Satire: Westerwelle-Biographie:Lautsprecher sucht Liebe

Armer Westerwelle: Er ist so unbeliebt wie kein Außenminister vor ihm, die FDP steckt in der Krise und zwei Titanic-Witzbolde schreiben über sein Leben. Autor Oliver Nagel sagt trotzdem: "Er wird nicht böse sein."

Matthias Kolb

Guido Westerwelle stand mächtig unter Druck, damals im März. Die FDP war als neue Regierungspartei in den Umfragen abgesackt, in den Medien wurde über seine Reisegepflogenheiten und die Auswahl seiner Delegation gerätselt, der Geruch von Klientelismus hing in der Luft. Da rief der Oberliberale beim Parteitag der NRW-FDP diesen Satz aus: "Ihr kauft mir den Schneid nicht ab."

Satire: Westerwelle-Biographie: Guido Westerwelle beim Parteitag der NRW-FDP im März 2010 in Köln: Während er sonst oft mit dem Zeigefinger fuchtelt, ballt er hier energisch die Faust.

Guido Westerwelle beim Parteitag der NRW-FDP im März 2010 in Köln: Während er sonst oft mit dem Zeigefinger fuchtelt, ballt er hier energisch die Faust.

(Foto: Foto: ddp)

Da war er wieder, der Lautsprecher Westerwelle, der ewige Oppositionspolitiker, der den fuchtelnden Zeigefinger nicht in der Hosentasche seines Diplomatenanzugs lassen kann. Und der wie kein anderer in der deutschen Politik mit seinen Aussagen für Debatten sorgt - das dröhnende Gerede der "spätrömischen Dekadenz" hallte noch lange nach. Momentan ist es ruhig um den 48 Jahre alten Vizekanzler, doch das wird sich bald ändern, vermutet Oliver Nagel.

"Westerwelle ist ein zutiefst zerrissener Mensch, der dazugehören und geliebt werden will, aber aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht geliebt wird", analysiert der 38-jährige Autor, der soeben mit Stefan Gärtner eine Biographie über den Außenminister verfasst hat.

Auf dem letzten Parteitag der Liberalen beantwortete Westerwelle handschriftlich in einer Broschüre die Frage, was ihn glücklich mache: "Erwiderte Liebe." Dieses Streben führt laut Nagel immer wieder zu Abstürzen und Ausfällen. "Danach ist er beleidigt und dann wird es wieder laut", sagt Nagel, der fast zehn Jahre für die Titanic gearbeitet hat und dieses Muster schon beim Schüler Guido entdeckt haben will.

Noch heute kümmert sich Nagel um den Online-Auftritt des Satire-Magazins und dort sind die elektronischen Postkarten wie "Toyota ruft Westerwelle zurück" extrem beliebt.

Insofern sei die Idee zum Buch naheliegend gewesen: "Westerwelle ist eine Figur, die polarisiert und die auch sehr stark emotional besetzt ist." Fast jeder, so der Eindruck des studierten Soziologen, habe eine Meinung zu Guido. An Material habe es nicht gefehlt, berichtet Nagel - es sei vielmehr darum gegangen, alle Vorlagen gut zu verwandeln.

Und auf den 160 Seiten finden sich all jene Ereignisse, die viele mit dem Juristen Guido Westerwelle verbinden: sein Besuch im Big-Brother-Container, die 18 unter der Schuhsohle, das Guidomobil, sein Status als Dauergast in Talksendungen oder seine umfangreiche Kunstsammlung.

Zwischen Kalauern und Analyse

Das Ganze gleicht einem Sonderheft der Titanic: Da wird viel gekalauert, es finden sich Bildergeschichten mit Sprechblasen, man erfährt im Neon-Stil 20 unnütze Dinge über Westerwelle. Natürlich gibt es einen Kurs "Learning English with the German Outside Minister Dr. Westerwave" à la "This ist Cleaner Little-Brother" ("Das ist Rainer Brüderle") oder "This is Jürgen Möllemann" ("Diesen Herrn kenne ich nicht").

Manches ein wenig zu albern und überdreht, doch vieles wie der Aufsatz "Der letzte Popper" hingegen sehr gelungen. Das Konkurrenzverhältnis Westerwelles zu Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist bestens eingefangen im "Guidos Schlaflied". Hier eine Kostprobe:

Schlaf, Guido, schlaf!// Es redet grad der Graf // Von Guttenberg, nein: der Baron.// Was weiß die CSU denn schon! //Schlaf, Guido, schlaf.

Träum, Guido, träum!//Den Quatsch kannst du versäum// Der Traum ist grade wunderschön://Das Volk will dich als Kanzler sehn! //Träum, Guido, träum!

