Schewardnadse zum Kaukasus:"Gefahr eines neuen Kalten Krieges"

Georgiens Ex-Präsident Schewardnadse wirft seinem Nachfolger Abenteuerlust in Südossetien vor. Der GUS-Austritt des Landes sei falsch.

Bernd Oswald und Nino Sologashvili

sueddeutsche.de: Herr Schewardnadse, hat sich Georgiens Präsident Saakaschwili mit dem Einmarsch in Südossetien die Finger verbrannt?

Schewardnadse zum Kaukasus: Der ehemalige sowjetische Außenminister und georgische Ex-Präsident Eduard Schewardnadse im Arbeitszimmer seiner Villa in Tiflis (Archivbild)

Der ehemalige sowjetische Außenminister und georgische Ex-Präsident Eduard Schewardnadse im Arbeitszimmer seiner Villa in Tiflis (Archivbild)

(Foto: Foto: dpa)

Eduard Schewardnadse: Für die Einschätzungen ist es noch zu früh, in der georgischen Gesellschaft herrscht allgemein jedoch die Meinung, die Armee hätte jetzt nicht in Zchinwali einmarschieren müssen. Obwohl wir dazu rechtliche Grundlagen haben: Völkerrechtlich gehört Südossetien ja zu Georgien, es ist unser Territorium, dort wohnt unsere Bevölkerung.

Wie wir von unserem Recht Gebrauch machten und ob das richtig war, ist eine andere Frage. Dies werden uns die Entwicklungen der nächsten Tage zeigen. Der Konflikt ist noch nicht beigelegt. Die russischen Soldaten stehen noch in Gori. Dass Michail Saakaschwili seiner Person als Politiker einen Schaden zugefügt hat, kann man auch daraus ersehen, dass wir in Zchinwali nichts erreicht haben. Wir haben jetzt die Armee zurückgezogen und haben noch dazu hohe Verluste. Also, wir haben ein tragisches Ergebnis. Und wenn wir es nach dem Resultat beurteilen, dann ist der Einmarsch in Zchinwali nicht zu rechtfertigen.

sueddeutsche.de: Ihr früherer Weggefährte Michail Gorbatschow wirft Saakaschwili vor, dieser habe den Einmarsch in Südossetien nur "in dem Gefühl machen können, von einer viel größeren Macht unterstützt zu werden". Hat Saakaschwili wirklich auf militärische Unterstützung der USA gebaut?

Schewardnadse: Das schließe ich aus. Ich kenne die Amerikaner gut und kann mir nicht vorstellen, dass Präsident Bush angeordnet habe, Saakaschwilis Abenteuer zu unterstützen. All das kann man, denke ich, inzwischen schon ein Abenteuer nennen.

sueddeutsche.de: Hätte Saakaschwili nicht von vorneherein wissen müssen, dass er einen Kampf David gegen Goliath eingeht, den er militärisch nicht gewinnen kann?

Schewardnadse: Heute kann man das als einen Fehler bezeichnen, der Georgien und der georgischen Bevölkerung erheblich geschadet hat, und nicht nur ihnen. Auch viele Osseten und Russen sind ums Leben gekommen. Das war unnötig. Ich stehe mit der georgischen Regierung nicht in Kontakt. Als sie die Entscheidung getroffen hatten, haben sie mich nicht um meinen Rat gefragt. Jetzt ist klar, dass sie die Entscheidung, ohne die Bevölkerung zu informieren, hinter verschlossenen Türen getroffen haben. Wenn man einen Krieg beginnt, dann muss die Bevölkerung informiert sein. Das war nicht der Fall.

sueddeutsche.de: Ist der Streit um Südossetien in Wahrheit ein Stellvertreter-Krieg zwischen den USA und Russland?

Schewardnadse: Das glaube ich nicht. Die USA haben ihre Probleme im Irak, in Afghanistan, Iran und so weiter. Wozu benötigen die USA noch ein Georgien-Problem? Wir müssen sehr vorsichtig sein, denn nach meinen Analysen wird für einen neuen Kalten Krieg die materielle Basis bereits jetzt geschaffen. Darunter verstehe ich auch die Stationierung der Radaranlagen in Tschechien. Jetzt kommt Polen dafür ins Gespräch. Dies verärgert natürlich Russland. Deshalb ist die Gefahr über den Beginn eines neuen Kalten Krieges realistisch. Wir müssen sehr wachsam sein.

sueddeutsche.de: Schon zu Ihrer Amtszeit waren Abchasien und Südossetien de facto autonom. Nun wurden die Abspaltungen auch militärisch untermauert. Welchen Sinn macht es noch, dass Georgien den völkerrechtlichen Anspruch auf die Provinzen aufrechterhält?

