Es ist gut, wenn das Recht sensibel ist. Nicht gut ist es, wenn es hysterisch wird. Hysterisch wird es dann, wenn öffentliche Erregung über einen Skandal oder eine echte oder vermeintliche Straftat ungefiltert ins Strafgesetzbuch fließt. Genau das passiert gerade.
Zwei Monate nach der Durchsuchung beim früheren Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy legt der Justizminister ein Gesetz vor, das Herstellung, Verbreitung oder Besitz von solchen Nacktbildern, die bisher nicht strafbar waren, strafbar macht. Das Gesetz reagiert darauf, dass gegen Edathy wegen Kinderpornografie ermittelt wird, die aufgefundenen Bilder aber offenbar nicht pornografisch sind. Deshalb werden nun unbefugte Bildaufnahmen von einer "unbekleideten Person" und "bloßstellende Bilder" inkriminiert; und zwar Bilder sowohl von Kindern als auch von Erwachsenen.
Das geht zu weit; diese neuen Vorschriften verstoßen gegen das Bestimmtheitsgebot. Wann sind Bilder "bloßstellend"? Wenn man darauf sieht, wie sich einer zwischen den Beinen kratzt? Wenn die Hose offen ist? Wenn jemand sich in der Nase bohrt? Wer "bloßstellend" als Tatbestandsmerkmal ins Strafgesetzbuch schreibt, stellt das Strafrecht bloß; er macht es zum gesellschaftspolitischen Kaugummi.
Im Prinzip sind künftig alle Fotos von un- oder leicht bekleideten Kindern verboten, auch wenn sie objektiv keinerlei sexuellen Bezug haben. Es könnte ja, das ist wohl der Strafgrund, subjektiv jemand diesen Bezug für sich herstellen. Gewiss: Das neue Recht will Kinder schützen. Kinder schützt man aber nicht mit Hysterie.
Wie zu Kaisers Zeiten
Der Gesetzgeber schafft es gerade noch, dass sich nicht Eltern strafbar machen, wenn sie ihre nackt spielenden Kinder fotografieren: "Bildaufnahmen von unbekleideten Kindern in familiären Alltagssituationen, die im familiären Bereich verbleiben und allenfalls im Verwandten- und Bekanntenkreis gezeigt werden, sind sozialadäquat und üblich, sodass Eltern darin wirksam einwilligen können", heißt es in der Gesetzesbegründung. Die Befugnis der Eltern bei Kinderfotos geht aber nicht weit: Wenn solche Bilder im Wohnungsflur hängen, rückt die Strafbarkeit näher, weil Handwerker, also Fremde, sie sehen könnten.
In Paragraf 201a Strafgesetzbuch, der nun um die neuen Anti-Nackt-Vorschriften erweitert wird, geht es eigentlich gar nicht um Sexualstrafrecht, sondern um die "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen". Aber mit den Änderungen dort wird ein neues Strafrecht geboren. Man kann es entsexualisiertes Sexualstrafrecht nennen; oder sexualisiertes Persönlichkeitsstrafrecht.
Zu Kaisers Zeiten gab es heftigen Streit über einen geplanten "Kunst-, Schaufenster- und Theaterparagrafen", der die Verbreitung von Bildern und Schriften sowie Vorführungen strafrechtlich unterbinden wollte, "welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen". So ähnlich klingen jetzt die neuen Anti-Nackt-und Bloßstellungsvorschriften auch. Damals, vor 114 Jahren, wurde der Paragraf auf Betreiben der SPD gestrichen.