Süddeutsche Zeitung

Saudi-Arabien und Iran:Öl ist ihr Schicksal

Lesezeit: 4 min

Analyse von Paul-Anton Krüger

In Saudi-Arabien tut sich Unerhörtes: Das Königreich, größter Öl-Exporteur der Welt, hat zum neuen Jahr die Spritpreise erhöht. Um bis zu zwei Drittel. Der Liter Benzin mit 91 Oktan kostet jetzt 18 statt zuvor elf Cent, andere Sorten wurden um die Hälfte teurer. Das mag aus deutscher Perspektive marginal erscheinen, doch 2015 gab der Staat 50 bis 55 Milliarden Euro an Subventionen für Treibstoffe aus - sechs bis acht Prozent der Wirtschaftsleistung.

Zum ersten Mal seit zehn Jahren hob die Regierung zudem die Preise für Strom und Wasser an; der Verbrauch pro Kopf ist unter den höchsten der Welt. Trotzdem werde die Wasserrechnung für die Mehrheit der Haushalte umgerechnet 7,40 Euro pro Monat nicht übersteigen, und 87 Prozent der Stromkunden die Steigerungen zunächst nicht zu spüren bekommen, sagte Minister Abdullah al-Hossain. Die Preise steigen über fünf Jahre - und gehören immer noch zu den niedrigsten der Welt.

Dass der Rentierstaat Saudi-Arabien überhaupt an diesen Schrauben dreht, ist den extrem niedrigen Ölpreisen geschuldet, die im Januar auf ein Zwölf-Jahres-Tief fielen. Ein Barrel Rohöl à 159 Liter kostete zeitweise nur noch 28 Dollar. Das Königreich generiert drei Viertel seiner Staatseinnahmen aus dem Ölgeschäft - genau genommen aus der Besteuerung von Gewinnen des Ölverkaufs. Damit schlägt der Preisverfall noch stärker durch, denn er schmälert die Gewinnspanne der Produzenten, während die Produktionskosten sogar steigen.

Das Selbstverständnis der Monarchie steht in Frage

So verzeichnete das Königreich 2015 ein Haushaltsdefizit von 90 Milliarden Euro bei einem Budget von 240 Milliarden und einer Wirtschaftsleistung von etwa 600 Milliarden. Für 2016 kürzte die Regierung von König Salman das Budget um gut 15 Prozent, das Defizit soll auf 80 Milliarden sinken. Nun hat der Königssohn und stellvertretende Kronprinz Mohammed bin Salman, der die Wirtschafts- und Finanzpolitik maßgeblich mitbestimmt, gar die Einführung einer Mehrwertsteuer angekündigt, von der allerdings Waren des Grundbedarfs ausgenommen sein sollen.

Damit beginnt das Gesellschaftsmodell des Rentierstaates zu wanken - oder, positiv gewendet, zumindest sich zu wandeln. Der Staat sorgt für seine Bürger, dafür gibt es in der absoluten Monarchie kaum politische Mitsprache nach westlichem Vorbild. So war es bisher, wenngleich Saudis auf informelle Konsultationsmechanismen verweisen, die sicherstellten, dass kaum eine Entscheidung falle, ohne vorher Konsens mit wichtigen gesellschaftlichen Akteuren wie den Stammesführern herzustellen.

Als das Barrel Öl noch 150 Dollar kostete, hatte der vor einem Jahr gestorbene König Abdullah die Ausgaben massiv ausgeweitet, um die Untertanen bei Laune zu halten. Bürger kommen in den Genuss eines kostenfreien Gesundheitssystems, Schulen sind gratis; Wasser, Strom, Benzin und Lebensmittel sind subventioniert. Saudis zahlen keine Einkommensteuer. Neun von zehn Saudis, die arbeiten, beschäftigt der Staat, der oft höhere Löhne zahlt als die Privatwirtschaft. Seit dem Arabischen Frühling 2011 gibt es Unterstützung für Arbeitslose und zinsfreie Kredite, um Häuser zu kaufen oder Unternehmen zu gründen. Nicht zuletzt sind Tausende Mitglieder der Königsfamilie üppige Apanagen gewohnt.