Dumm, Guido, dumm: // Die Redezeit ist um!// Der Herr Baron ist schon am End // Doch seht nur, wie der Guido pennt!// ... Ach, bleib doch stumm.

Und wenn Gärtner und Nagel für den kleinen Guido Postkarten erfinden, in denen Floskeln wie "werteorientiert" und "interessengeleitet" auf Ferienorte übertragen werden, dann wird das Stanzenhafte offensichtlich. Die Floskeln und Stichworte ("Leistung muss sich lohnen") seien stets gleich und oft gehe es Westerwelle doch nur darum, Präsenz zu zeigen - oder um "akustische Möblierung des öffentlichen Raumes", wie es der Journalist Nils Minkmar einmal formulierte. Darauf ist auch der Psychotest "Wie viel Westerwelle steckt in Ihnen?" aus dem Buch ausgelegt, der auch bei sueddeutsche.de zu finden ist.

Es sei nicht schwer gewesen, sich in Westerwelle und seine Gemütshaltung hineinzuversetzen und weiterzuspinnen, meint Nagel: Die Weltsicht sei doch recht einfach gestrickt. Dennoch möge er den Bonner sogar ein wenig: "Je länger ich mich mit ihm beschäftigt habe, umso mehr Sympathie habe ich. Westerwelle ist ein Politiker vom alten Schlag, der sich hinstellt und Sachen sagt und dann hinterher mit den Reaktionen leben muss." Darin gleiche er fast Franz Josef Strauß.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso Oliver Nagel auch über Homosexuelle Witze macht und weshalb Guido Westerwelle nicht sauer auf die beiden Titanic-Autoren sein wird.

Westerwelle und das Kabarett

Sicherlich, wer sich genau über den Werdegang des Außenministers informieren will, der ist mit der soliden, aber eher trockenen Biographie von Majid Sattar aus dem Olzog-Verlag besser beraten. Aber wer sich an einer gewissen Boshaftigkeit erfreuen kann und noch mal all die Auftritte des Guido W. Revue passieren lassen will, der wird viel Freude an dem kleinen Buch des Rowohlt-Verlags haben.

Westerwelle und die Witzbolde

Seit Jahren gehört Westerwelle zu jenen Spitzenpolitikern, die immer wieder von Satirikern und Kabarettisten auf die Schippe genommen wurden. Auf der Bühne der Berliner "Distel" stellt seit April das Kabarettprogramm "Das Guido-Prinzip" einige Fragen zum "König der Mövenpick-Partei" und noch im März sorgte das Derblecken auf dem Münchner Nockherberg für helle Aufregung: In der Rede hatte Bruder Barnabas auf die Hartz-IV-Kritik des FDP-Manns mit einem missglückten KZ-Vergleich reagiert. Danach kündigte Westerwelle an, dass er sich künftig nicht mehr einladen lassen werde.

Der Altmeister des deutschen Kabaretts, Dieter Hildebrandt, kam in einem Zeitungsinterview zu folgendem Urteil: "Westerwelle ist nicht nur nicht regierungsfähig, sondern auch nicht humorfähig." Es sei schon bemerkenswert, wenn sich der Chef einer liberalen Partei bei einer Brauerei beschwere, dass sie keine Zensur ausgeübt habe.

Oliver Nagel rechnet nicht mit einer harschen Reaktion des Berliners: "Ich glaube auch nicht, dass er auf das Buch böse sein wird." Die im Winter geäußerte Klage einiger FDP-Politiker, Westerwelle werde nur deswegen so harsch kritisiert und verspottet, weil er homosexuell sei, hält der Satiriker für wenig überzeugend.

Er sieht es eher als Zeichen für Normalität, dass in Deutschland mittlerweile über alle Randgruppen Witze gemacht würden - vor allem in einer Gesellschaft, die einen Behinderten, einen Schwulen, ein Adoptivkind aus Vietnam in der Regierung und eine Frau als Kanzlerin habe, worüber sich kaum jemand aufrege. Und so findet sich auch im Englisch-Kurs eine kleine Spitze: "You're not my kind of guy" bedeute im Westerwelle-Universum "Ihre Art, schwul zu sein, passt mir nicht." Nagel argumentiert, dass Westerwelle sein Privatleben auch inszeniert habe: Sein Coming-out beim Empfang zu Angela Merkels 50. Geburtstag im Jahr 2004 sei ebenso bewusst gewählt gewesen wie manche Fotostrecken in Venedig.

Womöglich wird der FDP-Chef die satirische Biographie auch aus einem anderen Grund ignorieren: Wenn die schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag vom Wähler abgestraft wird und damit die Mehrheit im Bundesrat verlorengeht, wird der Lautsprecher Westerwelle wieder gefragt sein. Dann liefert er vielleicht wieder Stoff für die nächste Auflage.

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