Süddeutsche Zeitung

Sauerland-Prozess:1000 Seiten Geständnisse

Schon im März wird im wichtigsten deutschen Islamisten-Verfahren das Urteil gesprochen. Einer der Angeklagten hat inzwischen die versuchte Tötung eines Polizisten gestanden.

Hans Leyendecker, Düsseldorf

Vier Angeklagte, drei Berufsrichter und zwei Schöffen, ausreichend Richter und Schöffen als Reserve, drei Ankläger, acht Verteidiger - nicht gerade in kleiner Besetzung traten die Verfahrensbeteiligten am 22. April 2009 im Sauerland-Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf eine Reise von unbestimmter Dauer an, die durch einen unbekannten Kontinent führen sollte. Das Urteil in diesem bislang wichtigsten Prozess gegen mutmaßliche islamistische Terroristen wurde für Mitte 2011 prognostiziert; doch die Expedition geht schneller zu Ende als erwartet: Von Mittwoch an wird plädiert. Das Urteil soll Anfang März verkündet werden.

Ein Stelldichein zum Massenmord

Ein fixer Prozessablauf ist nicht immer ein Gewinn; ein die Öffentlichkeit nervender uferloser Strafprozess hingegen kann das durchaus sein. Es wurde zügig verhandelt, der Prozess war ein Erfolg - und der hat vor allem einen Namen: Ottmar Breidling. Mit guter Vorbereitung, straffer und energischer Verhandlungsführung hat der 62-Jährige die Beteiligten durch die Klippen des Verfahrens gesteuert. Manchmal war er nicht nur Richter, sondern Super-Nanny, gelegentlich gab er sogar den Moderator und hielt mit dem Fotoapparat nachgestellte Szenen fest. Vor allem aber hatte Breidling nicht den Unterton, den man schon von Vorsitzenden Richtern gehört hat, die zu einem Thema mehrere Verteidiger anzuhören hatten.

Dabei sah sich der 6. Strafsenat mit einer Flut von Stoff konfrontiert. Den vier Angeklagten wurde von der Bundesanwaltschaft Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, die Vorbereitung und Verabredung eines Sprengstoffverbrechens sowie Verabredung zum Mord, flapsig formuliert: Ein Stelldichein zum Massenmord. Mit Autobomben wollten sie ein unvorstellbares Blutbad anrichten.

Die Angeklagten haben in dem Prozess Geständnisse abgelegt, die mehr als tausend Seiten fassen - solche Beichten hat es in der Geschichte des deutschen islamistischen Terrorismus noch nicht gegeben. Dabei waren Fritz Gelowicz, 30, Adem Yilmaz, 31, Daniel Schneider, 24, und Attila Selek, 25, schon seltsame Verschwörer.

Die Beweisaufnahme hat den Blick auf die Angeklagten und auf die islamistische Szene leicht verändert. Sie ist weit unprofessioneller als oft beschrieben. Selbst die Bundesanwaltschaft hat ihre Vorstellungen über das Leben und die Ausbildung im pakistanischen Terrorlager revidieren müssen. So primitiv haben es sich die Bundesanwälte nicht vorgestellt.

Der Sprengstoff-Unterricht sei oft ausgefallen

Die kleine, geheimnisvolle Organisation Islamische Dschihad Union (IJU), der die Angeklagten angehört haben, war eigentlich ein unorganisierter Haufen. Der Sprengstoff-Unterricht fiel meist aus, weil der einzige Sprengstoff-Experte keine Zeit hatte. Es wäre "unhöflich gewesen", zu gehen, sagte Yilmaz. Für den Kampf in Deutschland seien sie unzulänglich ausgebildet worden, meinte Gelowicz: "Da hatte die IJU nicht die Mittel zu". Neben den beiden aus Deutschland angereisten Terror-Lehrlingen nahm nur ein weiterer Mann an der Ausbildung teil.

Der Prozess bietet auch viele Einblicke in die Gedankenwelt der islamistischen Gotteskrieger, und wenn der im Gerichtssaal vermittelte Eindruck richtig ist, handelt es sich um spätpubertierende, die sich in ein lebensgefährliches Abenteuer gestürzt haben. Ihre Kenntnisse waren, egal ob es um den Islam, die arabische Sprache oder das Grundwissen der Chemie ging, lückenhaft, mangelhaft oder ungenügend. Koryphäen saßen ihnen auf der Gutachterbank gegenüber - es war manchmal so, als würden Erstklässler von Professoren beurteilt.

"Hauptsache Dschihad, egal wo"

Aber fanatisch waren sie schon: "Hauptsache Dschihad", egal wo. "Die Welt wird brennen, inshallah, wenn wir es am 11. kriegen, die flippen doppelt so aus. Wenn es diesen Monat passiert, September, verstehst du", sagte einer von ihnen vor den geplanten Anschlägen. Und die staatlichen Lauscher hörten dabei mit. Die Heimwerker des Todes verhielten sich so auffällig, dass deutsche Terrorermittler im Herbst 2007 rätselten, ob diese Truppe von einem anderen Trupp ablenken solle, in dem Profis Anschläge planten.

Vom Gericht bestellte Sachverständige haben versucht, in die Seelenfalten dieser jungen Leute zu schauen und sie blickten auf die Überreste familiärer Katastrophen: Die Eltern geschieden, die Kinder hin und her gerissen. Suche nach irgendeiner Orientierung, kein innerer Kompass, Gefühlschaos, dann nur noch Chaos bis schließlich die Hinwendung zum Islam erfolgte - so sah das übliche Lebensmuster der Angeklagten aus.

Suche nach Orientierung und Werten

Erst im Islam, so eine Gutachterin über den Angeklagten Schneider, habe er "Klarheit der Regeln und Ziele, Schutz der höheren Macht und Geborgenheit der Glaubensgemeinschaft" gefunden. Das seien "Werte und Orientierungen" gewesen, die seine Familie nicht vermitteln konnte. Yilmaz hatte Besetzungsschwierigkeiten, er habe "wenig Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht" machen können, stellte ein Gutachter fest. Fritz Gelowicz sei ein Narziss, Attila Selek sei "depressiv-verstimmt".

Sie waren brandgefährlich und seltsam unreif. Schneider droht die höchste Strafe, weil ihm ein versuchter Mord zur Last gelegt wird, weil er bei der Festnahme im Sauerland einem Beamten die Waffe entrissen und auf einen Polizisten geschossen haben soll. Er habe bei einem Handgemenge die Waffe an sich bringen wollen, sagte Schneider anfangs, weil er Angst gehabt habe, erschossen zu werden. Am Dienstag sagte Schneider dann allerdings noch aus, er habe den Tod des Beamten billigend in Kauf genommen. Das Gerangel mit dem Polizisten bei seiner Festnahme hätte durchaus "einen tödlichen Ausgang nehmen können".

Unabhängig davon: Die Geständnisse und Erzählungen der Angeklagten verraten die Sehnsucht nach einer Perspektive für die Zeit nach der langen Haft. Selbst irrwitzig anmutende Täter, das zeigte die Beweisaufnahme, lassen sich noch erreichen. Auch das ist ein Erfolg.

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SZ vom 03.02.2010/ehr
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