Jubiläum im Bundestag:"Vielleicht ein Gedanke ..."

Jubiläum im Bundestag: Applaus für Wolfgang Schäuble (Mi.) zu seinem Jubiläum im Bundestag.

Applaus für Wolfgang Schäuble (Mi.) zu seinem Jubiläum im Bundestag.

(Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Wolfgang Schäuble ist seit 50 Jahren Bundestagsabgeordneter. Das hat vor ihm noch niemand geschafft. In seiner kurzen Rede hat der Christdemokrat einiges zu sagen.

Von Boris Herrmann, Berlin

Er hatte sich fest vorgenommen, sich kurz zu fassen. Es sollte ja keine Abschiedsrede werden oder gar ein Vermächtnis. Andererseits gäbe es nach einem halben Jahrhundert in der Politik ja schon einiges zu sagen, etwa zum Zustand der Demokratie in Deutschland oder zur aktuellen Weltlage.

Wolfgang Schäuble, 80, könnte über all das lange Vorträge halten, vor wenigen Tagen am Telefon sprach er von einer Versuchung, der er widerstehen wolle. Das ist ihm am Donnerstagsmorgen im Plenarsaal nur bedingt gelungen.

Seit dieser Woche gehört der südbadische CDU-Politiker Schäuble dem Bundestag 50 Jahre lang ununterbrochen an. Das hat vor ihm keiner geschafft und wird so schnell auch niemand mehr schaffen. In dieser, seiner 14. Wahlperiode, findet er sich in einer seltsamen Doppelrolle wieder.

Nur noch Hinterbänkler, aber auch Elder Statesman

Einerseits ist er nur noch ein Hinterbänkler, andererseits pflegt er sein Image als Elder Statesman des Parlaments - vor allem dadurch, dass er sich nicht mehr ins politische Tagesgeschäft einmischt. Seit dem 26. Oktober 2021, dem Tag seines Abschieds als Bundestagspräsident, hatte Schäuble im Plenum nicht mehr gesprochen. Anlässlich seines Dienstjubiläums hat er nun seine Redepause beendet.

Ein Rekordparlamentarier wie er weiß natürlich um diesen besonderen Moment: Letzter Donnerstag der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten - da hat die Tagesordnung traditionell Überlänge und das Plenum eigentlich wenig Lust auf lange Feierstunden. Als Schäuble aber ankündigt: "Vielleicht ein Gedanke...", da hat er alle Lacher auf seiner Seite.

Wie vom Publikum offenbar nicht anders erwartet, schlägt Schäuble, wo er schon einmal dabei ist, dann doch einen ziemlich ausschweifenden Bogen: von der Energiekrise des Jahres 1973 über die Grenzen des Wachstums, den historischen Irrtum seiner CDU bezüglich der Ostpolitik des SPD-Kanzlers Willy Brandt, den Nato-Doppelbeschluss sowie die Lebensleistung Helmut Kohls und von da weiter über Gorbatschow und Putin, Afghanistan und Mali sowie die Lehren aus dem 11. September bis hin zum Abschneiden der Flickmannschaft bei der WM in Katar.

"Vielleicht müssen wir Deutsche auch aufpassen, dass wir nicht als Besserwisser, die ihren eigenen Ansprüchen selbst nicht gerecht werden, international zu viele Sympathien verlieren", das alles passt bei Wolfgang Schäuble in 15 Minuten und in einen Gedanken hinein.

"Es lohnt sich immer, Ihnen Redezeit einzuräumen."

Von seinem Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz bekommt er dafür einen Blumenstrauß. Und Bärbel Bas, Schäubles Nachfolgerin als Bundestagspräsidentin, sagt in den fraktionsübergreifenden Applaus hinein: "Herr Doktor Schäuble, ich wusste, es lohnt sich immer, Ihnen Redezeit einzuräumen."

Bas hat an diesem Tag gleich zwei Jubiläen zu würdigen. Der 13. Dezember 1972 war nicht nur der erste Arbeitstag des Abgeordneten Schäuble, sondern auch der Tag, an dem Annemarie Renger (SPD) Bundestagspräsidentin wurde. Sie übernahm als erste Frau weltweit den Vorsitz in einem frei gewählten Parlament. "Sie ebnete Frauen den Weg in die Politik", sagt Bas.

Auch Schäuble erinnert an die 2008 verstorbene Renger, etwa daran, dass sie streng auf die Würde des Hauses achtete. "Als einmal ein sozialdemokratischer Kollege ohne Krawatte im Plenum saß, da ließ sie ihm durch einen Parlamentsassistenten unauffällig einen Binder bringen. Und der hat den auch widerspruchslos angelegt", erzählt Schäuble. Außer ihm war damals noch keiner dabei, der es bezeugen könnte.

Als Bas zur Tagesordnung übergeht, verlässt der Jubilar sofort den Plenarsaal. Seinen Blumenstrauß hat er doch glatt liegen lassen.

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