Saudi-Arabien:Überwachung von und mit Social Media

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Saudische Bürger werden von der Regierung animiert, kritische Wortmeldungen in den sozialen Medien anzuzeigen. (Foto: Amr Nabil/dpa)

Zwei Saudi-Araberinnen wurden wegen Tweets zu drakonischen Haftstrafen verurteilt. Die Regierung versucht so, politische Debatten im Keim zu ersticken - und setzt darauf, dass sich die Bürger gegenseitig überwachen.

Von Dunja Ramadan, München

Es sind gefährliche Zeiten für kritische Twitter-Nutzer in Saudi-Arabien. Innerhalb weniger Wochen wurden zwei Frauen zu drakonischen Haftstrafen verurteilt: Salma al-Schihab muss wohl für 34 Jahre ins Gefängnis, weil sie sich auf dem Kurznachrichtendienst für die Rechte von politisch Verfolgten aussprach. Die zweifache Mutter und Doktorandin für Zahnmedizin lebt eigentlich in Großbritannien, Anfang 2021 reiste die 34-Jährige für einen Besuch in die Heimat und wurde festgenommen.

Ende August wurde dann Nura al-Kahtani zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt. Das ist die längste Haftstrafe, die in Saudi-Arabien jemals gegen eine Aktivistin verhängt wurde. Die fünffache Mutter soll sich auf anonymen Twitter-Accounts kritisch zur saudischen Politik geäußert haben, berichtet der Guardian und beruft sich auf Gerichtsdokumente, in denen auf eine technische Analyse von Staatsbeamten verwiesen wird.

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Was an den Fällen besonders auffällt: Beide Frauen sind durch die jüngsten Verurteilungen bekannter geworden, als sie vorher waren. Salma al-Schihab hatte lediglich 2000 Follower auf Twitter, Nura al-Kahtani nur 600 Follower. Warum verfolgen die saudischen Behörden diese Frauen also auf diese extreme Art und Weise, wenn von beiden demnach keine ernsthafte Gefahr für die autokratischen Herrscher ausgeht? Und: Wie wurden die saudischen Behörden überhaupt auf diese eher unbedeutenden Accounts aufmerksam?

"Digitale Misogynie"

Marc Owen Jones, Dozent für Nahoststudien an der Hamad bin Khalifa University in Katar, forscht zu digitalen Desinformationskampagnen in den arabischen Golfstaaten. In seinem Mitte Juli erschienen Buch "Digital Authoritarianism in the Middle East" widmet er ein ganzes Kapitel der "digitalen Misogynie". Vor allem Frauen werden aufgrund einer solchen Haltung demnach immer wieder zur Zielscheibe digitaler Hetzkampagnen.

Im Fall von Nura al-Kahtani und ihrer anonymen Twittertätigkeit geht Jones im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung von verschiedenen Möglichkeiten aus, wie ihre Identität überhaupt festgestellt werden konnte. Entweder jemand habe "Social Engineering" betrieben, also al-Kahtanis Vertrauen ausgenutzt, indem man sich als Gleichgesinnter dargestellt habe, um sie zu manipulieren und so ihre Identität gegenüber den Behörden zu enthüllen.

Andere Möglichkeiten wären, dass ihr Gerät mit Spyware gehackt oder sie selbst in der Öffentlichkeit beim Twittern beobachtet wurde, vielleicht in einem Café. Oder aber die Saudis haben einen Insider innerhalb von Twitter selbst. Diese Option sieht Jones als die unwahrscheinlichste an - aber ausschließen lässt sie sich nicht.

Die Bürger selbst werden sogar animiert, kritische Wortmeldungen anzuzeigen. So erfreut sich die App der saudischen Regierung "Kollona Amn" ("Wir sind alle Sicherheit") offenbar hoher Beliebtheit. Sie wurde mehr als eine Million Mal aus dem Google Play Store heruntergeladen, allein auf Twitter folgen dem App-Account über 840 000 Nutzer. In der Beschreibung steht: "Der Bürger ist der erste Sicherheitsmann" - sie versucht, es als eine Art nationale Pflicht darzustellen, gegen Andersdenkende vorzugehen. So können Saudis in dieser App etwa die Verbreitung von "falschen und böswilligen Gerüchten" melden, die die gesellschaftliche und staatliche Sicherheit destabilisieren sollen.

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Die Regierung setzt auf eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und Bevölkerung

Jones zufolge ist die App ziemlich neu in der Szene. Diese Form des Community Policing, eine Art Zusammenarbeit zwischen Polizei und Bevölkerung, werde verwendet, um politische Debatten im Keim zu ersticken. "Das bedeutet allerdings nicht, dass es ein Hacking-Tool ist; über das Tool werden die Behörden auf ein 'Verbrechen' aufmerksam gemacht und setzen dann alle ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen ein, um es zu bekämpfen", so Jones. Es sei auch eine Nachricht an die restlichen Nutzer. "Egal wie groß Ihr Konto ist, ob einflussreich oder nicht: Sie können der Überwachungsmaschinerie nicht entkommen." In kaum einem anderen Land im Nahen Osten werden soziale Medien so intensiv genutzt wie in Saudi-Arabien. Von den 31 Millionen Einwohnern des Königreichs haben 7,4 Millionen ein Twitter-Konto, so Jones.

Die meisten Urteile gegen Nutzer der sozialen Medien erfolgen unter Anwendung des Anti-Terror- oder des Anti-Cybercrime-Gesetzes. Die sind absichtlich vage gefasst, um eine weite Auslegung zu ermöglichen, so Human Rights Watch. Die Urteilsbegründungen klingen dann so: "Störung der öffentlichen Ordnung, Untergrabung der gesellschaftlichen Sicherheit und der Stabilität des Staates durch Folgen und Retweeten". Dabei wird in Saudi-Arabien weitgehend bestritten, dass politisch Andersdenkende verfolgt werden. Im vergangenen Juli sagte der saudische Diplomat Adel al-Jubair: "Wir haben Gefangene in Saudi-Arabien, die Verbrechen begangen haben und die von unseren Gerichten vor Gericht gestellt und für schuldig befunden wurden."

Die beiden jüngsten Urteile fallen ausgerechnet in eine Zeit, in der es dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman nach der Affäre um den ermordeten regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi zu gelingen scheint, sich international wieder zu rehabilitieren. Mitte Juli half ihm dabei US-Präsident Joe Biden, indem er den umstrittenen De-facto-Machthaber in der saudischen Hafenstadt Dschidda besuchte. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz telefonierte Mitte August mit bin Salman, der seit Oktober 2018 von westlichen Demokraten weitgehend gemieden wurde.

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Dann war die 34-Jährige in Berufung gegangen, unter anderem mit der Begründung, dass ihre Followerzahl von 2000 zu klein sei, um "die Ordnung und das Gefüge der Gesellschaft zu zerstören". Am 9. August 2022 entschied das Berufungsgericht, ihre Strafe noch zu erhöhen mit der Begründung, dass das ursprüngliche Urteil keine "Zurückhaltung und Abschreckung" bewirkte. Wenn Salma al-Schihab erst 2056 entlassen werden sollte, ist sie 68 Jahre alt.

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