Schleswig-Holstein: Carstensen:Tölpel oder Taktiker?

Markenzeichen Herzlichkeit: Die Art, wie Ministerpräsident Carstensen die Koalition mit der SPD beendet, passt eigentlich nicht zu ihm. Nun stellt er sich dem Votum des Landtags.

J. Schneider

Das wäre jetzt ein guter Augenblick. Zum letzten Mal sitzen sie auf der Regierungsbank nebeneinander, der Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und seine Stellvertreterin von der SPD, Ute Erdsiek-Rave. Er weiß, es sind ihre letzten gemeinsamen Minuten. Er wird sie wenig später entlassen. Sie ahnt es. Aber sie will es nicht wahrhaben.

Schleswig-Holstein: Carstensen: "Es tut mir wahnsinnig leid": Peter Harry Carstensen sagt, er habe das alles so nicht gewollt.

"Es tut mir wahnsinnig leid": Peter Harry Carstensen sagt, er habe das alles so nicht gewollt.

(Foto: Foto: dpa)

Carstensen hat ihr vor Tagen gesagt, dass er sie nicht feuern will. Er hat sie und ihre Kollegen von der SPD gelobt. Nun sitzt Erdsiek-Rave neben ihm, als ob sie ein Zeichen erwartet. Eine kleine Geste. Es könnte sein Seehund-Lächeln sein, das so vertrauenserweckend wirkt. Oder ein kurzer Satz. Er müsste sich nicht mal rüberbeugen. Er könnte auch beiläufig seine Hand auf ihren Arm legen.

Aber der christdemokratische Ministerpräsident sitzt da, als gäbe es die Frau neben ihm gar nicht. Von der Tribüne des Landtags sieht es aus, als ob der große Mann mit seinem ganzen Gewicht rausdrängt. Raus aus dieser unangenehmen Situation.

Der Blick richtet sich zu den Schiffen hinter dem großen Glasfenster, wo kleinere Schiffe Richtung offene See ziehen. Wie er da sitzt, so nahe und doch abgewandt: Ist das nun Hilflosigkeit, ist es plötzlich Kälte, oder soll es das sein, was man Professionalität nennt?

Wenige Minuten später geht der Landtag auseinander. Bis zu diesem Donnerstag, an dem er darüber abstimmen soll, ob Carstensen Ministerpräsident bleibt. Er hat die Vertrauensfrage gestellt. Ihm bleibe keine andere Wahl, sagte er in der kurzen Begründung.

So etwas sagt er jetzt oft: Er habe keine andere Wahl, er könne nicht anders, ihm falle das alles auch nicht leicht. Sein Ziel freilich ist klar. Der Christdemokrat will das Ende der Koalition mit den Sozialdemokraten besiegeln und Neuwahlen ermöglichen. Er hofft auf einen klaren Sieg, damit er endlich mit der FDP regieren kann.

Bis zur Abstimmung ist alles auf Stand-by gestellt, auch die dringende Debatte über die Pannen im Atomkraftwerk Krümmel. Die sozialdemokratische Sozialministerin Gitta Trauernicht, zuständig für Krümmel, hat eine Regierungserklärung vorbereitet. Sie wird sie nicht mehr halten. Sie gehört zu den vier SPD-Ministern, die entlassen wurden.

Darunter ist auch Lothar Hay, der Innenminister. Ihm hatte Carstensen vor einer Woche besonders für seine menschliche Größe gedankt. Hay hat sich im Streit um die HSH-Nordbank öffentlich gegen SPD-Chef Ralf Stegner gestellt, Carstensens unerbittlichen Widersacher.

Nach dem Ende der Landtagssitzung am Montag spricht Carstensen nicht mit den SPD-Ministern. Schnurstracks zieht sein Tross zur Staatskanzlei. Stunden später wird bekannt, dass die Sozialdemokraten ihre Büros am nächsten Tag räumen sollen. Ute Erdsiek-Rave ist entsetzt, dass er nicht mal selbst die Botschaft überbracht hat. Sie klingt tief verletzt.

Feige finde sie sein Vorgehen. Sie nennt ihn einen Getriebenen. Am Abend kann das ganze Land im Fernsehen hören, dass Carstensen den entlassenen Ministern einen Tag eingeräumt hat, ihre Schreibtische zu räumen. Er sagt: "Dieser Schritt ist mir persönlich außerordentlich schwergefallen."

