Zehn Jahre kämpfte Stephan S. vor Gericht. Um seine Tochter und auch um seinen Ruf. Als das Mädchen ein Jahr alt war, zog seine Frau zu einem anderen. Das Kind nahm sie mit und beschuldigte S., der seinen vollen Namen in der Zeitung nicht lesen will, die Kleine sexuell missbraucht zu haben. Über Jahre tobte ein Rechtsstreit um Umgang und Sorgerecht, und um diesen Vorwurf. Letztlich wurde die Frau verurteilt, sie gestand, ihn vorsätzlich falsch des Missbrauchs beschuldigt zu haben. Stephan S. gab nie auf, das hat sich gelohnt. Mittlerweile lebt die 18-jährige Tochter beim Vater.
Zehn Jahre Rechtsstreit - mit dieser langen Verfahrensdauer nimmt der Fall von Stephan S. und seiner Tochter einen Spitzenplatz ein in einer Statistik, die der Verein "Väteraufbruch für Kinder" am heutigen Donnerstag unter dem Titel "Bis das Kind zerrieben ist" vorlegte. Doch auch viele andere Verfahren dauern lang - zu lang, wie der Vorsitzende Markus Witt beklagt. Auch der Europäische Gerichtshof sieht das so, mehrmals hat er Deutschland wegen dieser langen Verfahrensdauer verurteilt.
Im Februar 2019 starteten Witt und seine Mitstreiter eine Umfrage, um zu erfahren, ob sich mittlerweile etwas geändert hat. Doch das ist den Erkenntnissen des Vereins zufolge nicht geschehen, im Gegenteil. Die letzten familienrechtlichen Reformen hätten sogar zu einer deutlichen Verschärfung des Streits und der gerichtlichen Verfahren geführt, so Witt. Die durchschnittliche Verfahrensdauer habe sich erhöht. "Die Ergebnisse haben uns selbst schockiert."
Kerstin K. hat ihren Sohn seit 2017 nicht gesehen
Demnach findet der erste Anhörungstermin, der nach dem Gesetz innerhalb eines Monats angesetzt sein sollte, durchschnittlich erst nach rund einem halben Jahr statt. An Oberlandesgerichten werde diese gesetzliche Monatsfrist - eine Soll-Regel - sogar überhaupt nicht beachtet. Zwar könnten etwa 40 Prozent der Verfahren im ersten Termin zum Abschluss gebracht werden. Doch Verfahrensdauern von einem Jahr und mehr seien sowohl an Amts- als auch an Oberlandesgerichten die Regel, zwei und mehr Jahre nicht ungewöhnlich.
Für Kerstin K. wird die lange Verfahrensdauer zunehmend zum Problem. Seit 2017 hat sie ihren mittlerweile elfjährigen Sohn nicht mehr gesehen. Der Vater verweigert den Umgang, die Mutter habe den Sohn geschlagen, behauptet er. In einem Gutachten wurde festgestellt, dass das nicht stimmte. Doch dauerte es ein Jahr, bis überhaupt ein erster Vergleich geschlossen wurde. Um sich dem Kind behutsam anzunähern, sollte Kerstin K. ihrem Sohn Briefe schreiben, die eine Therapeutin mit ihm besprechen sollte. "Eigentlich eine gute Sache", sagt sie. Doch der Vater brach die Therapie des Sohnes ab, Sanktionen gab es nicht. Mittlerweile sind sie im dritten Verfahren.
Was sich die Mutter wünschen würde? "Ich möchte, dass Richter besser geschult werden", sagt sie. Auch um zu erkennen, was so lange Verfahrensdauern mit den Kindern machten. Die Entfremdung, die durch vorenthaltenen Umgang entstehe, sei oft nicht mehr wettzumachen.
