Europa wächst wieder ein wenig enger zusammen, das klingt nach einer guten Nachricht in turbulenten Zeiten: Rumänien und Bulgarien werden am 1. Januar vollwertige Mitglieder des sogenannten Schengen-Raumes, in dem 420 Millionen Europäerinnen und Europäer reisen können, ohne Grenzkontrollen über sich ergehen lassen zu müssen. Den entsprechenden Beschluss trafen die zuständigen Ministerinnen und Minister an diesem Donnerstag bei ihrem Treffen in Brüssel einstimmig. Er steht am Ende eines zähen, für die beiden Staaten manchmal entwürdigenden Gezerres.
Rumänien und Bulgarien gehören der Europäischen Union seit dem Jahr 2007 an. Die Voraussetzungen für den Beitritt in den Schengen-Raum erfüllen sie nach Ansicht der EU-Kommission schon seit mindestens zwei Jahren, aber aufgenommen wurden sie erst im Frühling dieses Jahres – und das auch nur mit Einschränkungen: Die Grenzkontrollen entfielen lediglich bei Flugreisen. Denn gegen eine vollwertige Mitgliedschaft sperrte sich die österreichische Regierung. Bei der Abstimmung vor zwei Jahren wurde sie im Fall Bulgarien auch kurzzeitig unterstützt von den Niederlanden.
Wien: Zu wenig Schutz der EU-Außengrenzen
Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer und sein Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) warfen Rumänien und Bulgarien vor, sie würden sich nicht ausreichend um den Schutz ihrer EU-Außengrenzen kümmern, vor allem jener zur Türkei. Auf diesem Weg irregulär ins Land kommende Migranten würden die beiden Regierungen unkontrolliert weiterziehen lassen, rügten die Österreicher, und ankommen würden die Flüchtlinge bevorzugt im österreichischen Burgenland.
Nun aber hat die Regierung in Wien den Weg freigemacht. Statt „Schengen Air“ gilt für Rumänien und Bulgarien vom 1. Januar 2025 an auch „Schengen Land“.
„Österreich hat sich mit harter, aber konstruktiver Politik durchgesetzt und Europa sicherer gemacht“, sagte zuletzt Innenminister Karner. Er macht seinen Erfolg an Zahlen fest. 2022, im Jahr des österreichischen Schengen-Vetos, habe Österreich bis Oktober 70 000 irreguläre Grenzübertritte im Burgenland registriert, in diesem Jahr nur noch 4000. Die Tendenz gehe gegen null.
Bulgarien und Rumänien würden auch Flüchtlinge, für deren Asylantrag sie nach den Dublin-Regeln zuständig sind, problemlos aus Österreich zurücknehmen, sagte Karner. Die österreichischen Bedenken seien also ernst genommen worden. Ende November schloss Karner in Budapest mit den Kollegen aus Ungarn, Rumänien und Bulgarien noch eine Vereinbarung mit dem Ziel, bei Grenzkontrollen stärker zusammenzuarbeiten. Damit war der Weg frei.
Die Neuzugänge tragen eine besondere Verantwortung
Der Schengen-Raum ist benannt nach dem Ort in Luxemburg, an dem die Staaten 1985 und dann 1990 die Verträge über das grenzkontrollfreie Reisen unterzeichneten. Beteiligt waren am Anfang nur Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande.
Mittlerweile gehören 29 Länder dem Raum an. Dazu zählen mit Ausnahme von Irland und Zypern sämtliche EU-Staaten sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz als Mitglieder der Europäischen Freihandelsassoziation. Sie alle bilden den weltweit größten Raum des freien Personenverkehrs. Allerdings haben viele Regierungen, darunter die deutsche und die französische, zuletzt wieder Kontrollen eingeführt, um irreguläre Migranten abzuwehren.
Die Hürden für einen Beitritt sind hoch. Die Länder im Schengen-Raum verpflichten sich, in Sicherheitsfragen eng zusammenzuarbeiten. Das reicht von der Erteilung von Visa über die Fahndung nach Verbrechern bis hin zur Kontrolle von Migranten.
Länder mit EU-Außengrenzen wie Bulgarien und Rumänien tragen eine besondere Verantwortung, weil sie den gesamten Raum schützen müssen. Die beiden Länder dokumentieren ihren guten Willen auch, indem sie für die EU an ihren Grenzen ein Pilotprojekt betreiben. Es handelt sich um große Flüchtlingslager, in denen die vor Kurzem beschlossenen neuen Asylregeln mit beschleunigten Verfahren und schneller Abschiebung erprobt werden. Menschenrechtsorganisationen werfen vor allem der bulgarischen Regierung vor, Migranten schlecht zu behandeln, um den Schengen-Beitritt zu ermöglichen.
Die Migrationslage hat sich in Europa insgesamt entspannt
Es sind allerdings Zweifel angebracht, ob die Flüchtlingszahlen in Österreich wirklich allein dem harten Kurs von Nehammer und Karner geschuldet sind. Laut EU-Statistiken hat sich die Migrationslage in Europa insgesamt entspannt. Die Zahl der irregulär angekommenen Migranten sank im Vergleich zum Vorjahr in der EU um 40 Prozent, in Bulgarien und Rumänien ist der Rückgang noch ausgeprägter.
Und zur Wahrheit des Schengen-Beitritts von Rumänien und Bulgarien gehört auch, dass mittlerweile die österreichischen Parlamentswahlen stattgefunden haben. Nehammer und Karner, zwei Politiker der konservativen ÖVP, wollten mit ihrem Veto gegen Rumänien und Bulgarien ganz offensichtlich den Rechtspopulisten von der FPÖ den Wind aus den Segeln nehmen. Das Wahlergebnis lässt vermuten: Es hat nicht geklappt.
Die österreichische Blockade hatte einen hohen Preis. Der Tourismus in Rumänien und Bulgarien litt unter den Grenzkontrollen. Lkws standen stundenlang an den Grenzen im Stau, Lieferketten verzögerten sich. Die rumänische Regierung rechnete vor, ihr seien dadurch jährlich zehn Milliarden Euro verloren gegangen, die bulgarische sprach von einer Milliarde.
Hinzu kommt, dass sich die Menschen brüskiert fühlten. Der Eindruck, in Europa nur Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse zu sein, war wohl auch ein Grund, warum der rechtspopulistische rumänische Präsidentschaftskandidat Călin Georgescu im mittlerweile annullierten ersten Wahlgang so viele Stimmen erhielt.