Schewardnadse: Die Situation wurde natürlich wegen des jetzigen Konflikts deutlich verschärft. Wenn wir in Georgien gehofft hatten, die Konflikte in den nächsten Jahren zu lösen, dann müssen wir diese Hoffnung jetzt weiter in die ferne Zukunft verschieben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr über russisches Großmachtstreben und warum Schewardnadse den Austritt Georgiens aus der GUS für einen Fehler hält ...

"Gefahr eines neuen Kalten Krieges"

sueddeutsche.de: Russland fördert Separatismus in Südossetien und Abchasien, unterdrückt ihn aber in Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien. Kritiker sprechen von der Rückkehr imperialer Tendenzen im Kreml. Sie auch?

Schewardnadse: Dass in Russland imperiale Einstellungen schon seit langem vorhanden sind, muss nicht neu belegt werden. Was die Beziehungen beispielsweise zwischen Russland und Abchasien anbetrifft, bin ich überzeugt, dass, wenn es nur von Russland abhängen würde, es Abchasien keine Unabhängigkeit gewähren wird. Wenn es Abchasien als unabhängig anerkennt - warum sollen dann nicht auch Tschetschenien, Dagestan, Tatarstan oder Baschkiristan das gleiche Recht erhalten? Russland ist ein Vielvölkerstaat. Deshalb muss die Beziehung zu Abchasien angemessen sein. Russland wird Abchasien nicht anerkennen, weil es nicht in seinem Interesse ist.

sueddeutsche.de: Bei wem ist das Großmachtstreben stärker ausgeprägt: Bei Präsident Medwedjew oder bei Ministerpräsident Putin?

Schewardnadse: Das ist eine schwierige Frage. Soweit ich weiß, sind Putin und Medwedjew Gleichgesinnte. Und Medwedjews Erscheinen auf der politischen Bühne wäre nicht ohne Beteiligung Wladimir Putins geschehen. Putin hat einen großen Einfluss, denn er war natürlich acht Jahre Präsident des Landes. Auch in der Staatsduma wird er heute von der Mehrheit unterstützt. Medwedjew ist jedoch Präsident und hat sehr weitgehende Rechte. Ich würde sagen, Putin und Medwedjew sind im Gleichgewicht.

sueddeutsche.de: Moskau will nun nicht mehr mit Saakaschwili verhandeln und fordert seinen Rücktritt. Was würden Sie Ihrem früheren Zögling raten, der maßgeblich an Ihrem Sturz 2003 beteiligt war?

Schewardnadse: Trotz der aktuellen Geschehnisse muss Saakaschwili versuchen, die Beziehungen mit Russland zu verbessern. Auch eine Nato-Mitgliedschaft muss als Ziel weiterverfolgt werden.

sueddeutsche.de: War Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ein guter Vermittler?

Schewardnadse: Der französische Präsident hat eine besondere Rolle, nicht nur für die Unterstützung Georgiens, sondern auch für die Festigung des Friedens in der Region. Was die Beteiligung der Europäischen Union anbetrifft: Je aktiver sie sich in Georgien und überhaupt im Kaukasus engagiert, desto besser wird es sein. Ich würde es persönlich begrüßen.

sueddeutsche.de: Das georgische Parlament hat den Austritt aus der GUS beschlossen. Ist Ihrer Meinung nach dieser Schritt richtig?

Schewardnadse: Der Austritt aus der GUS ist ein Fehler. Mitglied der GUS wurde Georgien während meiner Zeit als Staatsoberhaupt - und damals dachte ich, dass der Beitritt eine wichtige Bedeutung für die Zusammenarbeit mit den damaligen Präsidenten von Russland, Kasachstan, Usbekistan und der anderen Staaten haben würde. Tatsächlich haben wir gemeinsam viel erreicht. Der GUS-Austritt Georgiens wird politisch eher ein Nachteil als ein Vorteil für das Land sein. Mit diesem Schritt werden wir uns von Russland weiter distanzieren.

Eduard Schwardnadse wurde 1985 von Michail Gorbatschow zum Außenminister der Sowjetunion berufen und verkörperte mit diesem die Entspannungspolitik, die schließlich zur deutschen Einheit führte. Nach seinem Rücktritt als Außenminister wurde Schewardnadse 1992 zum Präsidenten seiner Heimat Georgien gewählt. 2003 wurde er unter anderem wegen massiver Korruptionsvorwürfe vom jetzigen Präsidenten Michail Saakaschwili gestürzt.

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