Flüchtlinge:Politiker setzen mit Grenzschließungen Europa aufs Spiel

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Zerstören eine Grundidee Europas: Kontrollen an der A 3 bei Passau an der deutsch-österreichischen Grenze. (Foto: Getty Images)

Der Bundesinnenminister hat das Ende der Grenzkontrollen angekündigt. Gut so - denn wer sie von der Ausnahme zur Regel werden lässt, zerstört eine europäische Grundidee.

Kommentar von Heribert Prantl

Die Kontrollen an den europäischen Binnengrenzen werden als Ausnahmen deklariert. Es wird an den deutschen Grenzen kontrolliert, an den französischen, den österreichischen, den dänischen, an den schwedischen und an den norwegischen Grenzen auch. Das sei eine Ausnahme von den Schengen-Regeln, der Flüchtlinge wegen, so begründen es die einen; das sei eine Ausnahme der Terroristen wegen, sagen die anderen. Es besteht das Risiko, dass die Ausnahmen nicht mehr die Regel bestätigen - sondern dass die Ausnahmen Vorboten der neuen Regel sind. Es ist deshalb wichtig und richtig, dass nun der Bundesinnenminister die Beendigung der deutschen Grenzkontrollen für den Mai ankündigt. Es ist höchste Zeit. Die Schlagbäume zerschlagen Europa.

Die CSU protestiert gegen die geplante Aufhebung der deutschen Grenzkontrollen; sie versündigt sich damit am Erbe ihres Ahnherrn Franz Josef Strauß; der hat in sein Testament geschrieben: "Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft." Eine Union, die die Binnengrenzen wieder aufrichtet, hat keine Zukunft - ob diese Schließungen nun von nationalen Regierungen (wie derzeit) oder von der EU-Kommission ausgehen. Grenzschließungen, die länger als ein paar Tage dauern, sind die Dekonstruktion und die Delegitimation Europas.

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Das Flüchtlingsproblem lässt sich nicht in Kiefersfelden lösen

Grenzschließungen müssen Ultima Ratio sein und bleiben. Ein solches letztes Mittel darf kein Dauerzustand werden; das neue Grenzregime entwickelt sich aber derzeit dazu. Es wird sich immer wieder eine krisenhafte Situation finden, es wird immer eine anhaltende Gefahr für die innere Sicherheit entdeckt werden können, um damit noch einmal "vorübergehend" und "ausnahmsweise" die Grenze zu sperren oder die Sperrung zu verlängern. Man gibt so den Europagegnern recht - deren Credo darauf hinausläuft, dass es ohne oder jedenfalls mit weniger Europa besser geht. Die Lösung für das Flüchtlingsproblem findet sich aber nicht am Grenzübergang Kiefersfelden.

Zwanzig Jahre lang waren die offenen Grenzen im Schengen-Raum die Regel; zwanzig Jahre lang war also Europa im Wortsinn erfahrbar; zwanzig Jahre lang machten offene Grenzen Europa zur Gewohnheit und Gewissheit. Es wäre ein Menetekel, wenn die Menschen auf dem Weg in die Sommerferien wieder ein parzelliertes Europa erlebten. Wenn die nationalen Grenzen zurückkehren, und sie sind schon viel zu oft zurückgekehrt, wird eine europäische Grundidee beerdigt. Was sind offene Grenzen wert, wenn sie unter Dauer-Vorbehalt stehen? Der Satz "ganz Europa ist Inland" wird zur hohlen Formel.

Das Senken und Heben von Schlagbäumen ist keine gymnastische Übung für Europa; diese Übung setzt Europa aufs Spiel. "Ein Europäer ist derjenige, der Sehnsucht nach Europa hat." Das hat der Schriftsteller Milan Kundera gesagt. Womöglich sind also die Flüchtlinge, die auf der Suche nach dem europäischen Traum nach Europa kommen, europäischer als so mancher Politiker in Europa.

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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