Saudi-Arabien:Kulinarische Täuschung

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Die simple Idee eines Jungunternehmers hilft, weniger Essen zu verschwenden.

Von Dunja Ramadan

Der erste Blick zählt. Wenn der Gast zum Essen kommt, dann wird ihm in Saudi-Arabien eine üppig gedeckte Tafel präsentiert, die jede Sekunde unter der Last der Leckerbissen zusammenbrechen könnte. Oder wie Araber sagen würden: Das Essen muss die Augen füllen. Vor allem auf der Arabischen Halbinsel verwechselt man orientalische Gastfreundschaft gerne mit Verschwendungssucht. Dort isst man Berge von Reis und Fleisch, meistens von einer riesigen Platte. Und damit sind auch wirklich Berge gemeint.

Dabei ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass immer viel zu viel übrig bleiben muss. Sonst ist der Gastgeber ein Geizhals und sein Haus ein Haus ohne Segen. Also kocht er noch ein paar Kilo mehr Reis, auch wenn der Rest dann im Müll landet. Ist dann halt so. Das wohlhabende Königreich Saudi-Arabien gehört zu den Ländern, in denen weltweit am meisten Lebensmittel verschwendet werden - pro Person etwa 427 Kilogramm im Jahr, schätzen Analysten der Economist Intelligence Unit. Zum Vergleich: In Deutschland sind es etwa 82 Kilogramm.

Der junge Saudi-Araber Mashal Alkharashi will das ändern. Mit einer selbst erfundenen Reisplatte. Sein "Mashal-Teller" ist in der Mitte erhöht - so will der Jungunternehmer 30 Prozent der üblichen Reismenge sparen. Einige Restaurants im Land verwenden seinen Teller bereits. Das gerillte Design in der Mitte, also da wo das Fleisch aufgetürmt wird, verhindert, dass sich Fette ansammeln - was nicht ganz unbedeutend ist in einer Gesellschaft, in der mehr als die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig ist. Doch es dürfte etwas anderes sein, was die Menschen in Saudi-Arabien von der Erfindung ihres Landsmannes überzeugt, denn der Mashal-Teller "schützt das Erscheinungsbild des Festmahls", wie der Gründer im Imagevideo verkündet. Der Schein bleibt also gewahrt: Das Essen sieht genauso üppig aus wie davor, auch wenn weniger Reis auf dem Teller ist. Kulturverträgliche Nachhaltigkeit.

Ein Thema, das nicht ganz unwichtig ist für den Wüstenstaat: Denn Saudi-Arabien hat kaum Ackerland und nur knappe Wasserressourcen, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren. Um den Bedarf zu decken, ist das Königreich auf Importe angewiesen. Auch moralisch hat Alkharashi die Landsleute auf seiner Seite: Essensverschwendung gilt im Islam als Sünde. Derzeit könnten mit den übrig gebliebenen Reismengen im Land Millionen Hungerleidende mit Essen versorgt werden, sagt Alkharashi in die Kamera.

Mittlerweile hat es das Thema Lebensmittelverschwendung auch in die Vision 2030 geschafft, für die der umstrittene Kronprinz Mohammed bin Salman steht. Ziel ist es, sie um 50 Prozent zu senken. Die Vision 2030 soll das Königreich wirtschaftlich unabhängiger vom Ölexport - und auch nachhaltiger machen.

Die Chancen, dass das auch klappt, stehen nicht ganz so schlecht wie noch vor ein paar Jahren: Damals füllten Saudi-Araber ihre Freizeit vor allem mit Essengehen. Viele Möglichkeiten hatten sie in ihrer ultrakonservativen Heimat auch nicht: Kinos, Theater oder Konzerte waren verboten. Mittlerweile jagt ein Event das nächste. Es gibt also ein paar mehr Alternativen, als sich den Magen vollzuschlagen.

© SZ vom 20.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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