Süddeutsche Zeitung

Terrorismus:Saudi-Arabien: Der Terror frisst seine Väter

Saudi-Arabien geht hart gegen sunnitische Extremisten vor. Doch das Regime in Riad ist Förderer des Terrorismus und Opfer zugleich.

Kommentar von Paul-Anton Krüger, Kairo

Saudi-Arabien stellt sich an die Spitze einer sunnitischen Allianz gegen den Terrorismus - gegen jeglichen Terrorismus, wie Königssohn Mohammed bin Salman sagt. Das größte Problem der Welt, der islamischen wie der westlichen und gerade Saudi-Arabiens selbst aber sind die sunnitischen Extremisten des "Islamischen Staates" und al-Qaidas. Der selbsternannte Kalif Abu Bakr al-Bagdadi ruft zum Sturz des Hauses Saud auf. Und um die Bedrohung durch al-Qaida weiß niemand besser als der saudische Kronprinz und Innenminister Mohammed bin Nayef. Er wurde 2009 von einem Selbstmordattentäter der Organisation verletzt.

Zugleich hat die saudische Monarchie eine anachronistische und fundamentalistische, extrem intolerante, ja totalitäre Auslegung des Islam zur Staatsreligion erhoben. Die Wahhabiten nehmen in Anspruch, als Einzige den Islam authentisch zu interpretieren. Andere Sichtweisen werden als abweichlerisch diffamiert, Schiiten gar als Ungläubige. Mit seinen Öl-Dollars fördert Riad die Missionierung sunnitischer Muslime zu diesem Glauben. Auf diesen extremen Islam jedoch berufen sich der IS und al-Qaida bei ihrem mörderisches Treiben.

Das Land fördert Islamismus - und ist Zielscheibe für Islamisten

Saudi-Arabien ist so Opfer des islamistischen Terrorismus und geht - im eigenen Land - hart gegen ihn vor, liefert ihm aber zugleich die ideologische Basis. Auflösbar ist dieses Paradox nicht: Das Bündnis mit dem Prediger Muhammad ibn Abd al-Wahhab ermöglichte es einst den Sauds erst, Arabiens Stämme unter ihrer Hoheit zu einigen. Gefestigt wurde die Herrschaft mit der Gründung des modernen saudischen Staates im 20. Jahrhundert und mit der Eroberung von Mekka und Medina.

Die Allianz bildet bis heute den Kern der nationalen Identität, symbolisiert durch die Flagge: Sie kombiniert die Schahada, das von den Wahhabiten als Banner geführte Glaubensbekenntnis, mit dem Schwert des Hauses Saud. Den Wahhabiten garantiert die Verbindung Einfluss, Geld und die Kontrolle der heiligen Stätten des Islam. Den Sauds, die sich als Hüter jener Stätten bezeichnen, verschafft es Legitimität.

Darauf ist die Monarchie mit ihrer komplexen Thronfolge angewiesen, denn historisch haben sich die Sunniten in der Frage nach der Nachfolge des Propheten und Herrschers - Mohammed war Theokrat - für die Wahl des Effektivsten entschieden und gegen die Blutsverwandtschaft, das von den Schiiten geforderte Prinzip. So reagiert das Königshaus mit brutaler Unterdrückung auf alles, was es als Herausforderung seiner Herrschaft oder der zugrunde liegenden religiösen Anschauungen versteht. Raif Badawi und andere Dissidenten bekommen das zu spüren.

Dem Westen bleibt wenig, als die Saudis und die Iraner in die Pflicht zu nehmen

Darin ist auch die Rivalität mit dem schiitischen Gottesstaat Iran begründet, der gleichermaßen missionarisch darauf bedacht ist, seine Islamische Revolution zu exportieren und ebenfalls ein sehr gespaltenes Verhältnis zum Terror pflegt. Ausgefochten wird diese Konkurrenz in Jemen, auch wenn der Krieg zusätzlich motiviert sein mag durch den Versuch des neuen Königs Salman, sich und seinen Spross an der Macht zu etablieren. Seinen Führungsanspruch sucht Riad nun auch mit der Anti-Terror-Allianz zu demonstrieren.

Dem Westen bleibt wenig, als die Saudis in die Pflicht zu nehmen - und ebenso die Iraner. Ohne sie wird sich der Terrorismus nicht bekämpfen lassen, ohne sie wird es keine Lösung in Syrien geben. Zwischen Maghreb und Golf gibt es, von Tunesien abgesehen, keine angenehmen Partner. Man muss sie immer wieder auf die Menschenrechte stoßen. Und man muss über adäquate Druckmittel nachdenken, Stichwort Entwicklungshilfe, Stichwort Waffenexporte. Aber nicht mit diesen Ländern zu reden, hilft weder Raif Badawi noch den Menschen in Jemen - noch schützt es Europa vor weiteren Anschlägen wie in Paris.

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SZ vom 17.12.2015/jps
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