Schleswig-Holstein:Platt vor der Wahl

Schleswig-Holsteins Parlament hat wilde Zeiten hinter sich - doch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen flüchtet sich auf sicheres Terrain und wirkt ungeschickt, wenn es konkret wird.

Ralf Wiegand, Kiel/Lübeck -

Es war der letzte Sitzungstag dieser Legislaturperiode, Mitte vergangener Woche. Allenthalben machte sich Abschiedsstimmung breit im Kieler Parlament, Redner flochten Kränze für scheidende Freunde und liebgewonnene Feinde. Mildes Spätsommerlicht fiel durch die Glasfassade des hohen Hauses und legte sich besänftigend aufs Parlament, das wilde Zeiten hinter sich hat. Aufgelöst zu werden, ist ja selten etwas schönes.

Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, 61, saß wie immer in der ersten Reihe links außen auf der Regierungsbank, von der Galerie aus betrachtet. Ob er den Schiffen auf der Förde nachschaute, die nach Finnland oder Norwegen ausliefen, oder ob er dieser letzten Debatte folgte - wer kann das wissen.

Die Rede war einen Tag vorher

Man hätte jetzt gerne eine letzte Rede gehört vom Ministerpräsidenten. Etwas versöhnliches, politisches oder kämpferisches. Einen Abschluss oder einen Anfang, irgendetwas, das dem Anlass entsprochen hätte. Aber da kam nichts. Carstensens letzte Rede war schon gehalten, tags zuvor. Auf plattdeutsch.

Es ist nicht das einzige Mal vor dieser vorgezogenen Landtagswahl in Schleswig-Holstein, dass der Regierungschef und CDU-Landesvorsitzende den Eindruck hinterlässt, er flüchte sich auf sicheres Terrain. Plattdeutsch kann er, das ist die Sprache seiner Kindheit, und auf der Halbinsel Nordstrand ist es noch immer so etwas wie Amtssprache. Alle zwei, drei Jahre debattiert das Parlament über den Erhalt des vom Aussterben bedrohten Niederdeutschen.

Verstehen als Basis

Für Carstensen wäre das fatal, er setzt seine Pointen gern auf platt, das klingt nach Heimat und schafft Vertrautheit. Er will, dass ihn die Leute verstehen, das ist die Basis seiner Popularität. Einer von uns, einer für uns. Die Opposition, vor allem SPD-Chef Ralf Stegner, hält ihm deswegen vor, zu viele Volksfeste zu eröffnen und zu wenig Politik zu machen. Carstensen kontert das jetzt damit, dass er manchen Kontrahenten empfehlen würde, auch öfter draußen bei den Leuten zu sein. Dann wüssten sie, was sie bewegt.

Aber weiß Carstensen das selbst noch? In diesem Wahlkampf jedenfalls wirkt der sonst so leutselige Landesvater untypisch gehemmt, verkrampft, ja manchmal sogar scheu. Vor vier Jahren sah es wirklich so aus, als ob da ein stets gut gelaunter Friese die verbissene politische Elite in Kiel mit seinem donnernden Lachen einfach aus ihren Ämtern fegen wollte.

Er hat keinen dritten Arm

Heute kommt das alles so gestellt rüber wie bei der Ehrung verdienter Mitarbeiter eines Lübecker Reinigungsunternehmens, dessen Ehrengast der Ministerpräsident ist. Als hätte er das noch nie gemacht, überreicht Carstensen Blumen und Urkunden gleichzeitig. Links die Urkunde, rechts den Blumenstrauß, streckt er den Jubilaren beide Arme entgegen, als wolle er sie umarmen; für einen warmen Händedruck bräuchte er einen dritten Arm. Hat er aber nicht.

Carstensens Gegner, aber auch seine möglichen Koalitionspartner kolportieren, "der MP" sei amtsmüde, würde gar aufgeben, wenn es am Sonntag nicht zu einem Zweierbündnis mit der FDP komme. Noch einmal eine schwierige Koalition zu moderieren wie in den vergangenen Jahren die Zwangsehe mit der SPD, dazu reiche seine Kraft nicht mehr. Landwirtschaftsminister Christian von Boetticher, 38, soll den Hof mal übernehmen und sitzt auf der Regierungsbank schon neben dem Chef.

Er kennt das Metier

Carstensen lächelt bei diesem Vorhalt wissend; froh sei er, dass noch nicht über seine Beerdigung spekuliert werde, sagt er. Er weiß ja nur zu genau, was von solchen Gerüchten zu halten ist. Vor vier Jahren machte er das gleiche mit Heide Simonis. In scheinbarer Vertraulichkeit schilderte er ausführlich die körperliche Zerbrechlichkeit und die Amtsmüdigkeit der damaligen Regierungschefin, die eine schwere Krankheit zeichnete, über die sie selbst nie sprach. Es ist halt der übliche Schmu im Wahlkampf. Simonis klebte übrigens noch so lange am Amt, bis man sie Pattex-Heide hieß.

Carstensen ist misstrauischer geworden. Er schützt sich mit Öffentlichkeit vor Privatheit, schiebt schon mal TV-Kameras weg, die ihm zu nahe kommen. Beim Hintergrundgespräch zur Wahl, das nach der Ehrung in der Reinigungsfirma stattfinden soll, bleiben - völlig unüblich - mit Carstensens Segen seine Gastgeber im Raum. Der Vorstand, der Betriebsrat, die verdienten Mitarbeiter. "Ich habe nichts zu verbergen", sagt Carstensen. Oder nichts zu sagen.

Tiefe Einblicke gewährt er nicht. Tagein, tagaus zieht Carstensen mit derselben Rede über die Dörfer. Gegen die Kommunisten von der Linkspartei, für eine Koalition der Vernunft mit der FDP, gegen teure Versprechen, für mehr Bildung. Immer dann aber, wenn es konkret wird, wenn ihn die Leute nach Lösungen fragen, wird er ungeschickt. Einer Bäuerin, die mit bebender Stimme über die hohe Steuerlast für ihren Ferienhof klagt, hält Carstensen lapidar vor: Wenn sie viele Steuern zahle, habe sie halt viel eingenommen.

Nicht Sache der Politik

Und im Altenheim Rosenhof auf der Lübecker Insel Priwall kommt der Gastredner gar unter die Räder. Unter die Senioren haben sich Protestler gemischt, die gegen eine exorbitante Preiserhöhung für die einzige Fähre zum Festland kämpfen. Genervt sagt Carstensen, das Fährgeld sei Sache der Stadt, er sei nicht zuständig, "darum werde ich mich nicht kümmern, tut mir leid".

Später kutschiert der Chauffeur den trotzigen Ministerpräsidenten in ein Hotel in Travemünde, Labskausessen mit der örtlichen CDU. Auf dem Weg dorthin begegnet sich Carstensen selbst, als riesiges Plakat am Straßenrand. Darauf prangt der Satz: "Ich kümmere mich."

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