Schleswig-Holstein:Ein illegaler Landtag

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Die Politiker in Kiel haben aus purer Bequemlichkeit Richter den Job machen lassen, den sie selbst nicht hinbekommen haben. Nun muss das Wahlrecht Knall auf Fall reformiert werden - und das sorgt für Streit.

Ralf Wiegand

Verfassungswidrig, wie das schon klingt. Es ist ein böses Wort, es hört sich nach Täuschen und Tricksen an, nach dem Gegenteil von Demokratie. Viele kleine und große Gesetze in der Geschichte des Bundes und der Länder sind von den jeweiligen Verfassungsgerichten kassiert worden, weil hier eine Formulierung, dort eine Ausnahme, da ein Absatz verrutscht waren. Selten unabsichtlich, man kann es ja mal probieren. Dass sich aber ein ganzer Landtag sagen lassen muss, dass er in der Form, in der er seit fast einem Jahr die Gesetze eines Bundeslandes macht, gar nicht existieren dürfte - weil schon das Gesetz, nach dem damals gewählt worden war, verfassungswidrig ist: Dies ist neu. Das Etikett "verfassungswidrig", welches das Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein der Politik dort entgegengeschleudert hat, klingt daher besonders scharf.

Schleswig-Holsteins Ministerpraesident Peter Harry Carstensen (CDU, links) und der FDP-Landesvorsitzende Juergen Koppelin, aufgenommen in Kiel im Rahmen der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags. Nun hat das Landesverfassungsgericht entschieden, dass die Wahlen vor einem knappen Jahr verfassungswidrig waren. (Foto: ddp)

Die Peinlichkeit für die Kieler Politik besteht darin, dass sie aus purer Bequemlichkeit die Richter den Job hat machen lassen, den sie nicht hinbekommen hat. Es war schon lange klar, dass dieses Wahlgesetz mit seiner ungeheuren Zahl von 40 Wahlkreisen dem Datenfluss nicht mehr gewachsen sein würde, der durch eine Sechs-Parteien-Landschaft auf den Landeswahlleiter zukommt (in Schleswig-Holstein gibt es dank der dänischen Minderheit vom SSW noch eine Kraft mehr im Parlament als anderswo). Die Zahl der Wahlkreise stammt noch aus den Zeiten, als SPD und CDU das Land unter sich aufteilen konnten und hofften, das möge sich nie ändern. Für solch klare Verhältnisse ist das Wahlgesetz gemacht.

Die neuen, gar nicht mehr klaren Verhältnisse wurden von den Volksparteien CDU und SPD nie akzeptiert - dies hätte bedeutet, das Wahlrecht so konsequent zu ändern, dass sich a) viele Abgeordnete selbst abgeschafft hätten und b) der Wettbewerb der Direktkandidaten in größeren, aber dafür wenigeren Wahlkreisen härter würde. Im Interesse von CDU und SPD lag beides nicht, das Gesetz konnte warten.

Die Folge: Der Kieler Landtag muss jetzt Knall auf Fall richten, was in Ruhe nicht zu lösen war. Es wird ihm unter dem Druck des vom Gericht gesetzten Termins natürlich gelingen, bis Mai 2011 steht das Gesetz. Schon allerdings streiten sich die Parteien über den richtigen Weg zu einem verfassungskonformen Entwurf, denn das Gericht hat da mehrere Möglichkeiten angedeutet. Den einen hilft die eine, den anderen die andere. Das große Feilschen hat begonnen.

Die Geschichte mit der Wahl ist verhunzt, das wird die Politik nicht mehr retten können. Was sie noch tun kann, um wenigstens guten Willen zu zeigen und den Wähler nicht vollends vor den Kopf zu stoßen: den frühestmöglichen Neuwahltermin wahrzunehmen. Die vom Gericht gesetzte Frist bis September 2012 klingt allzu großzügig. Und Schleswig-Holsteins Politik hat bewiesen: Zeit nutzt sie gerne, um notwendige Dinge nicht zu tun.

© SZ vom 31.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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