Schleswig-Holstein:Kultur der Verabschiedung

Pk der CDU Schleswig-Holstein zur aktuellen Lage

"Hinterzimmerdiplomatie", so schimpfen einige an der Basis der Nord-CDU. Der Kieler Fraktionschef Daniel Günther (li.) übernimmt die Aufgabe des plötzlich zurückgetretenen Spitzenkandidaten Ingbert Liebing.

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Ein halbes Jahr vor der Landtagswahl liegt die CDU in Umfragen zurück, ihr Spitzenkandidat gibt auf. Nun soll es ein neuer richten - er ist der fünfte Parteichef in fünf Jahren.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Laut einer neuen Studie ist Schleswig-Holstein das glücklichste Bundesland Deutschlands, bei der Christlich Demokratischen Union im Norden allerdings hält sich die Verzückung in Grenzen. Der mysteriöse Tod von Uwe Barschel liegt bald drei Jahrzehnte zurück, nach jenem Drama endeten seinerzeit 38 Jahre Kieler CDU-Regierung. Neun Monate vor der letzten Landtagswahl trat wegen einer anderen Affäre dann Christian von Boetticher als CDU-Spitzenkandidat zurück - und unter seinem Nachfolger Jost de Jager verloren CDU und FDP die Macht 2012 an den SPD-Mann Torsten Albig und Rot-Grün. Und jetzt, nur sechs Monate vor der nächsten Abstimmung im Mai 2017? Hat die CDU schon wieder einmal schnell den Bewerber gewechselt.

Ingbert wer? Eine Umfrage ergab, dass die meisten Befragten den Kandidaten Liebing nicht kennen

In einer eilig einberufenen Sitzung empfahl der erweiterte Landesvorstand am Dienstagabend in Kiel den Fraktionsvorsitzenden Daniel Günther als Parteichef und Spitzenkandidaten. Beim Parteitag am 19. November soll er zum Landesvorsitzenden gewählt werden. Sein Vorgänger Ingbert Liebing hatte am Freitag recht überraschend verkündet, dass er seine beiden Posten zur Verfügung stellen werde. Obendrein gab am Montag der Landesgeschäftsführer Axel Bernstein sein Amt auf - er habe vor, sich "wieder voll auf die Innenpolitik und meinen Wahlkreis Segeberg-Ost zu konzentrieren." Dem designierten Landesvorsitzenden werde er nicht als Landesgeschäftsführer zur Verfügung stehen.

So muss sich die CDU in Schleswig-Holstein ein halbes Jahr vor dem Showdown mit SPD, Grünen, der Minderheitenpartei Südschleswigscher Wählerverband (SSW), der Linken und auch der AfD gründlich neu sortieren. Laut der jüngsten Umfrage des Instituts Insa vom Oktober bekäme die SPD 31 Prozent, die CDU 26 Prozent, Grün 13 Prozent, FDP 12 Prozent, AfD 6 Prozent, Linke wie SSW 4 Prozent der Stimmen. Demnach könnten SPD, Grüne und SSW gemeinsam vier weitere Jahre regieren, die Christdemokraten blieben in der Opposition sitzen. Erschrocken hatte die CDU aber wohl vor allem das plötzliche Gerücht, dass sich gemäß der Befragung nur neun Prozent der Wähler den CDU-Vertreter Liebing als Landesvater wünschen, nicht mal jeder Zehnte. Mehr als die Hälfte der Befragten kennen ihn laut der Erhebung gar nicht. Für 38 Prozent dagegen dürfte SPD-Ministerpräsident Albig weitermachen, auch Wolfgang Kubicki von der FDP gilt als viel populärer als Liebing.

Ingbert Liebing nahm die ungünstige Botschaft zwar noch vor einer Woche mit dem Versuch zur Kenntnis, gelassen zu wirken. Er sei nominiert und habe eine gute Zustimmung. 92 Prozent der Delegierten wollten ihn beim Parteitag im Juni in Neumünster für die CDU in den Wahlkampf schicken, kaum fünf Monate liegt die feierlich Ernennung zurück. "Einfach schlichtweg danke dafür", sagte der 53-jährige Bundestagsabgeordnete und frühere Bürgermeister der Gemeinde Sylt-Ost an jenem Sommertag. Doch inzwischen ist Liebing der nächste gescheiterte CDU-Anführer zwischen Nord- und Ostsee. Dabei hatte er erst vor zwei Jahren Reimer Böge abgelöst, der eineinhalb Jahre durchhielt.

Als Nächster soll sich also Daniel Günther, 43, versuchen, er wäre bereits der fünfte CDU-Chef in nur gut fünf Jahren. Noch dazu muss der Listenparteitag wiederholt werden, angepeilt wird der 4. Februar 2017, drei Monate vor der Wahl. Denn auf die Schnelle ließe sich Günther statt Liebing nicht auch noch zum Spitzenkandidaten wählen, der Parteitag in zwei Wochen kommt für diese Formalitäten zu früh. "Wir hätten die Partei-Entscheidung gerne schneller herbeigeführt", zitieren die Kieler Nachrichten den rasch eingewechselten Günther. Aber Rechtssicherheit gehe vor. Auf der bisherigen Landesliste steht der Bundestagsabgeordnete Liebing aus Nordfriesland-Nord auf Platz eins und der Landtagsabgeordnete Günther aus Eckernförde auf Platz zwei, bald soll es umgekehrt sein.

Vor allem in Liebings Wahlkreis verursacht der auf einmal geplante Tausch einigen Ärger. Aus dem nordfriesischen Kreisverband machen zum Beispiel diese Sätze die Runde: "Wir haben die Schnauze voll von dieser Hinterzimmerdiplomatie, die Entscheidungen vorbereitet, Leute unter Druck setzt und schließlich die Partei vor vollendete Tatsachen stellt." Demokratie sehe anders aus. "Wir lassen uns nicht länger zu Marionetten degradieren." Da wird sich der neueste Proband anstrengen müssen, um in kurzer Zeit den mehr als 20 000 Mitgliedern der entzweiten Union und möglichst vielen Wählern zu gefallen. Am Donnerstag und Freitag stehen Grünkohlessen bei Schleswig-Holsteinischen Wirtschaftsverbänden und der CDU Schwedeneck in seinem Terminkalender. "Ich glaube", sprach Günther am Samstag nach Liebings Rückzug, "dass ich als Spitzenkandidat der CDU und auch als Landesvorsitzender die Pflicht habe, Begeisterung in die Partei zu tragen und dann auch die Begeisterung ins Land zu tragen, damit ein Regierungswechsel im Mai 2017 möglich wird."

Ingbert Liebing von der Insel Sylt hat das nicht geschafft. In Erinnerung bleibt nicht zuletzt seine Wortschöpfung "Verabschiedungskultur" für abzuschiebende Flüchtlinge. Die Satiresendung Heute Show empfahl daraufhin, statt Liebing doch lieber ein Schaf zu wählen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: