Süddeutsche Zeitung

Sarrazin wird sein Buch nicht verändern:"Er hat nichts zurückzunehmen"

Thilo Sarrazin wird aus dem Schiedsspruch in seinem Parteiausschlussverfahren keine konkreten Konsequenzen ziehen. "Er hat nichts zurückzunehmen", sagte sein Rechtsbeistand, der frühere Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi.

Susanne Höll, Berlin

In der SPD hält trotz aller Beschwichtigungsversuche der Führung die Empörung über den Verbleib des früheren Berliner Innensenators Thilo Sarrazin in der Partei an. Heftige Kritik musste sich Generalsekretärin Andrea Nahles gefallen lassen, die als Prozessbeteiligte das Ausschlussverfahren gegen Sarrazin am Gründonnerstag mit beendet hatte. Die hessischen Jusos bezeichneten die gütliche Einigung als "nicht nachvollziehbar" und verlangten deshalb den Rücktritt der Generalsekretärin. Führende SPD-Politiker, unter ihnen auch der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel, nahmen Nahles dagegen in Schutz.

Hessens Juso-Chef Felix Diehl monierte, Sarrazin habe seine "rassistischen und sozialdarwinistischen Äußerungen" nicht ausdrücklich zurückgenommen. Auch andere Kritiker halten die Entscheidung der Prozessbevollmächtigten aus der Bundes-SPD, dem Land Berlin und dem Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf für unverständlich und mutmaßen, dass sie aus parteitaktischen Überlegungen auf einen Rauswurf verzichteten.

Gemessen an den ursprünglich strikten Positionen der Bundes-SPD war der Ausgang des Verfahrens tatsächlich überraschend: Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel hatte Sarrazin in einem vielbeachteten Gastbeitrag in der Zeit im September attestiert, er unterstütze eugenische Thesen, sei ein "Hobby-Darwinist" und mithin für die SPD nicht tragbar. "Wer uns empfiehlt, diese Botschaft (Sarrazins) in unseren Reihen zu dulden, der fordert uns zur Aufgabe all dessen auf, was Sozialdemokratie ausmacht: unser Bild vom freien und zur Emanzipation fähigen Menschen. Und wer uns rät, doch Rücksicht auf unsere Wählerschaft zu nehmen, die Sarrazins Thesen zustimmt, der empfiehlt uns taktisches Verhalten dort, wo es um Grundsätze geht", schrieb er damals.

Gabriel listete einige der Passagen aus Sarrazins Buch auf, die er und andere SPD-Politiker besonders anstößig fanden. Dazu gehört der Vorschlag, Akademikerinnen eine Geburtsprämie von 50.000 Euro zu zahlen, wenn sie vor Vollendung ihres 30. Lebensjahres ein Kind zur Welt bringen, vorausgesetzt ihr Nachwuchs sei gesellschaftlich nützlich. Auch Sarrazins Thesen über die vermeintlich geringere Intelligenz von Zuwanderern und deren Kindern empörte viele in der SPD zutiefst.

Mit der Erklärung, die sowohl Sarrazin als auch die SPD-Vertreter auf Vorschlag der Partei-Schiedskommission am Gründonnerstag für eine Beendigung des Verfahrens akzeptierten, sind diese von Gabriel und anderen monierten Passagen aber nicht aus der Welt. Zwar versichert der frühere Bundesbankvorstand, dass er nicht die Auffassung vertrete, "sozialdarwinistische Thesen sollten in die politische Praxis umgesetzt werden". Auch befürworte er keine "selektive Bevölkerungspolitik", wolle keinesfalls Migranten diskriminieren, sondern schwerwiegende Defizite bei der Integration ansprechen. Generalsekretärin Nahles wertet diese Erklärung als "Distanzierung" Sarrazins von "sozialdarwinistischen und diskriminierenden Äußerungen".

In der Praxis aber wird diese Erklärung Sarrazins wohl kaum konkrete Folgen haben. Sein Buch wird Sarrazin nach Darstellung seines Rechtsbeistandes, des früheren Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi (SPD), deswegen jedenfalls nicht umschreiben müssen. "Er hat nichts zurückzunehmen", sagte Dohnanyi der Süddeutschen Zeitung.

Der Jurist widersprach auch Mutmaßungen aus der eigenen Partei, die gütliche Einigung vom Gründonnerstag sei Ergebnis einer heimlichen Absprache Sarrazins und der SPD-Verantwortlichen gewesen, um die im Herbst anstehende Berliner Abgeordnetenhauswahl für die in der Hauptstadt regierenden Sozialdemokraten nicht zu belasten. "Der Vorschlag für die Erklärung kam nicht von mir, auch nicht von Andrea Nahles, sondern von der sehr sachkundigen und unabhängigen Schiedskommission." Der Text sei von keiner Seite redigiert oder abgeändert worden.

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SZ vom 28.04.2011/beu
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