Stegner - ein schneidiger Angreifer

Manchmal kann das Fehlen einer kleinen Geste ein über Jahre entstandenes Image ins Wanken bringt. SPD-Chef Stegner hat das Problem nicht. Auch er möchte geschätzt werden. Aber Stegner ist gern ein schneidiger Angreifer. Carstensen hat die Herzlichkeit zu seinem Markenzeichen gemacht. In die Staatskanzlei ist er auch gekommen, weil er so harmlos erscheint. Mit dem schönen Motto: Das Leben ist schön.

Er ist ein leidenschaftlicher Gärtner und Koch, in dessen Nähe es schwerfällt, sich nicht wohl zu fühlen. Einer, der deftiges Essen liebt und einen Klönschnack. Seiner Stellvertreterin Erdsiek-Rave hat er zum Geburtstag mal zwei Brote gebacken. Seine Witze spotten, ohne weh zu tun. Über den ambitionierten Kollegen Peter Müller sagte er zum Beispiel mal, dessen Saarland sei kleiner als sein früherer Bundestagswahlkreis bei Ebbe. Und setzte sein dröhnendes Lachen hinterher.

Seine Vorgängerin Heide Simonis hat mal über ihn gesagt, dass er den Job gar nicht wollte. Schon zum Eintritt in die CDU soll der frühere Landwirt und Berufsschullehrer aus dem stillen Nordstrand in Nordfriesland von seinem Bruder ermuntert worden sein.

Der habe versprochen, erst mal die Beiträge zu zahlen. Carstensen ergriff 1983 die Chance, in den Bundestag zu gehen. Dort fiel er 21 Jahre wenig auf, es sei denn, es ging um die Landwirtschaft. Zum Landesvorsitzenden in Schleswig-Holstein wurde er 2002 gewählt, weil sich zwei zweitklassige Rivalen im notorisch zerstrittenen Landesverband nicht einigen konnten.

Zwangs-Ehe konnte gar nicht gutgehen

Im Wahlkampf 2005 hatte ihn die eigene Partei fast schon abgeschrieben, und wäre Heide Simonis nicht gescheitert, hätte er es nie in die Staatskanzlei geschafft. Dann aber nutzten ihm seine heitere Milde und Gutmütigkeit. Diese Vorzüge ließen ihn bald wie einen idealen Landesvater erscheinen. Erst mal aber halfen sie ihm, überhaupt eine Koalition mit den angeschlagenen Sozialdemokraten zu schmieden.

In vier Wahlgängen war Simonis im Landtag aus dem eigenen Lager die Gefolgschaft versagt worden. Vier Mal genossen viele Christdemokraten den anonymen Verrat voller Häme. Carstensen hielt sich zurück. Er spürte die Verletztheit der Sozialdemokraten und reichte ihnen die Hand.

Heute sagt jeder, dass diese Zwangs-Ehe gar nicht gutgehen konnte. Aber in den ersten Jahren sah es aus, als ob sie nach Jahren der gegenseitigen Verletzungen in den Affären um Uwe Barschels schmutzige Tricks, Björn Engholms Unwahrheiten und das Drama um Simonis zur Normalität finden könnten. Auch mit Stegner, er war Innenminister, kam Carstensen zurecht. Er lobte seine Zuverlässigkeit.

Nach zwei Jahren aber setzte ihm Stegners zunehmende Angriffslust immer mehr zu. Der SPD-Chef begann, klagt Carstensen, fortwährend Beschlüsse der Koalition öffentlich zu hinterfragen. Und lästerte, der Chef habe das Format eines Dorfbürgermeisters. Carstensen sagt von sich, dass er kein dickes Fell hat. Er hielt das nicht lange aus. Er drohte mit dem Ende der Koalition, Stegner musste das Kabinett verlassen und übernahm die Führung der SPD-Fraktion.

Dort machte Stegner bald weiter. Er musste sich profilieren, er will Ministerpräsident werden. Das Fiasko der landeseigenen HSH-Nordbank wurde ihm zur Steilvorlage. Die Krise bedroht das Land, das mit Hamburg ein nicht risikoloses Rettungspaket schnürte, in seiner Existenz. Carstensen tauchte in der Krise ab.

Wie ein Zeugnis dafür erschien die Abrechnung seines Wirtschaftsministers Werner Marnette. Der Christdemokrat warf ihm Versagen vor und trat zurück. Im Frühsommer ging die CDU-Fraktion auf Carstensen los. Er sei als Krisenmanager überfordert, seine Staatskanzlei schlecht gemanagt. Die Wortwahl war von einer Art, die sich kein anderer Regierungschef hätte bieten lassen. Er aber beugte sich. Er wechselte sogar wie gewünscht seinen Regierungssprecher aus.

