Die Felsengräber von al-Ula sind ein Schatz in der Wüste, mehr als 100 monumentale Fassaden schnitten die Nabatäer vor etwa 2000 Jahren in die Steinlandschaft rund um eine Oase, die sich heute im Nordwesten Saudi-Arabiens befindet. Das im Zuge der Tourismusoffensive des Königreichs als "größte archäologische Ausgrabungsstätte der Welt" angepriesene Unesco-Weltkulturerbe dürfte die gekrönten Häupter und ihre Höflinge, die Minister und ihre Stäbe, die Journalisten und Lobbyisten jedoch wenig interessieren, die an diesem Dienstag hier zum 41. Treffen des Kooperationsrats der arabischen Golfstaaten zusammenkommen.
Genau wie die Konzerthalle, in der das Treffen stattfindet - gemäß der in der Region verbreiteten Vorliebe zum Gigantismus gilt sie als "größtes spiegelverkleidetes Gebäude der Welt" - bilden die Prunkfassaden im Wüstensand nur die Kulisse für eine außenpolitische Kurskorrektur des Gastgebers. Möglichst gesichtswahrend möchte der saudische Kronprinz und De-facto-Regent am Dienstagabend hier ein Dokument unterzeichnen, das die dreieinhalb Jahre andauernde Blockade des Nachbarstaats Katar beenden soll. Und damit ein politisches Manöver, das auch ganz ohne Neigung zum Superlativ als eine der größten Fehlkalkulationen in der jüngeren Geschichte des Königreichs gelten darf.
Als am 5. Juni 2017 Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain überraschend harsche Sanktionen gegen das Emirat Katar verkündeten, glaubte der gemeinhin nach seinen Initialen nur MbS genannte Schattenregent von Riad, Mohammed bin Salman, an einen schnellen Erfolg: Die vier Staaten, denen sich später andere Länder anschlossen, kappten Handelsbeziehungen und den diplomatischen Austausch, schlossen Land- wie Seegrenzen, entzogen katarischen Flugzeugen die Überflugrechte, wiesen Kataris aus ihren eigenen Ländern aus und beriefen Staatsbürger aus dem Emirat heim. Aus der Halbinsel, die in den Persischen Golf ragt, war über Nacht eine Insel geworden, mit der es keinerlei Austausch mehr geben sollte - diese politische wie ökonomische Isolationshaft würde der Kleinstaat von Emir Tamim bin Hamad al-Thani nicht lange durchhalten, war man in Riad und Abu Dhabi, in Kairo und Manama überzeugt.
Lange war das Emirat seinen Nachbarn mit einer unabhängigen und eigenwilligen Außenpolitik auf die Nerven gefallen, damit sollte nun Schluss sein. Selbstbewusst stellten die Blockade-Staaten eine Liste von 13 Forderungen auf, die Katar erfüllen müsse, bevor die Beziehungen normalisiert werden könnten. Vordergründig prangerte der Bund um Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate angebliche Terrorunterstützung Katars an, vor allem aber ging es den Blockademächten um zwei weitere Punkte: Das Emirat sollte zum einen seine Unterstützung für die Bewegung der Muslimbrüder einstellen, die die autoritären Herrscher von Riad, Abu Dhabi und Kairo bis heute als die größte Bedrohung ihrer Macht einschätzen. Aus diesem Grund forderte der Bund auch die Schließung des Mediennetzwerks Al Jazeera, das die Aufstände von 2011 durch seine Live-Übertragungen befeuert hatte und Vertretern des politischen Islam bereitwillig immer größere Redezeit einräumte. Zum anderen verlangte die Koalition der Blockade-Staaten, dass Emir Tamim bin Hamad al-Thani in die harte Anti-Iran-Politik der anderen Golfstaaten einschwenkt und sein geschicktes Lavieren zwischen den beiden Machtblöcken am Persischen Golf einstellt.
Katar blieb trotz der Blockade stur
Wenn Katars Emir Tamim bin Hamad al-Thani nun an diesem Dienstag erstmals wieder nach Saudi-Arabien reisen wird, darf er für sich in Anspruch nehmen, in keinem der 13 Punkte nachgegeben zu haben. Sein Emirat unterhält weiter Beziehungen zum wichtigen Handelspartner Iran, Al Jazeera funkt weiter auf unzähligen Kanälen. Die Hauptstadt Doha wird 2022 strahlender Austragungsort einer Fußball-WM und ist weiter Exilort für die Spitzen der Muslimbrüder, die aus ihren Heimatländern flohen. Anstatt schnell einzuknicken, nutzte Katar seinen aus immensen Gasvorkommen stammenden Reichtum, um autark zu agieren - was die PR-Strategen des Emirats gerne mit einer Erfolgsgeschichte demonstrierten, in der Holstein-Kühe die Hauptrolle spielten: Plötzlich von der Versorgung mit Milchprodukten abgeschnitten, importierte Katar Fleckvieh aus Deutschland und anderen EU-Staaten und baute mitten in der Wüste eine Molkerei auf.
Wichtiger als die Paarhufer dürfte in den vergangenen dreieinhalb Jahren jedoch andere Unterstützung aus dem Norden gewesen sein: Das Bündnis Katars mit der Türkei wurde enger und enger, Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, der sich ebenfalls dem Freundeskreis der Muslimbrüder zurechnet, stellte sich in vielen globalen Streitfragen gegen die Achse aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Und auch was die Haltung der USA angeht, hatte sich MbS verkalkuliert: Wenige Tage vor Verkündung der Blockade war Donald Trump auf seiner ersten Auslandsreise als US-Präsident nach Riad gekommen, hatte bei einem traditionellen Schwertkampf mitgemacht und in einer skurrilen Zeremonie ein Anti-Terror-Zentrum eröffnet. Zwar versicherte er dem Kronprinzen uneingeschränkte Unterstützung, vor allem im Kampf gegen Iran - die größte Auslandsbasis der US-Armee, die sich in Katar befindet, wollte er dafür jedoch nicht preisgeben.
Dass Saudi-Arabien nun seine Grenzen zu Katar wieder öffnet und dass Kronprinz MbS diesen Dienstag ein Memorandum mit Katars Emir unterzeichnen wird, ist auch US-Vermittlung zu verdanken: Insidern aus Washington zufolge hing Trumps Schwiegersohn Jared Kushner bis in die frühen Morgenstunden des Montags am Telefon, um den Deal einzutüten. Neben ihm war vor allem das Emirat Kuwait als Vermittler aktiv, dessen Außenminister sich Montagnacht freute, "eine strahlende neue Seite in den brüderlichen Beziehungen" unter den Golfstaaten einzuläuten, "frei von jeglichen Abnormitäten".
Saudi-Arabien bietet das Abkommen die Chance, gesichtswahrend eines der Reizthemen abzuräumen, bevor der neue US-Präsident Joe Biden am 20. Januar sein Amt antritt, der sich im Wahlkampf sehr kritisch über das Königreich geäußert hatte. Und Trump kann nebenbei in seinem Ringen mit dem Regime in Teheran einen letzten Erfolg vermelden: Wenn die Maschinen von Qatar Airways nicht mehr durch die Blockade zu Umwegen gezwungen werden, wird Iran das in seiner wegen der US-Sanktionen ohnehin klammen Staatskasse merken: In den vergangenen Jahren zahlte Katar an Iran 100 Millionen Dollar für Überflugrechte - jährlich.