Strukturreformen wie die Diversifizierung der Wirtschaft mahnt etwa der Internationale Währungsfonds (IWF) schon lange an - und rechnet den Saudis vor, dass ihre Reserven anderenfalls binnen fünf Jahren aufgebraucht sein könnten, wenn der Ölpreis niedrig bleibt. Die Regierung könne nicht länger "Arbeitgeber der ersten Wahl sein und Wachstum durch große Infrastrukturprojekte schaffen", sagt auch Farouk Soussa, Chefökonom der Citigroup für den Nahen Osten. Und sie könne nicht länger das Volk mit Subventionen und Wohltaten überschütten. Doch werden die Bürger dann mehr Mitsprache verlangen?

Die geplanten Ausgaben für Infrastruktur und Transport hat die Regierung um zwei Drittel gekürzt, dazu wurden Prestigeprojekte gestoppt wie neue Stadien. Zugleich muss sie Millionen neuer Jobs schaffen; die Arbeitslosigkeit unter den 15- bis 24-Jährigen liegt bei 30 Prozent, und zwei Drittel der Bevölkerung ist jünger als 30. "Wenn nicht in der Krise, wann dann sollen wir die nötigen Reformen durchsetzen?", sagt ein mit den Diskussionen in Riad vertrauter Saudi. Gesteigert werden dagegen erneut die Verteidigungsausgaben, die mit elf Prozent der Wirtschaftsleistung relativ ohnehin zu den höchsten der Welt zählen.

Irans Einstieg ins Ölgeschäft wird die Preise weiter drücken

Das geschieht mit Blick auf Iran, den Rivalen auf der anderen Seite des Golfs. Nach Aufhebung der Sanktionen kehrt das Land an die Ölmärkte zurück; Analysten erwarten, dass es seine Förderung 2016 um 600 000 bis eine Million Barrell pro Tag steigert, die Regierung will mehr - was die Preise weiter drücken dürfte. Iran steht zwar vor der einmaligen Situation, auf etwa 100 Milliarden Dollar zugreifen zu können, die wegen der Sanktionen eingefroren waren - der Staatshaushalt macht nur 75 Milliarden aus. Dem steht ein massiver Investitionsbedarf entgegen - in der Ölindustrie, bei den Fluggesellschaften, aber auch in fast allen anderen Wirtschaftszweigen.

Alleine im Öl- und Gassektor hat Iran im Dezember Projekte für 30 Milliarden Dollar ausgeschrieben. Das Land hat wie Saudi-Arabien niedrige Förderkosten, sodass es auch beim jetzigen Preis Profite macht. Ob aber internationale Konzerne gewillt sind, in diesem Marktumfeld Milliarden in Iran zu investieren, muss sich erst zeigen.

Iran hat unter den Sanktionen notgedrungen seine Wirtschaft diversifiziert, war aber immer breiter aufgestellt als die Saudis. Laut der Regierung haben Steuern 2015 erstmals die Öleinnahmen überstiegen. Der Haushalt, den Präsident Hassan Rohani für das am 21. März beginnende Jahr vorgelegt hat, soll sich nur mehr zu knapp 25 Prozent aus Öleinnahmen speisen. Doch spürbares Wirtschaftswachstum wird Iran nur mit höheren Ölpreisen erzielen können. Viele Iraner, auch aus der Mittelschicht, können nur mit mehreren Jobs ihren Lebensstandard halten. Subventionen und Direktzahlungen musste Rohani schon kurz nach Amtsantritt 2013 kürzen. Die Hoffnungen auf ein besseres Leben sind groß - aber viele Iraner sind angesichts der grassierenden Korruption, der großen Rolle des Staates in der Wirtschaft und der verbreiteten Inkompetenz skeptisch, ob sie sich rasch erfüllen werden.

Aserbaidschan: Nach dem großem Prassen

Die Ölpumpen rund um Baku gehören zur Silhouette der aserbaidschanischen Hauptstadt. Öl hat den Kaukasus-Staat reich gemacht und die Führung zu einem Prassen verführt, das städtebaulich an Dubai und Katar erinnert und kaum Grenzen kannte. Aserbaidschan richtete für viel Geld 2015 erstmals die Europaspiele aus, im Juni ist Premiere eines Formel-1-Rennens. Nun gerät der opulente Stil in Gefahr. Der Ölpreis, Fundament des Reichtums, bringt mit seinem Tiefstand Aserbaidschans Wirtschaft in Not. Knapp drei Viertel des Staatsetats beruhen auf dem Ölverkauf. Das Budget basierte jedoch auf dem Preis von 50 Dollar. Die Währung Manat, lange von der Zentralbank gestützt, hat nach Freigabe seit Mitte Dezember mehr als 30 Prozent Wert verloren. Rasant stiegen die Preise, auch für Brot und Gemüse, Sozialproteste folgten prompt. In mehreren Städten demonstrierten Menschen gegen die Inflation, verlangten niedrigere Mieten. In Sijazan trieben Sicherheitskräfte die Demonstranten auseinander, mehr als 50 wurden festgenommen. Die Behörden nutzten dies, um der Opposition vorzuhalten, Unruhe organisiert zu haben. Die autoritäre Führung Präsident Ilham Alijews, die ohnehin hart gegen Menschenrechtler, Blogger, Anwälte, Journalisten vorging, scheint alarmiert. Staatsbediensteten versprach der Präsident schnelle Lohnerhöhung. Und weil Aserbaidschaner nun Geld in andere Währungen anlegen, will die Regierung Transfers ins Ausland mit 20 Prozent Steuern bremsen. Die Abhängigkeit vom Energiepreis bleibt: Dass nun mit Ende der Sanktionen gegen Iran ein neuer Ölexporteur auftritt, verschafft einigen Ländern der Region Alternativen - und Aserbaidschan neue Probleme.

Indonesien: Guter Preis, böser Preis

Ein Foto in der Jakarta Post zeigte kürzlich, wie Indonesiens Präsident Joko Widodo und sein Finanzminister Bambang Brodjonegoro angestrengt grübelten. Wie soll der nach Bevölkerung viertgrößte Staat der Welt reagieren auf den Verfall der Ölpreise? Die Lage für das Land ist verzwickt. Der Staat zählt zu den Netto-Importeuren an Öl. Insofern profitiert es von sinkenden Preisen. Andererseits ist es aber selbst Ölproduzent. Also muss der Staat darauf reagieren, dass seine Einnahmen schrumpfen. Deshalb ist es wohl unvermeidlich, dass Jakarta sein Budget für 2016 korrigiert. Erleichterung herrscht hingegen erst mal bei allen Indonesiern, die jetzt am Zapfhahn weniger bezahlen müssen. Subventionen für Sprit lassen sich nun leichter zurückfahren, angesichts der sinkenden Rohölpreise kann der Staat seine Hilfen für das Volk drosseln . Indonesien ist zwar Ölproduzent, es lag 2014 auf der Liste der weltweiten Ölförderer auf Platz 22. Aber die Förderung reicht nicht aus, um den eigenen Bedarf für seine 250 Millionen Menschen zu decken. Indonesien ist ein Land, das dringend auf Investitionen in seine Infrastruktur angewiesen ist. Es fehlen Züge, Schiffe, Straßen, und auch der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in den Metropolen ist lange vernachlässigt worden. Warnungen für einen Sektor werden inzwischen schon laut: die Palmöl-Industrie. Indonesien wollte eigentlich seinen Anteil an selbst produziertem Biodiesel erhöhen, um damit weniger von Importen abhängig zu sein. Doch bei den derzeitigen Preisen für fossilen Brennstoff lohnt sich das gar nicht. Ob das langfristig den Wäldern nützt, die ansonsten für Palmölplantagen abgebrannt werden, ist aber ungewiss.