Angesichts des Drucks der Partei bot er der SPD kurz darauf Neuwahlen an. Stegner ließ ihn cool abblitzen. Aber das Wort stand nun im Raum. Neuwahlen - für die SPD mit ihren miesen Umfragewerten war das eine Gefahr. Deshalb versprach der SPD-Chef intern stillzuhalten. Ach, sagen einige heute, hätte er es doch gekonnt. Andere sind sich sicher, dass die CDU so oder so Neuwahlen durchgedrückt hätte.

Stegner twittert gern, oft Belanglosigkeiten.

Schon im Juni wäre über den Streit zum Spar-Haushalt beinahe der Bruch gekommen. Jetzt knallte es rechtzeitig, um gemeinsam mit dem Bundestag am 27. September zu wählen. Lange schon hatten CDU-Hardliner Carstensen dazu treiben wollen. Er zögerte. "Wenn Stegner nicht wäre", sagt er, "wäre die Koalition nicht auseinandergefallen." Die Wirtschaftskrise beutelt das Land. Da könne er nicht mit einem zusammenarbeiten, der sich ständig von Beschlüssen distanziere. Kaum seien Einschnitte beschlossen worden, habe der sich bei den Gewerkschaften gemeldet und der CDU die Schuld gegeben. Die SPD sieht diese Gründe als Vorwand.

Vielleicht hätten die Gründe nicht gereicht ohne den letzten Anlass. Den bot zunächst eine Kurzbotschaft Stegners auf der Internetplattform Twitter, die die Christdemokraten als Affront nahmen. Stegner twittert gern, oft Belanglosigkeiten.

Seine Kurzprosa dient im Landeshaus oft als Pausen-Spott. Nun aber verglich er die aktuelle Situation mit den Zeiten unter Barschel, dessen schmutzige Tricks eine der schlimmsten Affären der bundesdeutschen Geschichte auslösten. Das rührte an alte Wunden. Weniger bei Carstensen, er war damals weit weg im Bundestag, aber bei anderen.

"Mich hat das alles sehr betroffen gemacht"

Schließlich ließ der Streit um die Millionen-Zahlungen an den HSH-Nordbank-Chef Dirk Jens Nonnenmacher das Fass überlaufen. Stegner behauptete, die SPD habe nicht zugestimmt. Nie hätte sie die Zahlung an den Chef einer Bank gebilligt, die nur mit Landeshilfe überlebt. "Das ging schon tief", sagt Carstensen. Er bekam das Gefühl, dass Stegner "mal wieder hinterrücks böse Geschichten über die CDU verbreiten wollte".

Die Affäre um die Sonderzahlung von 2,9 Millionen Euro ist verworren. Klar ist, dass die SPD doch informiert war und ihr Innenminister sein Einvernehmen gab. Unbestritten und von Carstensen eingeräumt ist aber auch, dass er in einem Brief die Unwahrheit behauptet hat.

Er hatte flott einen Entwurf vom Hamburger Senat übernommen. Beide Länder sind Hauptanteilseigner der Bank. Im Brief stand, dass die Spitzen der Regierungsfraktionen einbezogen waren. Das stimmte für Hamburg, aber nicht für Kiel. Für ihn aber soll im Vordergrund stehen, dass er die SPD einbezogen habe. Von dort sei kein Widerspruch gekommen, auch nicht von Stegner. "Wenn er was gesagt hätte", so Carstensen, "wäre es zwar schwierig gewesen. Aber ich hätte die Sache noch bremsen können."

Stegner sagt kaum noch einen Satz über Carstensen, in dem nicht das Wort "Lügner" vorkommt. Carstensen sagt, dass ihn das sehr verletzt. Ja, er habe in einem Brief unkorrekte Angaben gemacht, "aber nicht absichtlich gelogen". Deshalb lasse er sich nicht von Stegner einen Lügner nennen.

Es geht ihm nicht gut. Carstensens Stimme ist angeschlagen. "Mich hat das alles sehr betroffen gemacht", sagt er zur Entlassung der SPD-Minister. Menschlich hätte er das nicht gewollt, politisch hätte es sein müssen. "Es tut mir wahnsinnig leid." Es solle noch einen ehrenvollen Abschied geben, mit Blumenstrauß und allem, was dazugehört. In Kiel warnen Sozialdemokraten vor einer brutalen Wahlschlacht. "Es darf nicht sein", sagt Carstensen, "dass wir uns auf die Köpfe hauen." Er werde das nicht tun, verspricht der Mann, der offenbar so vieles nicht so gewollt hat, wie es dennoch kam.

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