Missionen der Vereinten Nationen sind eigentlich nicht dazu gedacht, religiös motivierte Vertreibungen zu überwachen. Die internationalen Beobachter, die nach dem Votum des UN-Sicherheitsrats nun auf dem Weg nach Aleppo sind, werden aber genau das tun: Sie sollen dafür sorgen, dass der Abtransport Zehntausender sunnitischer Zivilisten aus Ost-Aleppo einigermaßen zivil und friedlich abläuft.
Auf ihrem Weg aus der Stadt heraus werden die Busse aus Aleppo vielleicht auf einen ähnlichen Konvoi treffen, der in der Gegenrichtung unterwegs ist. Die Bewohner der mitten im sunnitischen Rebellengebiet gelegenen schiitischen Dörfer al-Fu'a und Kafraya müssen ihre Häuser ebenfalls verlassen. Wie die Menschen in Ost-Aleppo lebten auch sie lange unter Belagerung. Man kann also von einer Evakuierung zweier Kriegsgebiete sprechen. Genauso berechtigt ist es aber auch, eine religiös motivierte Vertreibung zu beklagen. Syriens Bürgerkrieg wird inzwischen stark von konfessionellen Motive bestimmt.
Als die ersten Bürger im Jahr 2011 gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad demonstrierten, taten sie das nicht, weil die Machtelite des Landes zu großen Teilen aus Alawiten bestand. Die kleine Glaubensgemeinschaft ist nicht identisch mit dem schiitischen Islam, wird aber seinem weiteren Spektrum zugerechnet. Ein Jahr später schickten Iran und die libanesische Hisbollah erste Kämpfer nach Syrien. Heute gleicht der Konflikt einem innerislamischen Weltkrieg. Auf Seiten der Aufständischen sterben neben Syrern auch Tunesier, Marokkaner, Saudi-Araber, Ägypter, Jordanier, Tschetschenen und Albaner. Diese radikalen Sunniten betrachten den Dschihad als ihre Pflicht, sie kämpfen nicht nur in den Reihen der Terrormiliz Islamischer Staat, sondern auch in Gruppierungen wie der al-Qaida nahestehenden ehemaligen Nusra-Front.
Krieg in Syrien:UN-Sicherheitsrat entsendet Beobachter nach Aleppo
Es ist das erste Mal seit Monaten, dass der Sicherheitsrat in Sachen Syrien mit einer Stimme spricht.
Iran nimmt in Syrien Rache für Kerbela
Das Assad-Regime, das sich gerne als letzte Bastion des Säkularismus inszeniert, setzt ebenfalls auf Männer, die einen vermeintlich heiligen Krieg kämpfen: Afghanen, Iraker, Pakistaner, Jemeniten, Iraner, Libanesen und sogar Bangladescher bilden eine schiitische Internationale, die angeleitet von iranischen Offizieren Aleppo für das Regime zurückerobert hat. Kurz nachdem sie die Umayyaden-Moschee in der Altstadt eingenommen hatten, hissten sie dort eine Fahne mit schiitschen Motiven.
Ein Symbol des Triumphes, vor allem auch der Rache: Schließlich war es vor 1300 Jahren ein Kalif der Umayyaden-Dynastie, der in der Schlacht von Kerbela die frühen Schiiten um Imam Hussein massakrierte. Die Niederlage damals bedeutete die endgültige Spaltung des Islams, ihrer gedenken die Schiiten noch heute mit ihrer rituellen Selbstgeißelung am Aschura-Tag.
Teheran rekrutiert die schiitischen Kämpfer für Assad mit dem Versprechen auf attraktiven Lohn - finanziellem auf Erden, immateriellem nach dem Tode. Die iranische Führung träumt von einer schiitischen Landbrücke, vom eigenen Territorium bis ans Mittelmeer. Noch klafft zwischen Irak und Libanon die syrische Lücke. Auf dem Land sollen deswegen erste Missionierungskampagnen laufen; in den Städten öffnen theologische Seminare. Angesichts der gewaltigen sunnitischen Bevölkerungsmehrheit werden die Bekehrer aber noch lange zu tun haben. Deshalb dürfte für Iran die angedachte Flotten- und Militärbasis an der Mittelmeerküste eher von Nutzen sein.
Und Assad? Der hat früh erkannt, dass er seinen Rumpfstaat leichter regieren kann, wenn er die Demografie in den Städten zu Ungunsten der sunnitischen Mehrheiten verschiebt. Die Umsiedelung großer Menschenzahlen ist deshalb Mittel der Kriegsführung. Manche nennen das auch eine religiös motivierte Vertreibung.