Süddeutsche Zeitung

Schießbefehl gegen DDR-Flüchtlinge:Der Unbeirrbare

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Der jetzt entdeckte Schießbefehl für Stasi-Kommandos gegen DDR-Flüchtlinge ist nicht neu, sorgt aber dennoch für Bestürzung. Nur Ex-DDR-Staatschef Krenz bestreitet nach wie vor die Existenz des Befehls.

Auch wenn mittlerweile klar ist, dass der Schießbefehls für Stasi-Kommandos gegen DDR-Flüchtlinge nicht der erste schriftliche Beweis dieser Art ist, der ans Tageslicht kommt: Das jetzt entdeckte Dokument hat für große Bestürzung gesorgt. Die Bundesregierung betonte am Sonntag die Notwendigkeit der weiteren Aufarbeitung der SED-Diktatur. Den Unbeirrbaren gibt hingegen der frühere DDR-Staatschef und SED-Generalsekretär Egon Krenz. Er streitet weiterhin ab, dass für die frühere innerdeutsche Grenze einen Schießbefehl existierte.

In der Bild-Zeitung stellte Krenz die am Wochenende bekanntgewordenen entsprechenden Stasi-Dokumente der Birthler-Behörde in Frage: "Es hat einen Tötungsbefehl, oder wie Sie es nennen "Schießbefehl", nicht gegeben. Das weiß ich nicht aus Akten, das weiß ich aus eigenem Erleben. So ein Befehl hätte den Gesetzen der DDR auch widersprochen", sagte er.

Vize-Regierungssprecher Thomas Steg sagte in Berlin, die Aufarbeitung der SED-Diktatur sei nicht abgeschlossen und werde weiter mit Nachdruck gefördert. "Die friedliche Revolution im Herbst 1989 hat eine zutiefst unmenschliche und unmoralische Diktatur beseitigt." Dies lasse sich gerade unmittelbar vor dem 46. Jahrestag des Mauerbaus am Montag feststellen, "ohne das in Magdeburg gefundene Dokument in seiner historischen Bedeutung abschließend beurteilen zu wollen".

Auch der Bürgerrechtler und letzte DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann (CDU) meinte, der Fund müsse Anlass sein, "die umbenannte SED nach ihrem Schuldeingeständnis zu fragen". Der Fund sei überraschend. "Dass das Grenzregime grausam und faschistoid war, das war bekannt", sagte Eppelmann der Mitteldeutschen Zeitung.

Zeugnis großer Brutalität

Der bedingungslose Schießbefehl war überraschend in der Magdeburger Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde entdeckt worden. "Das Dokument ist deswegen so wichtig, weil der Schießbefehl von den damals politisch Verantwortlichen nach wie vor bestritten wird", sagte Birthler. Das Dokument zeuge von großer Brutalität

Die Birthler-Behörde räumt mittlerweile ein, dass das am Samstag bekannt gewordenes Stasi-Dokument nicht völlig neu sei. Behördenchef Marianne Birthler sagte in der Berliner Zeitung, dass ein gleichartiges Dokument tatsächlich in einer wissenschaftlichen Dokumentation des Christoph-Links-Verlages schon früher erschienen sei, die allerdings öffentlich "nie zur Kenntnis genommen" worden sei. Die Dokumente belegten dennoch die Notwendigkeit der weiteren Aufarbeitung jener Zeit. "Wir sind noch lange nicht am Ende der Aufarbeitung", sagte Birthler.

Das Dokument befahl einer Spezialeinheit des DDR-Geheimdienstes, deren Angehörige als normale Grenzsoldaten getarnt waren, das sofortige Schießen auf flüchtende Grenzsoldaten, selbst wenn diese Frauen und Kinder mitnahmen, wie Andreas Schulze, Sprecher der Stasi-Unterlagenbehörde, erläuterte. Er warnte davor, aus dem nun aufgefunden Dokument auf das gesamte Grenzregime der DDR zu ziehen. "Dieser Befehl galt nicht für alle Grenzsoldaten der DDR, sondern ausschließlich für ein Sondereinsatzkommando der Stasi."

Diese Sondereinheit der Hauptabteilung I war beauftragt, mutmaßliche Deserteure bei der NVA und in den Grenztruppen aufzuspüren und an der Flucht zu hindern. In diesem Fall sollte sofort geschossen werden, auch auf Frauen und Kinder. Gewöhnliche Grenzsoldaten hingegen waren angewiesen, Republikflüchtlinge erst laut anzurufen und mit Warnschüssen oder auch Hunden zu stoppen. Nur im Notfall sollte geschossen werden.

Juristische Folgen sind unwahrscheinlich

Juristische Folgen, etwa ein erneutes Aufrollen von Mauerschützenprozessen, hält der Behördensprecher für unwahrscheinlich. Dazu müsste erst nachgewiesen werden, dass es dadurch nachweislich zu Todesfällen kam, sagte er. Dies ist bisher nicht der Fall. "Es war ein Spezialbefehl für ein Spezialkommando."

Der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte-Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, hatte die Staatsanwaltschaft Magdeburg aufgefordert, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu prüfen. Der Befehl sei eine Lizenz zum Töten, sagte er. Der Auftrag, ohne zu zögern auch auf Frauen und Kinder zu schießen, könne als Anstiftung zum Mord oder Totschlag gewertet werden, eventuell sogar als unmittelbare Tatbeteiligung.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte der Zeitung B.Z. am Sonntag, "der Fund des Schießbefehls demonstriert in erschreckender Weise wie menschenverachtend dieses System war". Am Vorabend des 46. Jahrestages der Mauerbaus am 13. August 1961 sei es ein Denkzettel für all diejenigen, die die Grausamkeit des SED-Regimes gerne in den Geschichtsschubladen verschwinden lassen möchten.

"Es ging darum, Menschen zu vernichten"

Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) wertete das Dokument in MDR-Aktuell ebenfalls als Beleg dafür, "dass die Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen sei". Es fänden sich immer neue Erkenntnisse. "Zum zweiten macht es deutlich, wie verbrecherisch die Stasi letztlich gearbeitet hat, dass es also wirklich darum ging, Menschen zu vernichten, Menschen unter Druck zu setzen. Und dieser Befehl macht deutlich, dass auch keine Gruppe ausgenommen war. Selbst Kinder und Frauen waren inbegriffen."

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ist der Beleg für den Schießbefehl wohl schon seit Jahren bekannt. Die Textpassage, ohne Zögern auch auf Kinder und Frauen zu schießen, sei wörtlich bereits 1997 in einem Dokumentenband zur DDR-Geschichte veröffentlicht worden. Der entsprechende Schießbefehl sei in einem "archivierten IM-Vorgang" gefunden worden und trage die Signatur "BStU, ZA , AIM, 713/76, Bl. 2f.", hieß es weiter.

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