Wahlkampf in Schleswig-Holstein:Roter Kandidat mit grüner Vita

Wahlkampf in Schleswig-Holstein: Der schleswig-holsteinische SPD-Spitzenkandidat und die Landesvorsitzende Serpil Midyatli vor einer Leinwand mit dem Porträt Losse-Müllers.

Der schleswig-holsteinische SPD-Spitzenkandidat und die Landesvorsitzende Serpil Midyatli vor einer Leinwand mit dem Porträt Losse-Müllers.

(Foto: Axel Heimken/DPA)

Thomas Losse-Müller tritt bei der Schleswig-Holstein-Wahl am 8. Mai als Spitzenkandidat der SPD an. Der frühere Grüne setzt auf Umweltthemen und Soziales. Eine Begegnung hoch im Norden.

Von Peter Burghardt, Elmshorn

Er war mal bei der Weltbank, jetzt stellt er sich den Leuten auf dem Elmshorner Buttermarkt vor. Es kennt ja noch nicht jeder den Mann, der 2007 den Ortsverband der Grünen in Washington gründete und nun für die SPD Ministerpräsident in Schleswig-Holstein werden will. Am 8. Mai wird gewählt. "Moin, ich bin Thomas Losse-Müller, Spitzenkandidat der SPD zur Landtagswahl", begrüßt Thomas Losse-Müller Passanten und überreicht Flyer. Wer mag, der bekommt auch eine Tulpe.

Da steht er als Wahlkämpfer auf einem norddeutschen Markplatz, wer hätte das bis zu seiner Nominierung 2021 gedacht? "Also ich nicht", sagt Thomas Losse-Müller, 49, in Jeans, Hemd und Jacke, Flugblätter und Blumen in der Hand. Die ganze Geschichte mit seiner Partei und seiner Kandidatur kam etwas überraschend.

Bis Oktober 2020 war er bei den Grünen, er brachte sie als Weltbanker sogar in die US-Hauptstadt. Über Robert Habeck wurde die Kieler Finanzministerin Monika Heinold auf ihn aufmerksam. 2012 beendete der Projektentwickler seine letzte internationale Mission, kam aus Johannesburg zurück und wurde an der Förde Heinolds Staatssekretär. "Ich bin so rangegangen, wie ich an Sierra Leone oder Nigeria rangegangen bin", erzählt er. Er las sich ein, studierte den Haushalt, entwarf Pläne. Statt mit afrikanischen Zentralbankzahlen befasste sich der Grünen-Finanzfunktionär mit Windrädern in Holtsee oder der Milliardenpleite der HSH Nordbank.

2014 holte ihn dann der damalige SPD-Ministerpräsident Torsten Albig in die Staatskanzlei. Ein Grüner bei einem Roten, da wuchs allmählich sein Gefühl, dass er bei den Genossen irgendwann besser aufgehoben sein könnte. 2017 verlor Albig zwar die Wahl, es gewann Daniel Günther von der CDU, er führte die Jamaika-Koalition zusammen. Losse-Müller machte als Unternehmensberater weiter, aber ihm gefiel "dieses SPD-Ding, in der Mitte der Gesellschaft die Lösungen zu finden, die wirklich zusammenführen". Zumal in einer Phase - Trump, Brexit, Pegida -, in der die Gesellschaften in vielen Teilen der Welt auseinanderdrifteten.

CDU-Regierungschef Günther ist deutlich bekannter als er

Vor eineinhalb Jahren trat Losse-Müller bei den Grünen aus und bei der SPD ein. Die Landesvorsitzende Serpil Midyatli lud ihn in ihre Denkfabrik ein - und überließ ihm im vergangenen Sommer überraschend Listenplatz eins. In Umfragen lag die SPD damals bei 15 Prozent. Im Bund sah es nach Schwarz-Grün und zwischen den beiden deutschen Meeren nach einer Fortsetzung von Jamaika aus. Inzwischen hat Losse-Müller mit SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz in Lübeck seinen Wahlkampf eröffnet und wittert eine kleine Chance. Schleswig-Holsteins CDU-Regierungschef Günther ist deutlich bekannter und populärer als er, das weiß er. "Aber ich muss auch nicht vorne liegen, damit wir eine Koalition kriegen, in der ich Ministerpräsident werde."

Infratest dimap schätzte Günthers Union zuletzt auf 36 Prozent, die SPD auf 20, die Grünen auf 18, die FDP auf acht, die AfD auf sechs Prozent. Der Südschleswigsche Wählerverband der dänischen Minderheit, für den keine Fünf-Prozent-Hürde gilt, bekäme vier Prozent. Bei Insa dagegen lag die CDU nur knapp vor der SPD. Für eine Fortsetzung von Jamaika dürfte es klar reichen, vielleicht sogar für CDU und Grüne allein. Doch es könnte auch Daniel Günther gewinnen und rechnerisch dennoch eine Ampel möglich sein, wenn Grüne und FDP mitziehen, theoretisch.

Darauf hofft Losse-Müller, geboren im Ruhrgebiet, Teil eins seines Doppelnamens stammt von seiner Frau, mit ihr gründete der Volkswirt ein Finanzprojekt für Afrika. Nun versucht er, in schweren Zeiten seinen Namen und sein Gesicht gut gelaunt unter die Wählerschaft zu bringen. Er hat eine beachtliche Vita zu bieten, inklusive Finanzwelt und Staatskanzlei, nur hat ihn noch kaum jemand im Fernsehen gesehen. Am Abend vor diesem Straßentermin in Elmshorn saß er im Kulturhof Itzehoe vor 30 bis 40 Gästen und bis zu zehn Interessenten beim Live-Stream. Am Abend nach dem Buttermarkt diskutiert er beim Unternehmerdialog in Norderstedt mit Hamburgs SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher über klimaneutrales Wirtschaften.

Umweltökonomie ist eines seiner Themen. Er rechnet vor: 2017 habe es in Schleswig-Holstein 2981 Windkraftanlagen gegeben, 2022 seien es genauso viele. "Da haben wir fünf Jahre verloren." Auch Losse-Müller wird immer wieder auf Russlands Krieg in der Ukraine angesprochen, auf die Waffen, die Geflüchteten. Aber es geht dann meist schnell um den Norden, um Wohnen, Löhne, Jobs. Die SPD verspricht bezahlbare Wohnungen, kostenfreie Kitas, bessere Gehälter, LNG-Terminals, Technologiejobs an der Westküste, für die es die Autobahn A 20 brauche. Losse-Müller, einst Kreditrisikomanager, schätzt den starken Staat. Sozialer Zusammenhalt sei die Basis. "Die ganzen sozialen Themen, die Jamaika liegen gelassen hat, sind unsere große Chance", sagt er. "Sozial. Digital. Klimaneutral", steht auf den SPD-Plakaten. Bei CDU-Günther steht "Kurs halten."

Ein Rundgang durch die Fußgängerzone von Elmshorn, einer Industriestadt, die Haferflocken sind berühmt. Thomas Losse-Müller kommt an einem Stand der Grünen vorbei. "Frieden ist das höchste Gut", steht auf einem Poster. Er wechselt ein paar Sätze mit der Landesvorsitzenden, man kennt sich ja.

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