Designierter Bundestagspräsident:Schäuble, der AfD-Dompteur

Bundestag

"Wenn einer ein so schwieriges Leben meistert, dann hat er auch die Kraft, einen Staat zu führen", hat Theo Waigel einst über Wolfgang Schäuble gesagt. Wer einen Staat führen könnte, der kann den Bundestag führen.

(Foto: Tim Brakemeier/dpa)
  • 1983 zogen die Grünen neu ins Parlament ein - dem Bundestagspräsidenten Rainer Barzel fiel es zu, sie von der Protestbewegung zur Parlamentspartei zu bändigen.
  • Wolfgang Schäuble ist im 19. Bundestag sein designierter Nachfolger. Er wird die AfD in den politischen Betrieb integrieren müssen.
  • Schäuble ist für das Amt hervorragend geeignet - und kann von Barzel viel lernen. Nur seinen Zorn wird er bändigen müssen.

Von Heribert Prantl

Es gab schon einmal so einen wie Schäuble. Es gab schon einmal einen, dem man das zutraute, was man jetzt Schäuble zutraut. Auch von dem Mann damals sagte man, wie heute von Schäuble, er sei eine politische Persönlichkeit und an Erfahrung nicht zu übertreffen; genau deshalb müsse er - angesichts neuer Zeiten im Parlament - Parlamentspräsident werden. Das ist nun gut 34 Jahre her. Der Mann hieß Rainer Barzel.

Damals, 1983, hatte die vorgezogene Neuwahl mit einer Überraschung geendet: Die Grünen, damals noch mehr Protest- als Parlamentspartei, kamen erstmals in den Bundestag. Und bei den damals etablierten Parteien saß die Sorge tief, dass diese Grünen den Bundestag zur Aktionsbühne für allerlei Spektakel nutzen könnten. Würden die Grünen das Parlament aus dem Tritt oder das Parlament die Grünen in den Tritt bringen? Heute sind es die AfD-Abgeordneten, die den anderen Parteien ähnliche, aber noch viel größere Sorgen bereiten - weil unter den Neuen nicht nur, wie damals, Chaoten und Spinner sitzen, diesmal anders gefärbt, sondern auch, sehr eindeutig gefärbt, Neonazis.

Barzels Amtszeit endet mit der Affäre Flick

Damals, 1983, wurde Rainer Barzel zum Bundestagspräsidenten gewählt, weil man ihm die parlamentarische Domestizierung der Grünen zutraute. Rainer Barzel, CDU, war ein ausgefuchster, redestarker Mann, der 1972 fast Bundeskanzler geworden wäre. Damals war aber, völlig überraschend, das von ihm betriebene Misstrauensvotum gegen Kanzler Willy Brandt gescheitert - Brandt blieb Regierungschef, Barzels Karriere knickte. Seine Amtszeit als Bundestagspräsident im grün gewordenen Parlament - gewählt mit 407 von 509 Stimmen - war nicht lang; er geriet nach nur einem Jahr und sieben Monaten in den Strudel der Flick- und Parteispendenaffäre. Aber in dieser kurzen Zeit gelang es ihm (nicht mit harter Hand, wie es sich die Union von ihm gewünscht hatte), aber mit einiger Raffinesse, mit parlamentarischer Klugheit und souveräner Gelassenheit, die Neulinge halbwegs zu integrieren.

Berühmt ist die Szene vom 21. November 1983, als es im Bundestag um die Nachrüstung, also um den Nato-Doppelbeschluss, ging. Diese fiel in eine turbulente Zeit: Bereits im Oktober hatten eine halbe Million Menschen einen Stern gebildet, der die Botschaftsgebäude der fünf Atommächte verband, im Bonner Hofgarten sprach Willy Brandt gegen Massenvernichtungswaffen, quer über die Schwäbische Alb reihte sich eine Menschenkette und 150 000 Demonstranten bildeten einen Ring rund ums Regierungsviertel. Wasserwerfer schützten den Bundestag. Barzel eröffnete die Sitzung im Parlament, die Abgeordneten setzten sich, nur die Grünen blieben demonstrativ stehen. Barzel sprach sie ruhig und sonor an: Der Bundestag pflege zwar im Sitzen zu beraten, aber er als Präsident wolle niemanden hindern, der Rede Helmut Kohls stehend "den Respekt zu erweisen. Das Wort hat der Herr Bundeskanzler". Die Grünen nahmen Platz.

