Süddeutsche Zeitung

Abstimmungsregeln im Bundesrat:"Diese Frage geht Herrn Schäuble gar nichts an!"

  • Der Vorschlag von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, die Abstimmungsregeln im Bundesrat zu ändern, stößt auf Kritik.
  • Die Ministerpräsidenten mehrerer Bundesländer lehnen den Vorstoß ab.
  • Der CDU-Politiker will, dass im Bundesrat Enthaltungen nicht mehr berücksichtigt werden, damit die Landesregierungen sich entscheiden müssen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ist mit seinem Vorstoß, die Abstimmungsregeln im Bundesrat zu ändern, um die Länderkammer handlungsfähiger zu machen, am Wochenende weitgehend auf Ablehnung gestoßen. Unter anderem sprachen sich die Ministerpräsidenten Thüringens, Brandenburgs und des Saarlandes - Bodo Ramelow (Linke), Dietmar Woidke (SPD) und Tobias Hans (CDU) - dagegen aus. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) mahnte zur Vorsicht. Zuvor hatte der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne), gesagt, er wolle sich dem Vorschlag Schäubles zwar "nicht generell verschließen", allerdings wäre dieser "schon ein ganz grundlegendes Manöver". Er wisse nicht, "wie Landesregierungen dann noch gedeihlich funktionieren sollen".

In den 16 Bundesländern gibt es derzeit 13 verschiedene Koalitionen, fünf von ihnen sind Bündnisse aus drei Parteien. Diese Vielfalt erschwere "die Mehrheitsfindung" im Bundesrat, hatte Schäuble in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung beklagt. Wenn sich die Koalitionspartner in einem Bundesland nicht verständigen könnten, müsse sich das Land im Bundesrat bisher enthalten. Deshalb gebe es dort regelmäßig eine "satte Enthaltungsmehrheit".

Schäuble wies darauf hin, dass "im Bundesrat Enthaltungen bei Abstimmungen mitgezählt werden" und sie deshalb "in der Praxis wie Neinstimmen" wirken würden. Er plädiere deshalb dafür, Enthaltungen künftig als nicht abgegebene Stimmen zu werten. Der Bundestagspräsident sagte, "das würde schlagartig vieles ändern, die Landesregierungen müssten dann Entscheidungen treffen".

"Der Bundesrat ist kein Blockierer"

Brandenburgs Ministerpräsident Woidke sagte zu dem Vorstoß Schäubles, es sei "immer sinnvoll darüber nachzudenken, was Abstimmungsverfahren vereinfachen könnte". Der Vorschlag Schäubles gehöre jedoch nicht dazu, denn er helfe nicht weiter. Die betroffenen Länder würden sich dann eben nicht enthalten, sondern schlicht mit "Nein" stimmen. Außerdem sei der Bundesrat mit Sicherheit "kein Blockierer", die Länderkammer arbeite konstruktiv für gute Lösungen, sagte Woidke. Wichtige Projekte hingen derzeit vor allem in Bundesregierung und Bundestag fest.

Noch schärfer war die Reaktion des Thüringer Ministerpräsidenten Ramelow. Er twitterte: "Es wäre schön, wenn jeder sich um seine Zuständigkeit kümmert. Diese Frage geht Herrn Schäuble gar nichts an!" Der Bundesrat mische sich ja auch nicht in Debatten des Bundestags wie die um dessen wachsende Größe ein. Der Bundesrat blähe sich jedenfalls nicht auf und komme immer zu einer Entscheidung.

Der saarländische Ministerpräsident Hans sagte der Deutschen Presseagentur, er "glaube nicht, dass eine einfache Lösung, wie von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vorgeschlagen, der richtige Weg ist", Berlins Regierender Bürgermeister Müller erklärte, die Abstimmungsverfahren im Bundesrat seien "sensibel austariert", das müsse "bei jeder Änderung bedacht werden". Der Bundestag sei der Ort parteipolitischer Auseinandersetzungen, der Bundesrat hingegen jener, "an dem man den Ausgleich und Konsens sucht",

Die Grüne Künast nennt den Vorschlag "putzig"

Auch Kretschmann hatte darauf hingewiesen, dass der Bundesrat "im Gegensatz zu dem, was oft kolportiert wird", kein Blockadeorgan sei. In 95 Prozent der Fälle werde am Ende "ein Konsens hergestellt, obwohl in der meisten Zeit im Bundesrat eine andere politische Mehrheit vorherrscht als im Bundestag". Außerdem habe schon der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt gesagt, "das Tempo der Demokratie ist das Schneckentempo".

Die ehemalige grüne Fraktionschefin und Bundesministerin Renate Künast nannte Schäubles Vorschlag "putzig". Der Bundestagspräsident solle sich lieber dafür einsetzen, dass der Bundestag Beschlüsse des Bundesrats innerhalb einer Frist von sechs Monaten behandele, forderte Künast. Das ist derzeit nicht immer der Fall.

Etwas positiver reagierte die FDP auf Schäubles Vorstoß. "Der Bundestagspräsident spricht ein wichtiges Problem an", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag, Marco Buschmann. Ganze Politikbereiche wie die Steuerpolitik seien faktisch lahmgelegt. Viele Gesetzentwürfe scheiterten, weil sich zu viele Bundesländer nicht einigen könnten. Allerdings werde Schäubles Vorschlag daran vermutlich nichts ändern, sagte Buschmann. Wenn man das Problem wirksam anpacken wolle, müsse man sich um eine stärkere Aufteilung der Zuständigkeiten in reine Bundes- und Landesangelegenheiten kümmern. Das hatte allerdings auch Schäuble in dem SZ-Interview gefordert.

Was der Präsident des Bundesrates sagt

Dass die neue Vielfalt in den Landesregierungen den Bundesrat tatsächlich vor eine Herausforderung stellt, gestand auch der amtierende Bundesratspräsident, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, in seiner Antrittsrede in der Länderkammer im November 2018 ein. Der CDU-Politiker sagte damals, es sei anspruchsvoller geworden, eine konstruktive Rolle der Länder im Bund zu organisieren. "16 Länder werden in 13 verschiedenen Koalitionsmodellen regiert", es werde deshalb für die Länder nicht einfacher, "mit einer Position in Bundesratsabstimmungen zu gehen".

Deswegen sollte der Bundesrat "in Teilen auch die Arbeitsweise" überdenken "und sie so organisieren, dass wir zu gemeinsamen Positionen kommen, damit wir die Arbeitsfähigkeit unseres Verfassungsorgans erhalten". Gerade bei Stellungnahmen zu europäischen Themen müsse der Bundesrat "in der Lage sein, einen Konsens zu finden und zu vertreten".

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