Kerstin K. hat an der Umfrage nicht teilgenommen - weil sie noch in dem Verfahren steckt, wie sie sagt. Doch viele taten es, vor allem Menschen in ähnlich hochstrittigen Prozessen. Letztlich ist die Erhebung nicht repräsentativ, durch ihre Detailtiefe aber durchaus aussagekräftig. Angegeben werden mussten Gerichtsort, Gerichtsart und Aktenzeichen, um alles nachprüfbar zu machen. Die Befragung erfolgte anonym. Angenommen wird, dass mehr Väter als Mütter teilnahmen. In 80 Prozent der Fälle waren es die Väter, die die vorliegenden Verfahren anstießen. Dennoch sieht der Verein Väteraufbruch hier keine Geschlechter-Frage. "Es ist ein systemisches Problem", sagt der Vorsitzende Witt. "Uns ist wichtig, dass wir aus diesem Geschlechterkampf herauskommen." Richter müssten den Eltern helfen, trotz Trennung zum Wohl des Kindes zusammenzuarbeiten.
Manche Gerichte, glaubt der Verein, spielten bewusst auf Zeit
Lange Verfahren, immer wieder Anhörungstermine konterkarierten diese Forderung. Jedes Verfahren stelle eine Belastung für Eltern und noch mehr für die Kinder dar. Der Gesetzgeber müsse endlich ein Familienrecht schaffen, "bei dem Eltern bereits außergerichtlich und mit einer hohen Verbindlichkeit zur Einigung unterstützt werden". Sinnvoll sein könnten hier verpflichtende Beratung und Mediation, "ebenso wie ein Unterhaltsrecht, welches keinen Streit um die Betreuungszeiten aufgrund des Geldes auslöst".
Positiv beurteilt die Väter-Initiative, dass Kinder während der Verfahren mittlerweile in den meisten Fällen von Verfahrensbeiständen begleitet werden. Bedenklich sei allerdings, dass diese Personen nach wie vor keine Mindestqualifikationen erfüllen müssten. Überaus kritisch sei die Funktion der Gutachter zu hinterfragen. Ihre Bestellung ziehe die Verfahrensdauer weiter in die Länge.
Insgesamt sieht der Verein eine hohe Verantwortung der Richter für eine zügige und beschleunigte Führung in den sogenannten Kindschaftsverfahren. Wenn es ein Elternteil darauf anlege, habe er die Möglichkeit, die Prozesse um Jahre zu verzögern und dadurch Fakten zu schaffen. "Wer das Kind hat, hat ein Faustpfand", sagt Witt. Gerichte dürften vor einem solch "eskalativen Verhalten" nicht kapitulieren.
Über andere Gründe, warum die Prozesse so lange dauerten, könne nur spekuliert werden, so die Verfasser: Dienst nach Vorschrift, Überlastung, Desinteresse oder ein bewusstes Ignorieren in der Hoffnung, "dass sich einige Probleme mit der Zeit erledigen". Manchmal spielten Gerichte aus ihrer Sicht sogar bewusst auf Zeit, "um später mit Kontinuität oder einer verfestigten Entfremdung zu argumentieren". Das Recht der Kinder auf beide Elternteile stehe häufig nicht im Mittelpunkt.
Die Ergebnisse machten betroffen, schreibt ein Richter
Der Studie angefügt ist auch die Stellungnahme eines Richters. Die Ergebnisse machten betroffen, schreibt Hans von Bülow, Familienrichter am Amtsgericht Brandenburg. Aus seiner Sicht aber sollte die Beschleunigung der Verfahren nicht Selbstzweck sein. Eine lange Verfahrensdauer sei an sich nicht zu verurteilen. "Ein Beschluss zum Umgang ließe sich nach einem ersten Termin nahezu immer schreiben", so Bülow. "Nur: nutzt den Familien ein solcher Beschluss? Löst er die Sprachlosigkeit der Eltern?"
Was ihn betroffen mache, sei "die Bitternis und die tiefe Skepsis gegenüber der Arbeit der Familiengerichte", die aus den angefügten Zitaten von Betroffenen herauszulesen sei.
Der Schlüssel zu einem gelungenen Verfahren liegt seiner Meinung nach in einer besseren Fortbildung der Richter auf dem Gebiet der Familienpsychologie, in einem intensiveren Austausch der Professionen und in der "Nachsorge". Nachdem das Gericht einen Beschluss gefüllt hat, gehe es darum, die Familien länger und enger zu begleiten, zum Beispiel durch Umgangspfleger.