Bei Straßen und Plätzen ist es üblich, dass sie mit Namen bedacht werden; sie heißen Adenauer-Allee oder Enzianstraße. Bei Paragrafen ist das eher unüblich. Da wird nicht lang nach Namen gesucht; über Strafparagrafen steht praktischerweise nur das, was dann näher ausgeführt wird. Paragraf 211 heißt "Mord", der 223 "Körperverletzung".
Paragraf 103 hat auch eine solche Überschrift. Sie lautet: "Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten". Aber dieser Paragraf ist nicht nur unter diesem sperrigen Titel, sondern unter der griffigen Bezeichnung "Schah-Paragraf" bekannt - nach dem Staatsoberhaupt, das sich in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts besonders oft beleidigt fühlte und dann, wie es hier notwendig ist, "ein Strafverlangen" erhob.
Dieser Paragraf ist es nun, der dem Moderator Jan Böhmermann Schwierigkeiten macht: Er hat in seiner TV-Sendung ein Spottgedicht über den türkischen Staatspräsidenten vorgetragen, dessen Spott unter der Gürtellinie lag. Es ist nicht bekannt, ob die türkische Regierung Strafantrag gestellt hat, wie es zur Strafverfolgung notwendig ist. Wenn das so bleibt, dürfte die Chance gering sein, dass der Schah-Paragraf in Erdoğan- oder Böhmermann-Paragraf umbenannt wird.
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Im Kaiserreich schützte Paragraf 103 nur Monarchen
Den größten Erfolg hatte dieser Paragraf 1949, als Der Spiegel von der britischen Besatzungsmacht für zwei Wochen verboten wurde, weil das Nachrichtenmagazin über den Thronwechsel in den Niederlanden "in allgemein beleidigendem Ton" berichtet habe. Damals war genau genommen Paragraf 103 gar nicht in Kraft, weil mit den Hoheitsbefugnissen auch das deutsche politische Strafrecht aufgehoben war. Erst 1953 wurde die Vorschrift über die Beleidigung ausländischer Staatschefs wieder geltendes bundesdeutsches Recht - allerdings ohne die Einschränkungen, die seit 1871 im Kaiserreich gegolten hatten.
Damals wurden nur monarchische Oberhäupter geschützt, also nicht der amerikanische oder französische Präsident. Der Grund für die heutige Strafbarkeit der Beleidigung ausländischer Staatschefs, so liest man in den Lehrbüchern, sei "das eigene staatliche Interesse an einem Mindeststandard korrekter Auslandsbeziehungen". Der Straftatbestand wird aber eher randständig behandelt. Das zeigt sich in den kurzen Kommentierungen in den großen Kommentaren sowie in der Scheu, die Sache in der juristischen Literatur aufzugreifen.
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Auch die Lust der Strafbehörden ist begrenzt. Das hängt mit den Erfahrungen nach dem Deutschland-Besuch des Schahs 1967 zusammen, als die Justiz, von ihm gedrängt, Ermittlungen wegen der Plakate einleitete, auf denen "Persien ein KZ" stand. Als Ermittler meinten, man müsse sich in diesem Rahmen auch mit den Zuständen in Persien beschäftigen, wurde das dem Bundesinnenminister Paul Lücke zu heikel. Er reiste eigens nach Teheran und bewegte den Schah zu einem Verzicht auf die Strafverfolgung.
Die Studenten, die vor dem Münchner Polizeipräsidium aufzogen, hatten deshalb keinen Erfolg mehr. Auf ihre Transparente hatten sie geschrieben "Wir bereuen, den Schah beleidigt zu haben" und "bitten um gerechte Bestrafung". Man sieht: Böhmermänner gab es schon vor 50 Jahren.