IS-Unterstützer in Deutschland:Verfassungsschutz sucht nach weiteren Terroristen, die als Flüchtlinge getarnt sind

Anti-Terror-Razzien in Norddeutschland - Haftprüfung beim BGH

Drei Männer mit syrischen Pässen wurden am Dienstag in Schleswig-Holstein festgenommen.

(Foto: Uli Deck/dpa)
  • Die Festnahme dreier Syrer, die vom IS nach Deutschland geschickt wurden, ist ein Erfolg für die Behörden. Doch niemand weiß, wie viele weitere Menschen im Auftrag der Terrororganisation nach Europa kommen.
  • Mit der Strategie, Terroristen als Flüchtlinge zu tarnen, will der IS Misstrauen schüren und die Ausgrenzung von Muslimen fördern.

Von Georg Mascolo

Im April dieses Jahres war Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen zu Gast im Innenausschuss des Bundestages. Es ging wieder einmal um die Sicherheitslage und irgendwann auch um die Frage, warum die Sicherheitsbehörden zunächst davon ausgegangen waren, dass der sogenannte Islamische Staat (IS) den Flüchtlingsstrom nicht dazu nutzen würde, Terroristen nach Europa einzuschleusen.

Maaßen räumte ein, man habe das falsch eingeschätzt. Dem IS sei eine "kaufmännische Haltung" unterstellt worden, sagte Maaßen Teilnehmern zufolge. Man habe angenommen, dass er bereits genügend Unterstützer in Europa habe, die zu Terroranschlägen bereit seien, und deshalb das Risiko scheuen werde, eigene Leute ohne Sprach- und Ortskenntnisse auf die Reise zu schicken.

Maaßen sagte, der IS habe ein "klares politisches Zeichen" setzen wollen, um zu zeigen, dass Europas Sicherheitsbehörden nichts gegen eine Einschleusung von Attentätern unternehmen könnten. Der Verfassungsschutz habe nun reagiert und suche intensiv nach Verdächtigen, die über die Flüchtlingsroute nach Deutschland gekommen seien. Man sei, so deutete Maaßen an, inzwischen auch erfolgreich.

Einer der Erfolge: die Festnahme dreier Syrer in Schleswig-Holstein

Am vergangenen Dienstag machte einer dieser Erfolge nun Schlagzeilen, Spezialeinheiten der Polizei verhafteten in Schleswig-Holstein drei Syrer, die im Herbst 2015 vom IS nach Deutschland geschickt worden sein sollen. Die monatelangen Ermittlungen des Generalbundesanwalts und des Bundeskriminalamts (BKA) gingen auf Hinweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und ausländischer Nachrichtendienste zurück.

Die drei Syrer waren mit Pässen aus einer Serie gereist, die dem IS in Syrien in die Hände gefallen war. Auch nutzten sie dieselbe Schlepper-Organisation wie schon zwei als Flüchtlinge getarnte Terroristen, die sich im vergangenen November vor dem Pariser Fußballstadion Stade de France in die Luft sprengten.

Die gute Nachricht zu den Festnahmen ist, dass sich Verdächtige identifizieren lassen, auch wenn der Aufwand hierfür enorm ist; schon weil der IS die entsandten Attentäter mit Handys samt aufgespielter Verschlüsselungstechnik auf die Reise schickte.

Die Schlechte ist, dass niemand weiß, wie viele Menschen der IS auf die Reise geschickt hat. Nicht einmal Schätzungen gibt es, aber eine Reihe von Ermittlungen, die denen in Schleswig-Holstein ähneln. Offiziell meldet das BKA 63 Verdachtsfälle, aber manchmal geht es nur darum, dass jemand ein verbotenes IS-Symbol verwendet haben soll.

Zwei Attentäter von Paris waren die ersten als Flüchtlinge registrierten Terroristen

Bereits zu Beginn der Flüchtlingswelle hatte es viele Warnungen und Behauptungen über das Risiko eingeschleuster Terroristen gegeben, aber monatelang erbrachten alle Überprüfungen keinerlei Beleg. Die beiden Attentäter vor dem Stade de France waren dann die ersten, die sich als Flüchtlinge in Griechenland hatten registrieren lassen. Später wurden zwei weitere Männer durch gemeinsame Ermittlungen des BfV und des BKA in einer Flüchtlingsunterkunft in Salzburg festgenommen, auch sie sollten offenbar nach Paris.

Durch ein Geständnis, das er im Februar dieses Jahres auf einer Pariser Polizeistation ablegte, kam die Polizei zudem einem angeblich geplanten großen Anschlag in der Düsseldorfer Altstadt auf die Spur. Der geständige Flüchtling behauptete, er und weitere als Flüchtlinge registrierte Männer hätten an einem Freitag oder Samstag mit Selbstmordattentaten zuschlagen sollen, ein Plot, ähnlich wie in Paris. Aber er wolle nicht, dass seine Tochter einen Terroristen zum Vater habe. An dem Geständnis gibt es noch Zweifel, aber die Männer sitzen in Haft, der Generalbundesanwalt ermittelt. Im Juli dieses Jahres schließlich verhaftete die Polizei einen Algerier in Aachen; er soll als eine Art Wegbereiter für den IS bereits im Sommer 2015 die Balkanroute ausgespäht haben und der Zentrale offene Grenzübergänge und die Wartezeiten an den Übergangsstellen gemeldet haben.

Über die Zahl wagen die Behörden nicht einmal Schätzungen

Aus den Bruchstücken formt sich langsam ein Bild. So gilt als wahrscheinlich, dass die für Anschläge in Europa zuständige IS-Abteilung "Externe Operationen" die Unterstützer geschickt hat. Wann diese Entscheidung getroffen wurde, ist unklar. Wie viele Menschen es sind, ebenso, nicht einmal Schätzungen wagen die Behörden - auch wenn alles dafür spricht, dass es nur eine verschwindende Minderheit unter den Hunderttausenden Flüchtlingen ist. Polizei und Verfassungsschutz suchen nun anhand der bisher festgestellten Muster nach weiteren Verdächtigen.

"Wir müssen realisieren, dass das auch ein Weg des Terrors ist", sagte BKA-Präsident Holger Münch dem RBB mit Blick auf die Flüchtlingsroute. Zumindest was das Ziel dahinter angeht, gibt es wenig Zweifel: Die Bedrohten sollen als Bedrohung erscheinen. Der IS will, dass die Menschen in Europa den zugewanderten Muslimen misstrauen. So sollen diese ausgegrenzt und ansprechbar werden für die mörderische Ideologie des IS.

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