Schicksal eines italienischen Zwangsarbeiters:"Einige von uns sind regelrecht verhungert"

Luigi Poggioli wurde mit 17 Jahren von den Nazis nach Thüringen deportiert - die Geschichte einer unterbrochenen Jugend.

Julius Müller-Meiningen

Es ist das Gesicht eines jungen Mannes, das dunkelblonde Haar zurückgekämmt, ein finsterer Blick unter stark gekrümmten Augenbrauen. Es ist das Gesicht von Luigi Poggioli, damals 17 Jahre alt, ein Foto auf dem vergilbten Ausweis, der die Geschichte seiner unterbrochenen Jugend dokumentiert. "REIMAHG" steht in Großbuchstaben auf der Innenseite des Ausweises. "Ich wusste nie, was das eigentlich bedeutet", erzählt Poggioli heute, er ist inzwischen 81.

Reimahg steht für Reichsmarschall Hermann Göring, nach ihm wurde eine unterirdische Waffenfabrik in Kahla, Thüringen, benannt. Ein Jagdflugzeug sollte hier gebaut werden, deshalb wählte der Gauleiter Thüringens den Namen des Oberbefehlshabers der deutschen Luftwaffe. Gebaut wurde die Fabrik von 1944 an, auch von italienischen Zwangsarbeitern. Einer von ihnen war Luigi Poggioli, der erst vor wenigen Jahren seine Geschichte aufgeschrieben hat und bei den Nachforschungen die Erklärung für die Abkürzung herausfand.

Seine Erinnerung beginnt an einem heißen Julitag des Jahres 1944 in Farini, 40 Kilometer südlich von Piacenza, in den Hügeln der Emilia Romagna, als deutsche Soldaten den damals 17-Jährigen aus dem Bett scheuchten und festnahmen. Der Vater hatte sich im Wald versteckt, man wusste auch im hintersten Dorf der Emilia, dass die Deutschen jeden Mann zwischen 16 und 65 mitnahmen. Luigi hatte Fieber und lag im Bett, das war sein Schicksal.

"Wäre ich nicht im Bett gelegen, ich wäre auch in den Wald geflohen", sagt Poggioli, der heute wieder in seiner Heimat lebt. Mit anderen Männern aus seinem Dorf wurde er nach Berttola gebracht, einem Ort in der Nähe. 150 Menschen, die nicht wussten, was mit ihnen geschah. Von Verona ging es in Viehwaggons nach Deutschland. Erfurt war das Ziel. "Keine Sorge, die Deutschen behandeln Ihren Jungen gut", soll ein Kommandant seiner Mutter gesagt haben, die sich kurz nach der Entführung bei den Soldaten nach ihrem Sohn erkundigte.

"Nur Traurigkeit habe ich gespürt bei meiner Ankunft", erzählt Poggioli. Vorne ein Soldat, dahinter zwei, strenge Bewachung der 14 Männer, die aus Farini angekarrt worden waren. Die Alten seien optimistischer gewesen, meint Poggioli, schließlich sollten sie in ein Dorf gebracht werden und dort vor Bombardements sicher sein. "Ich dachte, das geht nicht gut aus", erzählt der 81-Jährige.

Neun Monate lang musste der Junge im thüringischen Kahla Zwangsarbeit leisten, für Görings Flugzeugtraum. Vier der 14 Männer aus Farini kamen nicht zurück. Drei starben bald nach ihrer Rückkehr. "Mein Leid hat in Kahla begonnen", sagt Poggioli.

Für die Erfurter Firma Klotz und Co. mussten die Italiener als Bauarbeiter Schwerstarbeit leisten. Die erste Aufgabe war ein kleiner Tunnel, erinnert sich Poggioli, dann folgten Hangars an steilen Hängen. "Wir konnten uns kaum auf den Füßen halten, so schwach waren wir." Zu essen gab es dünne Gemüsesuppe. Das Viertel Kastenbrot als tägliche Ration schrumpfte bald auf ein Achtel. Bis zu zwölf Stunden hätten sie am Stück gearbeitet. "Einige von uns sind regelrecht verhungert", erzählt Poggioli. Er selbst habe nach ein paar Monaten nicht einmal mehr 40 Kilogramm auf die Waage gebracht.

"Einige von uns sind regelrecht verhungert"

Im August 1944 wurde seine Gruppe zur Bezahlung zu ihrem Chef in dessen Baracke gerufen. "Es gibt Gehalt! Das konnte ich kaum fassen, so wie wir behandelt wurden." 30 Mark und ein paar Münzen Kleingeld legte der Chef auf den Tisch als Monatslohn. "Es war lächerlich. Auf dem Schwarzmarkt kostete eine Zigarette zwölf Mark.

"Wie ein aufgeblasener Ball"

Ich schleuderte die Kleingeldmünzen aus der Tür und verlangte sofort Brot für mein Geld. Zum Glück war mein Chef ein guter Mann, sonst wäre die Geschichte vielleicht schlecht ausgegangen." Einmal sah er seinem Peiniger sogar ins Gesicht, als Göring persönlich in Kahla die Arbeiten begutachtete. "Wie er dastand, ein aufgeblasener Ball, aber wirklich diabolisch."

Den Deutschen gegenüber hege er keine schlechten Gefühle, meint er heute. "Wie überall gibt es gute und schlechte Menschen. Aber den Nazis nehme ich das alles natürlich übel." Die Hoffnung auf Entschädigung ist bei Luigi Poggioli weitgehend geschwunden. Vor ein paar Jahren sollte er vom italienischen Staat Geld bekommen und eine Ehrenmedaille. "Da sollten aber auch italienische Kollaborateure, die mit den Nazis in Deutschland zusammengearbeitet hatten, ausgezeichnet werden", ruft Poggioli.

Es hieß, es sei zu schwierig zwischen Zwangsarbeitern und Freiwilligen zu unterscheiden. Poggioli hat den Antrag daraufhin nicht abgeschickt, stattdessen hat er seine Erinnerungen weiter aufgeschrieben, die 2006 auf Italienisch veröffentlicht wurden: "Lager 7. Geschichte meiner unterbrochenen Jugend."

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