Schäuble kann bissig sein, grantig, knurrig - aber auch witzig und kokett

So schlagfertig kann Schäuble auch sein. Und Schäuble hat noch viel mehr parlamentarische Erfahrung, als Barzel sie seinerzeit haben konnte: Seit fast 45 Jahren sitzt Schäuble nun im Bundestag; so lange gab es damals, als Barzel mit den Grünen umgehen musste, die Bundesrepublik noch gar nicht. Dafür hat Schäuble es jetzt um einiges schwerer. Barzel hat damals das Eis dadurch brechen können, dass er noch als designierter Bundestagspräsident zu dem damals grünen Otto Schily hinging und ihm lange die Hand schüttelte: "Keiner wird uns die Achtung je entgegenbringen, wenn wir uns nicht, zunächst, untereinander Achtung erweisen." So redete damals Barzel. Soll, darf, wird Schäuble so jetzt mit Alexander Gauland reden - dem Mann, der früher bei der CDU war und heute ganz weit rechtsaußen steht?

Schäuble hat die politische Metamorphose vom Schwergewicht zum Superschwergewicht hinter sich. Es bleibt also als Steigerung eigentlich nur noch das amorph-lächerliche Wort Urgestein, das im Zusammenhang mit Schäubles Wahl zum Bundestagspräsidenten gewiss wieder aufgerufen werden wird. Eine Wandlung vom alten Hasen zum Urgestein ist aber immer noch besser als die zum alten Esel. Der ist Schäuble nicht. Er ist 75, nur eineinhalb Jahre jünger als Gauland, aber trotz seines Handicaps unglaublich zäh und unglaublich schlagfertig. Schäuble kann bissig sein, grantig, knurrig - aber auch witzig und kokett, er kann die Leute fertigmachen und er kann sie charmieren, er kann den Philosophen geben und den Polterer; Schäuble hat viele Gesichter. Als Bundestagspräsident wird er der souveräne Mediator sein müssen.

Die Rede seines Lebens hielt Schäuble am 20. Juni 1991

Schon vor zwei Jahren konnte man Wolfgang Schäuble, da war er Finanzminister und geschmäht als Zuchtmeister der Südeuropäer, in Präsidentenpose sehen - es war in der Schlussszene des ARD-Dokumentarfilms über ihn von Stephan Lamby, "Macht und Ohnmacht" hieß der Film. Schäuble, der Preuße aus Südbaden, saß nachdenklich und verschmitzt zugleich vor seinem Interviewer. Das Harte, das Schneidende, das Schäuble durchaus haben kann - es wurde in diesen Minuten grandios überspielt von dem altersweisen Schäuble, der weiß, dass er wichtig ist, aber sich nicht so wichtig nimmt; der alte Wolfgang saß da als Alter Fritz, als Preuße aus Südbaden.

Schäuble war und ist ein Machtmensch, aber einer, der gelernt hat, die Macht anderer zu ertragen; erst die von Helmut Kohl, dann die von Angela Merkel. Einen anderen als Schäuble hätte der Zorn aufgefressen - der Zorn über ein Schicksal, das ihn zum Krüppel gemacht hat; der Zorn über Kohl, dem er treu gedient, der es ihm aber nicht gedankt hat, der nämlich einfach nicht loslassen wollte von seiner Kanzlerschaft, sie nicht in jüngere, nicht in Schäubles Hände übergab; der Zorn über Merkel, die ihm das Bundespräsidentenamt nicht gönnte. Trotz alledem: Schäuble blieb stoisch; vielleicht hat ihn das seine Behinderung gelehrt. So ist er Herkules und Hiob zugleich geworden.

