt, die Opfer fordert. Stegner schiebe Widersacher aufs Abstellgleis, um die Partei immer weiter nach links zu heben.

Vor zwei Jahren musste er sich deshalb einer Kampfabstimmung um den Vorsitz stellen, der ersten in der Nord-SPD seit über 30 Jahren. Er besiegte Uwe Döring. Vor einem Jahr wollte er wieder als Spitzenkandidat antreten, trotz der gewaltigen Pleite von 2009. Wieder ein Gegenkandidat, Kiels Oberbürgermeister Torsten Albig. Und nun verlor Stegner. Vielleicht war das sein Glück.

Heute ist Albig Ministerpräsident und Stegner wieder der starke Mann in der SPD, Fraktions- und Landeschef, Präsidiumsmitglied in Berlin. Er hat sich noch am Tag der Niederlage mit Albig arrangiert; der smarte Kahlkopf kam auf die Plakate, die auch der bürgerlichen Mitte gefielen. Das Wahlprogramm aber trug Stegners nach links geneigte Handschrift.

Nicht gewählt worden zu sein, hat für ihn heute Gutes: "Ich will Politik machen", sagt Stegner. Aber das Ministerpräsidentenamt entwickle sich falsch: "Es wird in vielen Ländern interpretiert als Landesmutter, Landesvater, Landesbürgermeister", findet Stegner; sogar Volker Bouffier, den er als Innenpolitiker schätzte, eröffne Schützenfeste.

Da mag sich einer, der mit Fliege und Bürstenhaarschnitt nicht ankam, Niederlagen schönreden. Da mochte aber auch einer nicht einfach verschwinden, nur weil ihn die Leute nicht haben wollten, wie er war: "Ich habe Positionen, die ich nicht aufgebe, nur weil mich jemand angreift oder weil es einen tagespolitischen Vorteil bringt."

Stegner kann, wenn es um den Kern seiner SPD geht, um das Recht kleiner Leute, nicht aus seiner Haut. Er ist dann reizbar, und weil er Sprache hoch schätzt, ist er ein scharfer Redner, ein Provokateur bisweilen. Er kann mit Worten verletzen, Worte wie "Dorfbürgermeister" oder "lieber Opa", die er für Peter Harry Carstensen findet, den Landesvater a. D..

Es musste schiefgehen damals in der großen Koalition mit ihm und dem CDU-Mann Carstensen. Das pfälzische Gastwirtskind Stegner, das mittlere von fünf Geschwistern, und der friesische Großbauer sind Wesen von unterschiedlichen Planeten. Ihr Bündnis kam nur zustande, weil Heide Simonis 2005 in einer schwarzen Stunde des Kieler Parlaments von den eigenen Leuten nicht zur Ministerpräsidentin einer rot-grünen Minderheitsregierung gewählt wurde.

Vier vernichtende Wahlgänge. "Das höhnische Lachen der CDUler habe ich noch in den Ohren", sagt Stegner, der selbst in den Verdacht geraten war, der Heide-Mörder zu sein. So mies fing es schon an. In dieser Situation hätte es einen coolen, versöhnlichen Stegner gebraucht, aber wie sollte das gehen. Carstensen habe "auf CDU-Parteitagen nur meinen Namen nennen und etwas Unerfreuliches über mich sagen müssen, um Beifall zu bekommen".

Unversöhnlicher Abschied von Carstensen

Stegner war das Feindbild in einem seit der Barschel-Affäre zerklüfteten Land, "und mir hat das gefallen. Ich habe gute Nerven." Dann habe sich Carstensen in der Koalition auch noch so aufgeführt, als sei er der Großbauer und Stegner der Knecht. "Ich bin kein Knecht!", will Stegner ihm einmal klargemacht haben.

Die Koalition, die "ich innerlich abgelehnt habe, aber machen musste", zerbrach im Sommer 2009 im Streit zwischen ihm und Carstensen. Sie gingen unversöhnt auseinander. Bei Carstensens letzter Rede im Parlament, seiner letzten überhaupt als Politiker, verweigerte Stegner den Beifall. Kollegen aller Parteien fielen über ihn her.

Stegner aber sagt, es habe sich um eine Provokation Carstensens gehandelt, als er eine von der SPD beantragte Aktuelle Stunde nutzte, um erst die Sozis zu beschimpfen und dann sich zu feiern. Er, Stegner, sah die Falle und hüpfte mit trotzig verschränkten Armen hinein: "Ich wusste, dass das Ärger geben würde. Aber ich springe nicht über jedes Stöckchen."

Auch das hat er überstanden. Die anderen sind weg; er ist der, der geblieben ist. Weder frustriert noch resigniert sei er übrigens, sagt Ralf Stegner. "Nur ruhiger."

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Quelle:
SZ vom 25.07.2012/gal
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