Schleswig-Holstein: Landtagswahl:In aller Feindschaft

Stegner, Carstensen und offene Feindseligkeiten: Das politische Klima in Schleswig-Holstein ist seit langem vergiftet - daran tragen beide Volksparteien die Schuld.

Ralf Wiegand

Es ist ein schlichtes Grab auf dem Alten Friedhof von Mölln, in dem Uwe Barschel liegt. Noch immer fragen fremde Menschen ab und zu den Verwalter nach dem Weg zur Ruhestätte des ehemaligen Ministerpräsidenten, dessen Tod bis heute die Gemüter bewegt.

Demnächst wird wieder ein Buch vorgestellt, es heißt "Barschel - die Akte", was sich liest wie ein Titel von Grisham. 22 Jahre liegt die Affäre zurück, eine lange Zeit, die aber doch nicht ausgereicht hat, um die Wunde im politischen Alltag von Schleswig-Holstein heilen zu lassen. Der Name Barschel fällt jetzt wieder häufiger in diesen letzten Tagen vor der Landtagswahl.

Werben für Jamaika

Die politische Landschaft hoch oben im Norden hat sich verändert seit jener Zeit, in der die CDU mit Ministerpräsident Barschel allein regierte, danach die SPD mit Engholm oder Simonis und überhaupt alles einfacher war. Heute sind die vier Parteien neben den großen zwei - FDP, Grüne, Südschleswigscher Wählerverband (SSW) und Linke - zusammen stärker als jede der großen Parteien.

Da träumen die Grünen schon davon, gemeinsam mit der dänischen Minderheit vom Südschleswigschen Wählerverband sogar so gut dazustehen, dass sie sich den Bündnispartner aussuchen können. Da wirbt die FDP unverhohlen für einen Dreierpakt in den Farben Jamaikas. Da stimmt, an den letzten beiden Sitzungstagen des Parlaments vergangene Woche schön zu beobachten, jeder mit jedem gegen einen der anderen.

Das bunte Durcheinander an der Förde hat sich die gescheiterte große Koalition selbst zuzuschreiben. Ihr Streit, den sie ungebremst aus der Regierungszeit in den Wahlkampf mitgenommen haben, verschreckt die Wähler. Jede Gemeinsamkeit ist offener Feindseligkeit gewichen. So unversöhnlich stehen sich CDU und SPD gegenüber, dass die Chefs der kleinen Parteien das politische Klima nur mit der Endphase Barschel vergleichen können.

Scharfe Attacken

Der CDU-Vorsitzende und Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und sein Herausforderer, SPD-Fraktions- und Parteichef Ralf Stegner, streiten über einen tiefen, mit Krokodilen und giftigen Schlangen bevölkerten Wassergraben hinweg um die Macht.

Sie diffamieren sich gegenseitig als notorischen Querulanten und zügellosen Stänkerer (Stegner) oder als täppischen Dorfbürgermeister und amtsmüden Landes-Opa (Carstensen). Genau deshalb, weil politische Gegnerschaft zu persönlicher Feindschaft geworden ist, fühlen sich manche vom Geist der Barschel-Zeit angeweht.

Die große Koalition in Schleswig-Holstein ist damit nicht nur politisch gescheitert, als sie ein Jahr früher als geplant mit einem krampfhaft herbeigeführten Bruch zu Ende ging.

Sie hat gleichzeitig die große Chance verpasst, das seit Barschels Zeiten zerrüttete Verhältnis zwischen CDU und SPD zu entspannen und damit die politische Kultur im Land zu heilen.

Die große Koalition hat stattdessen den Kompromiss - der ein gutes Instrument ist in der Politik, wenn die Aufgaben schwer und die Ziele hoch sind - unmöglich gemacht. An den Bürgern liegt es nun, sich eine Regierung zu wählen, die auf keinen Fall noch einmal aus SPD und CDU bestehen darf.

Bekannte Feindbilder

Es ist ein Lagerwahlkampf alter Schule im Land der Horizonte. Die SPD tritt an, eine Koalition aus CDU und Liberalen zu verhindern, um jeden Preis. Die Union bekommt die uralte Platte vom Rote-Socken-Bündnis nicht mehr vom Teller.

Während CDU und SPD in ihren Feindbildern verharren, dreht sich die Welt um sie munter weiter. Die CDU spürt das in Nordfriesland, ihrem Stammland. Dort hat die Windkraft aus Bauern Millionäre in Gummistiefeln gemacht. Diese neuen Windbauern, Herzblut-Konservative bisher, wünschen sich nichts lieber als Schwarz-Grün: Die CDU für den Wirtschaftsaufschwung und die Grünen, um sich die Atomlobby vom Hals zu schaffen, die das Netz für den Oköstrom blockiert. Sie sind sogar bereit, dafür grün zu wählen und nicht mehr schwarz.

Die Grünen freuen sich über die neue Kundschaft. CDU und SPD wirken dagegen genervt von sich selbst, bisweilen wie aus der Zeit gefallen. Dass eine Twitter-Meldung des Kandidaten Stegner, in der er Carstensen indirekt mit Barschel verglich, den Ausschlag zum Koalitionsbruch gegeben hat, zeigt, wie tief das Trauma in der Union wurzelt. 22 Jahre!

Gleichermaßen haben die Sozialdemokraten nicht überwunden, warum sie vor vier Jahren überhaupt eine Koalition mit der CDU eingehen mussten: Weil eine einzelne Person eine bereits beschlossene Minderheitsregierung von SPD und Grünen unter Tolerierung des SSW am Tag der Wahl der Ministerpräsidentin verhindert hat.

Obwohl unbewiesen, misstraute sich die SPD selbst so sehr, dass sie nie bezweifelte, einer der Ihren habe vier Mal gegen Heide Simonis gestimmt. Aufgearbeitet hat die SPD diese politische Tragödie nie, so wie das Land diesen einmaligen Niedergang politischer Kultur nicht bewältigt hat. Wie auch, wenn die CDU nur froh war, dass nun auch die anderen ihre ewige Affäre hatten.

Neue Ideen für Schleswig-Holstein konnten so nicht entstehen. Doch die Umfragen deuten an, dass die Wähler keine Lust mehr haben auf ein politisches Leben in Barschels langem Schatten. Sie wollen Farbe. Sie wählen bunt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: