Scharia in Malaysia:"Schlechtes Bild des Islam"

Lesezeit: 2 min

Der Premier kritisiert die Anwendung islamischen Rechts, nachdem zwei Frauen ausgepeitscht worden waren, die angeblich eine Beziehung hatten.

Von Arne Perras, Singapur

George Varughese, Chef der malaysischen Anwaltskammer, war nach der öffentlichen Auspeitschung zweier Frauen außer sich: "Es ist eine harsche und barbarische Form der Bestrafung, mit dauerhaften psychologische Folgen, sie hat keinen Platz in einer modernen und mitfühlenden Gesellschaft wie der Unseren," protestierte der Jurist in einem offenen Brief. Kurz zuvor hatte ein Scharia-Gericht im Bundesstaat Terengganu zwei Frauen, 22 und 32 Jahre alt, zu sechs Hieben mit der Rattanrute verurteilt. In den Augen der islamischen Gesetzeshüter waren die beiden eines schweren Vergehens überführt worden: In einem Auto hatten sie angeblich versucht, Sex miteinander zu haben. Mehr als hundert Menschen sahen zu, als die beiden Frauen ausgepeitscht wurden.

Homosexuelle müssen sich in Malaysia verstecken, gleichgeschlechtliche Handlungen sind dort sowohl nach säkularem Recht als auch nach der Scharia illegal. Das Land verfügt über ein zweigleisiges Rechtssystem, für Muslime können dort auch islamische Gesetze angewendet werden. Eine öffentlich vollzogene Prügelstrafe für lesbische Frauen hatte es in dem Vielvölkerstaat, der überwiegend von muslimischen Malaien bevölkert wird, noch nie gegeben.

Ein lokaler Regierungsvertreter verharmloste die Brutalität der Auspeitschung. Sie sei nur eine "Lektion" für die beiden Frauen gewesen, aus der sie lernen sollten. Menschenrechtler regierten weltweit mir harscher Kritik. Schließlich meldete sich auch Malaysias Premier Mahathir Mohamad zu Wort, ein Mann, der nicht bekannt dafür ist, sich für die Rechte von Homosexuellen stark zu machen. Früher hatte er keine Skrupel, die Gesetze auszunützen, um seinen Ex-Rivalen Anwar Ibrahim hinter Gitter zu verfrachten. Doch nach der Bestrafung der Frauen klagte Mahathir: "Dies zeichnet ein schlechtes Bild des Islam." Die Religion erschiene hart und grausam und das sei ein Fehler, sagte der Premier. Auch Anwar Ibrahim, der sich nach außen hin wieder mit Mahathir versöhnt hat und nun darauf wartet, ihn als Regierungschef zu beerben, kritisierte die Prügelstrafe: "Ich bin ein praktizierender Muslim, aber ich teile diese Interpretation nicht". Anwar, der im Nahen Osten studierte, sagte, er sei kein Gegner der Scharia, "aber man muss sich auf deren höheren Ziele besinnen, auf Erziehung, Sicherheit, Toleranz, Verständnis."

Der religiöse Konservatismus wird durch Geld und Ideologie aus dem Nahen Osten befördert

Das öffentliche Verprügeln nach islamischem Recht ist längst kein Einzelfall mehr in Südostasien, als Vorreiter gilt die ultra-konservative indonesische Provinz Aceh. Während sich die Staaten der Region technisch und wirtschaftlich immer weiter modernisieren, fällt Analysten auf, dass sich gleichzeitig vielerorts ein religiöser Konservatismus breitmacht, befördert durch Geld und Ideologie aus dem Nahen Osten. In diesem gesellschaftlichen Klima erscheint das öffentliche Auspeitschen von Verurteilten zunehmend hoffähig.

In Malaysia hat die weltweite Kritik die religiösen Tugendwächter kaum gebremst, auch im Bundesstaat Kelantan suchen sie nun nach geeigneten Plätzen für öffentliche Auspeitschungen, sogar ein Sportstadium soll dort auf seine Tauglichkeit für das grausige Spektakel überprüft werden.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: