Süddeutsche Zeitung

Saudi-Arabien:Auf Sand und Blut gebaut

Die Hightech-Stadt Neom ist der Stolz des ehrgeizigen Thronfolgers Mohammed bin Salman. Doch gegen das Zukunftsprojekt regt sich nun Widerstand unter den Alteingesessenen: den Beduinen.

Von Dunja Ramadan

Eine Kombination aus Silicon Valley und Disneyland, so wird das Prestigeprojekt des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman gerne beschrieben. Bis 2025 soll die 500 Milliarden Dollar teure Megastadt im Nordwesten des Königreichs unter Leitung des Ex-Siemens-Chefs Klaus Kleinfeld fertig sein. Eine Stadt der Zukunft, so viel verrät schon der Name: "neo", altgriechisch für neu, dazu das "m", das für das arabische Wort "mustaqbal" steht - Zukunft. Hier sollen die klügsten Techköpfe mit Flugtaxis zur Arbeit in eines der vielen Start-ups fahren, während autonome Roboter die Lofts in Strandnähe reinigen. Auch Touristen, die bislang auf der anderen Seite des Roten Meeres in Ägypten brutzelten, sollen auf Luxusurlaub in Neom umsteigen.

Wäre da nur nicht die Vergangenheit, die nun die futuristischen Pläne des Thronfolgers einholt. Denn Neom entsteht nicht nur im sandigen Nirgendwo - oder auf "jungfräulichem Gebiet", wie das Werbevideo behauptet - sondern auch dort, wo die Familien von heute 20 000 Beduinen seit Jahrhunderten leben. Für sie ist in Neom kein Platz vorgesehen; seit Anfang des Jahres häufen sich Berichte von Zwangsräumungen. Immer mehr Stammesangehörige setzen sich gegen die Pläne zur Wehr - und lehnen die Entschädigungssummen der Regierung ab. Die saudische Menschenrechtsorganisation Alqst berichtet von mehreren Verhaftungen von Stammesmitgliedern, die sich weigern, ihre Häuser zu verlassen. Besonders öffentlichkeitswirksam ging Abdulrahim al-Huwaiti vor, der sich mit einer gewissen Vorahnung in einer Videobotschaft an seine Landsleute wandte.

Seine Heimat stehe zum Verkauf kritisiert ein Stammesangehöriger öffentlich - kurz darauf wird er getötet

Der Mann gehört dem Al-Huwaitat-Stamm an, der seit Jahrhunderten den Südwesten Jordaniens, den Sinai und den Nordwesten Saudi-Arabiens besiedelt. In einem Video erzählt er, dass seine Heimatstadt Al-Khuraybah als eine der ersten weichen soll. Er spricht von "Zwangsumsiedlung" und "Staatsterror" und rechnet mit Mohammed bin Salmans Herrschaft ab: Die einheimische Bevölkerung müsse verschwinden, um mehr als einer Million Ausländern ein Luxusleben zu ermöglichen, so al-Huwaiti. Seine Heimat stehe zum Verkauf. Dann wird er konkret: Er könne sich vorstellen, dass ihm die Regierung nach diesem Video etwas anhängen wollen wird. Man solle sich nicht wundern, wenn sie ihm Waffen unterjubele, um ihn als Terroristen zu brandmarken, der den Tod verdiene. Er lächelt wissend. Dann sagt er, es gebe für ihn nichts Schlimmeres, als sein Land zu verlieren - selbst den Tod nicht.

Nur einen Tag später wird al-Huwaiti auf Twitter "Märtyrer von Neom" genannt. Denn es kam so, wie es der Mann mit dem Turban vorausgesagt hatte: Sicherheitskräfte stürmten sein Haus, das filmte er noch auf dem Dach stehend, wenig später wurde er getötet. Die Behörden räumten das ein, sprachen allerdings von einem Gefecht - und veröffentlichten im Anschluss Bilder von Waffen im Haus al-Huwaitis.

Seitdem reißt die Kritik am Vorgehen der Behörden nicht ab. Die Menschenrechtsorganisation Alqst wirft ihnen vor, die Ermordung "zu vertuschen", indem sie Mitglieder seines Stammes mit fünfstelligen Summen bestechen würden, um ihn zu verleugnen und "ihre Treue zu erneuern". Wenige Tage später berichtet die staatsnahe Zeitung Arab News, dass die Familien des Al-Huwaitat-Stamms ihre Loyalität gegenüber der saudischen Führung bekräftigt hätten.

Da es für viele Oppositionelle immer schwieriger wird, Kritik im eigenen Land zu äußern, hat nun eine in London ansässige Stammesangehörige das Wort ergriffen. Das Neom-Projekt werde auf dem Blut ihres Stammes gebaut, schreibt Alia al-Huwaiti auf Twitter. Sie gibt Interviews, dem katarischen Fernsehsender Al Jazeera, aber auch dem britischen Guardian. Für Mohammed bin Salman spielen die Stämme keine Rolle, sagt sie. Der BBC erzählt al-Huwaiti, dass sie telefonische Drohungen von saudischer Seite erhalte. Man werde sie in London finden - und sie werde das gleiche Schicksal wie Jamal Khashoggi ereilen. Der saudische Publizist wurde 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet.

Der Konflikt, der nun um Neom brodelt, ist auch ein Konflikt um das alte und neue Saudi-Arabien. Mohammed bin Salmans Umgang mit alteingesessenen Stämmen könnte viele Saudis verärgern, denen der Wandel und die Öffnung zu schnell gehen. Es ist vor allem das Festhalten an Prinzipien, ungeachtet der Konsequenzen, das viele Saudis an Huwaiti bewundern. Ein Zitat von ihm wird in diesen Tagen besonders häufig im Netz geteilt: "Das Leben misst sich nicht in Jahren. Der Standpunkt eines einzigen Tages kann so viel wert sein wie neunzig Jahre."

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SZ vom 12.05.2020
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