Mexiko: Früh genug umgestellt

Im Januar 2015 sprach Emilio Lozoya, der Direktor des staatlichen mexikanischen Erdölkonzerns Pemex, beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Dort widersprach er der These, wonach die Ölförderung in Mexiko nicht mehr rentabel sei. Der Preis für ein Barrel mexikanisches Rohöl lag damals bei 40 Dollar. Lozoya sagte, Pemex sei bis zu 23 Dollar pro Fass in der Lage, ertragreich zu produzieren. Pünktlich zum Weltwirtschaftsforum 2016 sackte der Preis für mexikanisches Öl unter die 23-Dollar-Marke ab. Mitte der Woche lag er bei 18,90 Dollar. Pemex ist dieser Tage damit beschäftigt, seine Krisenkommunikation an die Krisenproduktion anzupassen. Neuerdings heißt es, in Mexiko könne zu einem Preis von zehn Dollar rentabel Öl gefördert werden. Analysten bezweifeln das. Pemex macht Milliardenverluste. Das hat auch eine politische Dimension. Mexiko ist nach Venezuela der zweitgrößte Ölexporteur Lateinamerikas. Knapp ein Drittel des Staatshaushalts speist sich aus dem Geld, das Pemex abführen muss. Auch deshalb fehlen dem Konzern Mittel für Investitionen. Präsident Enrique Peña Nieto war nie ein Freund des staatlichen Ölmonopols. Zu seinen Schlüsselprojekten gehört die Privatisierung des Energiesektors. 2015 wurden erstmals Förderlizenzen versteigert. Das Interesse der Investoren hält sich angesichts der Marktlage allerdings in Grenzen. Trotz allem steht Mexiko mit einem Wachstum von 2,6 Prozent im regionalen Vergleich relativ stabil da - trotz seines Erdöls. Im Gegensatz zum restlichen Lateinamerika hat Mexiko rechtzeitig vom Rohstofflieferanten zum Industrieproduzenten umgestellt. Heute verkauft das Land mehr Autos als Erdöl in die USA.

Nigeria: Absturz als Chance

Bonny Light heißt die hochwertige Erdölsorte, die seit den Fünfzigerjahren im Süden Nigerias gefördert wird. Das Opec-Land ist der größte Ölproduzent des Kontinents und inzwischen auch die größte afrikanische Volkswirtschaft. Mehr als 90 Prozent der Exporteinnahmen stammen aus dem Ölsektor; die Weltbank schätzt, dass der Rohstoff drei Viertel des Staatshaushaltes finanziert - Staat und Wirtschaft sind also massiv vom Öl abhängig. Seit die Preise fallen, wächst die Angst in Nigeria. Denn auch ohne Preisrutsch hat das Land schwerwiegende Probleme: Trotz Ressourcenreichtums sind die meisten Nigerianer arm, der Staatsapparat gilt als einer der korruptesten der Region, und im Nordosten führt die Armee einen teuren Feldzug gegen Boko Haram. Nicht einmal Treibstoff gibt es im Überfluss, denn Nigeria hat kaum Raffinerien, muss also die verarbeiteten Ölprodukte teuer importieren. Zwar subventioniert die Regierung den Sprit über die Erlöse aus dem Rohöl-Export, doch bei den aktuellen Preisen sinken die Einnahmen. Die Nigerianer gewinnen Strom vor allem aus Generatoren. Ein Ende der Subventionen würde Wirtschaft und Gesellschaft hart treffen. Die neue Regierung unter Muhammadu Buhari steht unter großem Druck. Ihre Budgetpläne für 2016 zeigen aber, dass sie den Ernst der Lage begreift: Der niedrige Ölpreis ist einkalkuliert. Buhari will 20 Prozent mehr ausgeben, ermöglicht über Kredite und eine striktere Steuererhebung. Das meiste Geld will er in die Infrastruktur investieren - und in Wirtschaftszweige, die nichts mit Öl zu tun haben. Geht Buharis Plan auf, könnte der Preissturz auch sein Gutes haben und Nigerias Wirtschaft endlich diversifizieren.

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SZ vom 23.01.2016
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