Er tut sich immer wieder schwer, die Schwächen anderer zu ertragen

Schäuble hat nicht nur schon fast alle Posten bekleidet, die es in der Politik so gibt; er hat auch schon die unterschiedlichsten politischen Linien gezogen. Es gab eine Zeit, da galt er als Hardliner, als Deutschnationaler fast. Er wollte die Bundeswehr als Notpolizei bei Gefährdung der inneren Sicherheit einsetzen; er konnte gar nicht genug von nationaler Identität und von Leitkultur reden, er trug als Oppositionschef 1999 die wilde Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft mit. Er hat aber auch Parteitagsreden gehalten, wie sie grüner kaum ein Grüner halten kann und die Ökologie zum Kernthema der CDU erklärt. Er rief die Islamkonferenz ins Leben, um die Integration der Muslime in Deutschland zu verbessern. Und schon 1994, vor 23 Jahren, hat er die Grüne Antje Vollmer (gegen die SPD) zur Bundestagsvizepräsidentin gemacht. Er ist eine Sphinx.

Schäuble war und ist an vielen Fronten der Politik zu Hause; da gibt es kaum etwas, das er noch lernen muss; aber eines wird er noch lernen müssen: Er tut sich immer wieder schwer, die Schwächen anderer zu ertragen - und manchmal geht dann ein diabolischer Zorn mit ihm durch. Diese Schwäche wird er sich als Bundestagspräsident nicht leisten können.

Theo Waigel, der frühe CSU-Finanzminister und CSU-Chef, hat einmal über Schäuble gesagt: "Wenn einer ein so schwieriges Leben meistert, dann hat er auch die Kraft, einen Staat zu führen". Das war in der Zeit, als Schäuble sehr zu Recht als Bundespräsident im Gespräch war. Wer einen Staat führen könnte, der kann ganz gewiss den Bundestag führen.

"Die Selbstheilungskräfte der Gesellschaft überschätzt"

Der Bundestag ist der Ort, an dem Schäuble die Rede seines Lebens gehalten hat - am 20. Juni 1991. Im dicken Taschenbuch, das alle Reden dieses denkwürdigen Tages sammelt, füllt Schäubles Rede zwar nur vier Seiten. Aber auf diesen vier Seiten steht eine der großen politischen Reden der Geschichte der Bundesrepublik: Selbst in der Nüchternheit des Protokolls spürt man die Erregung des historischen Augenblicks, so erregend wie zuvor die Unterzeichnung des deutsch-deutschen Einheitsvertrags, den Wolfgang Schäuble für die Bundesrepublik verhandelt hatte: "Abgeordnete der CDU/CSU und der SPD erheben sich", heißt es da, und der "Abg. WillyBrandt (SPD) gratuliert Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU)". Dieser große Moment war der Beginn des zweiten Lebens des Wolfgang Schäuble, nachdem das erste sein Ende gefunden hatte durch die Geco Revolverpatrone eines Attentäters. Mit dieser Rede beginnt die neue Karriere Schäubles; mit dieser Rede nämlich ist Berlin an Stelle Bonns deutscher Regierungssitz geworden.

Über seine Verhandlungen zur deutschen Einheit hat Schäuble zehn Jahre später in dieser Zeitung gesagt: "Schnell nur konnte es gelingen." Der Jurist hat aber damals, er selbst hat das eingestanden, "die Selbstheilungskräfte der Gesellschaft überschätzt". Schäuble dachte, wenn man die Deutschen nur machen lässt, würde sich die Bürgergesellschaft schnell aufbauen - und die unterschiedlichen Biografien in Ost und West würden dann schnell überwunden. Da hat er sich getäuscht. Als Bundestagspräsident wird Schäuble mit daran arbeiten können, das nachzuholen.

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