Saudi-Arabien:Nordkorea mit Wüste

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Die Saudis haben 47 Menschen an einem Tag hingerichtet. Sie haben damit womöglich politisch alle Weichen auf das Gleis ins Abseits gestellt.

Von TOMAS AVENARIUS

Politische Bewegungen die wirken, leben nicht allein von ihrer Idee. Erfolg haben sie, weil sie ihren Anspruch mit einer einzigartigen Erzählung verknüpfen, einem Mythos; so wie bei den Schiiten. Deren Idee ist die des gottgegebenen Anspruchs auf die Führung der Muslime, um die sie in der Frühzeit des Islam von den Sunniten angeblich betrogen wurden. Ihre Erzählung aber ist die von Märtyrertum und ununterbrochenem Leiden unter der sunnitischen Mörderbande. Die Botschaft ist die von der göttlichen Gerechtigkeit, der Erlösung.

Wenn das saudische Königshaus nun den von der Schiiten-Minderheit im Lande verehrten Oppositionellen Scheich Nimr al-Nimr hat hinrichten lassen, befeuert es den schiitischen Leidensmythos und das Denken und Handeln in Märtyrerkategorien: Mit Nimr haben die Schiiten einen neuen Leit-Leidenden. Denn deren Gründungsmythos, diese seit dem Tod des Propheten fortgeschriebene Erzählung, funktioniert bis heute. Die fromme Dolchstoß-Legende aus dem 7. Jahrhundert hat in Iran die Islamische Revolution von 1979 befeuert, hat jugendliche Bahreiner 2011 in die Kugeln der Polizei laufen lassen, hat die saudischen Schiiten 2012 auf die Straße gebracht. Das auch, weil die Erzählung sich über weite Strecken mit den Tatsachen deckt. Die Sunniten haben die Schiiten fast immer unterdrückt, verfolgt, abgeschlachtet, im Irak, in Bahrein, im Jemen oder in Saudi-Arabien.

Der König vergreist, sein Sohn ist hitzköpfig und unerfahren

Die Geschichte zeigt, wie so etwas zurückwirkt. Aus Angst vor einer schiitischen Revolution hatte Saddam Hussein 1980 den Schiitenprediger Mohamed Bakr al-Sadr umbringen lassen. Als der Diktator 2006 selbst hingerichtet wurde, verspotteten ihn irakische Schiiten unter dem Galgen, legten ihm Ayatollah Sadrs Gefolgsleute den Strick höhnend um den Hals. Iraks Schiiten waren durch den US-Einmarsch an die Macht gekommen, aber erst mit dem Sunniten Saddam auf dem Schafott wähnten sie sich erlöst.

Die Exekution Nimrs könnte also jenseits der Sphäre religiöser Inbrunst Folgen haben. Der Aufstand der Schiiten in Saudi-Arabien - sie leben ausgerechnet in den Ölgebieten - mag das Herrscherhaus noch nicht existenziell bedrohen. Er wird aber sicher an Schwung gewinnen nach dem Tode des predigenden Oppositionsführers. Die Schiiten sehen sich in einer Position der Stärke. Seit der Ayatollah-Revolution der Perser geht es für die Schia voran. Sie haben das Sagen in Iran, im Irak und im Libanon, teilweise in Syrien und im Jemen. Warum nicht auch in Saudi-Arabien, durch eine Loslösung der Ölregion, einen Schiitenstaat?

Hingegen die Saudi-Herrscher, diese beinharten Sunniten. Für sie läuft es schlecht. Der König vergreist sehr, sehr öffentlich, während sein Sohn und möglicher Nachfolger hitzköpfig und unerfahren schattenregiert. Die sozialen Spannungen in dem früher märchenhaft reichen Land steigen parallel zum Schwinden der Öleinnahmen. Sunnitische Al-Qaida und IS-Extremisten verüben Bombenterror. Außenpolitisch ist die Bilanz ebenso miserabel, den Saudis gehen die Freunde aus. Durch das Atomabkommen mit Iran scheint sich der Westen von den Arabern abzuwenden, besonders von den Saudis, das Verhältnis zum großen Freund in Washington ist schlechter denn je. Auch die Europäer werden skeptischer, die Deutschen wollen nicht einmal mehr Panzer liefern. Und in Syrien hat Riad keinen Erfolg. Als Erzfeind des Assad-Regimes hat es den Sunniten-Aufstand mitfinanziert, doch der pseudo-schiitische Diktator von Damaskus kann sich dank iranischer Waffenhilfe halten.

Nicht einmal der alte Trick mit dem erfolgreichen kleinen Krieg im Nachbarland gelingt. Der Sieg in dem mit Getrommel begonnenen Jemen-Feldzug lässt auf sich warten; die Saudi-Armee wird der schiitischen Houtis nicht Herr; das nicht nur wegen der iranischen Unterstützung für diese Barfußkrieger. Schließlich die horrende Zahl an Menschenrechtverletzungen und Hinrichtungen, seien es Kriminelle oder Oppositionelle: Saudi-Arabien wird wahrgenommen als ein Nordkorea mit Wüste, aber ohne Atombombe.

Die Angst vor dem Erstarken der Schiiten-Vormacht Iran mag das brutale Vorgehen des Saudis gegen die schiitische Opposition erklären; töricht bleibt die Exekution des Scheichs dennoch. Dass die saudische Botschaft in Teheran wenige Stunden nach den Hinrichtungen in Brand gesteckt wurde, spricht für sich: Iran will das Schicksal des saudischen Schiiten-Führers politisch ausschlachten und Punkte gegen Riad machen. So haben die Saudis nicht nur 47 Menschen an einem einzigen Tag hingerichtet. Sie haben möglicherweise auch das Kunststück vollbracht, politisch alle Weichen gleichzeitig auf das Gleis ins Abseits zu stellen.

© SZ vom 04.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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