Süddeutsche Zeitung

Pkw-Maut:Wie Scheuer sich an Österreich rächen wollte

Das Nachbarland hatte dem deutschen Verkehrsminister mit der Klage gegen die Maut ein wichtiges Prestigeprojekt verhagelt. Von der geplanten Retourkutsche blieben am Ende nur Kosten übrig.

Von Markus Balser, Berlin

Der Ärger saß tief. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) konnte nach der Maut-Pleite Mitte 2019 die Wut auf den Nachbarn Österreich kaum verbergen. Die Regierung in Wien war es, die mit ihrer Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof das CSU-Prestigeprojekt kippte. Am 18. Juni erklärte der EuGH das Projekt für rechtswidrig. Das sollte Folgen haben. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung spannte das Ressort nur Tage nach dem Urteil Top-Juristen ein, um nun Österreich vor den EuGH zu zerren - in ganz anderer Sache.

Interne Papiere zeigen, wie das Verkehrsministerium vorgehen wollte. Sechs Tage nach dem Debakel sandte das zuständige Referat eine brisante Vorlage an den "Herrn Minister". Es ging um einen dreiseitigen Schlachtplan samt "Entscheidungsvorschlag". Das Papier zieht Parallelen zum "Ablauf im Vertragsverletzungsverfahren AUT gg. DEU zur Infrastrukturabgabe Pkw". Und es zeigt, dass das Ministerium entschlossen war, Österreich schnell zu verklagen. "Kurzfristig" habe man eine Rechtsanwaltskanzlei mit der "Erstellung eines Argumentationspapiers" als "Grundlage für den verfahrenseinleitenden Schriftsatz" beauftragt, heißt es dort.

Im Ministerium notierte man auch gleich, was die Kanzlei liefern soll: Es solle dargelegt werden, dass österreichische Maßnahmen "mit Unionsrecht nicht vereinbar sind". Dazu zählten Scheuers Leute Fahrverbote auf der Inntalautobahn, die Blockabfertigung am Brenner und Ausweichverbote über Landstraßen zum Schutz österreichischer Dörfer vor zu viel Verkehr. Sie behinderten den freien Warenverkehr in der Union, warnte das BMVI. So hatte Österreich auch die Maut-Klage begründet.

Ministerium ließ Gutachten erstellen

Für den Klageplan, den Scheuer damals auch in einer knappen Erklärung öffentlich machte, waren dem Papier zufolge so einige Mittel recht. Der "Schwerpunkt der rechtlichen Argumentation" solle auf "der Rechtfertigung der Einschränkungen aus Gründen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes" liegen. Experten für derartige Fragen hatte das Ministerium an der Hand. Der angefragte Anwalt vertrete Deutschland im laufenden Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Deutschland ja wegen des Verstoßes gegen die Luftqualitätsrichtlinie, hieß es.

Sogar ein Gutachten wurde erstellt. Die Juristen hätten auch Verstöße gegen Unionsrecht festgestellt, schreibt Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger in einer aktuellen Antwort auf eine Frage des Grünen-Verkehrspolitikers Stephan Kühn.

Doch von dem Plan blieben wie schon bei der Maut nur die Kosten. Laut Bilger immerhin einen mittlerer fünfstelliger Betrag für das Gutachten. Das BMVI weist einen Zusammenhang zwischen Klagevorbereitung und Maut-Debakel zurück und versucht sich in Schadensbegrenzung. Schließlich hielten Scheuers Ministeriale schon im vergangenen Sommer fest, das Thema habe "außenpolitische Bedeutung". Man habe auf verschärfte Verkehrsbeschränkungen reagieren wollen, teilt das Ministerium mit. Die Punkte seien dann in einem "Dialogprozess besprochen und gemeinsame Projekte vereinbart worden. Die Einleitung eines Verfahrens sei "zunächst" nicht in Betracht gekommen.

Die Opposition ist verärgert. "Scheuers Versuch einer Retourkutsche gegen Österreich steht symbolisch für seine Verkehrspolitik", klagt Kühn. "Ohne die Dinge in Ruhe zu durchdenken, werden aus dem Bauch heraus Entscheidungen getroffen, die dann meist teuer für Bund und Steuerzahler sind."

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SZ vom 30.09.2020/jael
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