Süddeutsche Zeitung

Saudi-Arabien:Verbrechen eines Zehnjährigen

Weil er als Zehnjähriger an einer Fahrraddemo teilgenommen und etwas durchs Megafon gerufen haben soll, droht einem Teenager in Saudi-Arabien nun die Hinrichtung.

Von Dunja Ramadan

Was wie ein Tagesausflug mit dem Fahrrad aussah, könnte für Murtadscha Qureiris tödlich enden. 2011 nimmt der damals zehnjährige Saudi-Araber an einer Fahrraddemo in einem Dorf in der östlichen Provinz Al-Qatif teil. Er trägt ein dunkelblaues Shirt und Schlappen, spielt mit dem Pedal seines Fahrrads, um ihn herum Dutzende Kinder. Kurz danach soll er durchs Megafon die Einhaltung der Menschenrechte gefordert haben. Als er 13 Jahre alt war, kam Murtadscha Qureiris unter anderem dafür in saudische Haft. Nun droht dem mittlerweile 18-Jährigen die Todesstrafe, wie CNN und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichten. Die Anklage gegen den Teenager basiert Amnesty zufolge auf einem Geständnis, das er unter Folter abgelegt haben soll. Ihm wird vorgeworfen, an Demonstrationen teilgenommen zu haben und Mitglied einer Terrororganisation zu sein sowie Brandsätze auf eine Polizeiwache geworfen zu haben.

Murtadscha Qureiris kommt aus einer oppositionellen Familie, einer seiner Brüder wurde während der Proteste getötet, sein Vater sitzt ebenfalls in Haft. In der ölreichen Ostprovinz leben mehrheitlich Schiiten, die sich vom sunnitischen Königshaus diskriminiert sehen. Etwa 15 Prozent der saudischen Bevölkerung sind Schiiten, sie fordern eine größere Beteiligung am Ölreichtum des Landes sowie strukturelle Gleichberechtigung im Alltag. Der prägende Einfluss der ultrakonservativen Islamauslegung des Wahabismus drängte die Schiiten jahrzehntelang an den Rand der Gesellschaft. 2011, im Zuge des Arabischen Frühlings, flammten die Demonstrationen im Osten auf. Seitdem kommt es immer wieder zu Protesten.

Doch das Königshaus in Riad duldet keine regierungskritischen Proteste und geht unter dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman mit harter Hand gegen schiitische Oppositionelle vor. Erst im April ließ Saudi-Arabien 37 Menschen hinrichten, vor allem schiitische Oppositionelle - und drei Personen, die für angebliche Straftaten vor dem 18. Lebensjahr verurteilt waren. Der Vorwurf lautete wieder "Terrorismus". Nach internationalem Recht ist die Todesstrafe gegen Minderjährige verboten. Doch in Saudi-Arabien ist man mit zwölf Jahren strafmündig.

Eine mögliche Hinrichtung des jungen Mannes könnte am Persischen Golf weiteren politischen Sprengstoff legen. Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Erzfeind Iran hat sich hochgeschaukelt. In Riad macht man Iran für den Drohnenangriff auf eine Ölpipeline Mitte Mai verantwortlich. Vergangene Hinrichtungen, wie etwa 2016 die des prominenten schiitischen Gelehrten Nimr al-Nimr, lösten wütende Proteste unter Schiiten auf. Iran und Saudi-Arabien beanspruchen für sich die Rolle der Schutzmacht, Iran für die Schiiten und Saudi-Arabien für die Sunniten. Demonstranten in Teheran stürmten damals die saudische Botschaft und setzten sie in Brand. Saudi-Arabien brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Iran ab.

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SZ vom 12.06.2019
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