Eigentlich wollte Saskia Esken im kommenden Jahr den Bundestag verlassen, so hat es die SPD-Vorsitzende einmal angekündigt. Sie kandidiere 2021 noch einmal für eine dritte Legislaturperiode im Bundestag, aber „danach bin ich raus“, sagte sie vor vier Jahren der Süddeutschen Zeitung. Doch nun kommt es zur Kehrtwende der SPD-Vorsitzenden, sie will sich nach SZ-Informationen erneut um ein Bundestagsmandat bewerben. Im Willy-Brandt-Haus wird das mit den großen Herausforderungen für die Kanzlerpartei begründet, die gerade bei der Europawahl mit 13,9 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren hat. Da gelte es, Verantwortung zu tragen.
Esken führt die Sozialdemokraten in einer Doppelspitze seit 2019, erst mit Norbert Walter-Borjans, seit 2021 mit Lars Klingbeil. Ihre Ergebnisse im baden-württembergischen Wahlkreis Calw sind bescheiden. Noch nie gewann sie ihn direkt. Bei der Bundestagswahl 2021 landete sie mit 17,2 Prozent weit abgeschlagen hinter dem CDU-Wahlkreisgewinner Klaus Mack. Jedes Mal zog sie nur über die Landesliste ein. Damals, 2020, hatte sie im Gespräch mit der SZ laut über eine Begrenzung für die Mandatszeit von Abgeordneten nachgedacht, „damit daraus nicht ein lebenslanger Beruf wird“. Zwei Legislaturperioden halten sie für zu kurz, „drei Legislaturperioden müsste man die Leute schon machen lassen“, sagte sie. Und betonte, danach wäre für sie persönlich jedenfalls Schluss, also 2025.
In ihrem Wahlkreis ist von „Wortbruch“ die Rede
Jetzt, da Esken bei der Bundestagswahl im Herbst 2025 doch für eine vierte Legislaturperiode antreten will, holt sie das ein. Auf SZ-Anfrage will sie sich nicht zur Kehrtwende äußern. An der Basis ihres Bundestagswahlkreises im Nordschwarzwald grummelt es ob des Meinungsumschwungs. Manfred Stehle, Mitglied im SPD-Kreisverband Calw, wirft seiner Bundesvorsitzenden und Wahlkreisabgeordneten „klaren Wortbruch“ vor. „Saskia Esken beschädigt damit nicht nur ihre persönliche Glaubwürdigkeit, sondern sie schadet auch der SPD, für die sie als deren Co-Vorsitzende eine besondere Verantwortung trägt.“
Stehle hat in der SPD durchaus einen Namen, der erfahrene Verwaltungsbeamte war während der Regierungsbeteiligung in Baden-Württemberg von 2011 bis 2016 Amtschef in zwei SPD-geführten Ministerien, erst im Integrations-, dann im Kultusressort. Seit dem Ende von Grün-Rot führen die Genossen im Südwesten ein eher tristes Dasein, bei der Europawahl vor wenigen Wochen lagen sie mit 11,6 Prozent dort, wo sie eigentlich immer liegen: unter dem Bundesschnitt. Auch die Digital- und Bildungsexpertin Esken ist nicht unumstritten. Zudem gibt es in der Bundestagsfraktion Stimmen, die ihr ein Schönreden des jüngsten Wahlergebnisses und Flüchten in Floskeln vorwerfen. Als ihr großes Verdienst gilt, wie sie die Geschlossenheit in der SPD organisiert, den linken Parteiflügel zusammenhält bei der Unterstützung von Kanzler Olaf Scholz.
Das Gros des Landesverbands hat wenig Interesse an einer Debatte über seine wichtigste Exponentin. Wenig überraschend begrüßt der Generalsekretär der Landes-SPD, Sascha Binder, Eskens erneute Kandidatur: Für den Landesverband sei das „natürlich erfreulich“. Diese kann ein Indiz sein, dass sie nach der Bundestagswahl auch eine Wiederwahl als SPD-Chefin anstreben könnte. Die meisten Kreisverbände nominieren ihre Kandidaten im Herbst, die Landesliste für den Bundestag zurrt die Südwest-SPD auf einem Parteitag im März 2025 fest. Meinungsumschwung hin, Kritik her: Als SPD-Chefin dürfte Esken der erste Listenplatz wieder sicher sein.