Sarrazin und die Sprache:"Es gibt keine unschuldigen Wörter"

Hat Sarrazin Wörter wie "Integration" und "Migrationshintergrund" vergiftet? Sollten wir sie abschaffen? Rhetorikexperte Bazil über Kampfbegriffe und was die Wortwahl über das Menschenbild verrät.

Marlene Weiss

Seit Thilo Sarrazin sein Buch Deutschland schafft sich ab veröffentlicht hat, wird erbitterter denn je über die Rolle von Zuwanderern in Deutschland gestritten - so sehr, dass manche die dabei verwendeten Reizwörter für vergiftet halten und sie durch neue Begriffe ersetzen wollen. Vazrik Bazil verdient sein Geld mit der Wahl der richtigen Formulierung. Der Vorsitzende des Verbandes der Redenschreiber deutscher Sprache über die enge Beziehung zwischen Worten und Werten.

sueddeutsche.de: Herr Bazil, haben Sie ein Problem mit dem Begriff 'Migrationshintergrund'?

Vazrik Bazil: Für mich ist der in Ordnung. Man wollte das Wort 'Ausländer' umschiffen, das hatte so einen negativen Beiklang. Also spricht man lieber von 'Menschen mit Migrationshintergrund'.

sueddeutsche.de: Die hessische Landtagsabgeordnete der Grünen, Müvret Öztürk, fordert, die Begriffe 'Integration' und 'Migrationshintergrund' abzuschaffen, weil es politische Kampfbegriffe geworden seien.

Bazil: Es gibt keinen unschuldigen Begriff. Jedes Wort, das im öffentlichen Raum benutzt wird, ist letztlich ideologisch angehaucht. Begriffe haben eine Biographie wie wir Menschen auch. Sie entstehen, machen eine Entwicklung durch und werden irgendwann vergessen. Sicher, die Deutung wandelt sich, und mit der Sarrazin-Debatte haben Begriffe wie 'Menschen mit Migrationshintergrund' eine neue Deutung bekommen, so dass manche diesen Begriff abschaffen wollen. Aber ob das so einfach geht, daran zweifle ich.

sueddeutsche.de: Was bedeuten denn diese Begriffe inzwischen? Steht 'Integration' jetzt für Anpassung?

Bazil: Das stimmt wohl, und 'Migrationshintergrund' in der öffentlichen Wahrnehmung für 'muslimisch'. Aber ich denke, Integration kann man weiter verwenden, weil es auch als Gegensatz und Abgrenzung zu Assimilation gilt. Die Vorschläge, die Frau Öztürk unterbreitet, sind kaum geeignet, das Wort zu ersetzen.

sueddeutsche.de: Sie schlägt 'Vielfalt', 'Demokratie' und 'gesellschaftliche Teilhabe' vor - das sind doch schöne Begriffe.

Bazil: Ja, aber diese Begriffe könnte man genauso gut auf Hartz-IV-Empfänger ausweiten - wer arm ist, koppelt sich von der Gesellschaft ab, also müssen wir diese Leute mit mehr Geld in die Gesellschaft integrieren. Dann muss man aber für das spezifische Phänomen der Integration von Ausländern, also von "Bürgerinnen und Bürgern, die aus anderen Kulturen zu uns kommen", ein anderes Wort finden. 'Pluralität' und 'Demokratie' sind schöne Begriffe, aber sie sind sehr allgemein und beschreiben nicht das Phänomen Integration im eigentlichen Sinne.

sueddeutsche.de: Ursprünglich sollte 'Migrant' das Wort 'Ausländer' ersetzen, dann kam der 'Migrationshintergrund', und jetzt haben wir trotzdem die Sarrazin-Debatte. Haben die politisch korrekten Begriffe der Gesellschaft gar nichts gebracht?

Bazil: Begriffe spiegeln den Zustand einer Gesellschaft. Wenn dieser Zustand sich ändert, ändern sich die Begriffe, und umgekehrt: Wenn man die Begriffe ändert, erhofft man sich eine geistige Veränderung, beide bedingen sich gegenseitig. Insofern ist es durchaus sinnvoll, Begriffe zu beeinflussen. Nur verändern sich Einstellungen nicht von heute auf morgen. Das ist ein langwieriger Prozess.

Von Vorurteilen und Unwörtern

sueddeutsche.de: Wie steht es um Ihren eigenen Migrationshintergrund - fühlen Sie sich angesprochen von dem Begriff?

Bazil: Ich bin in München, Venedig und Rom aufgewachsen, meine Eltern sind Armenier. Von der Integrationsdebatte fühle ich mich nicht betroffen.

sueddeutsche.de: Sie beraten auch Unternehmen im Sprachmanagement. Was tun Sie da?

Bazil: Wenn wir bestimmte begriffliche Verbindungen unschuldig eingehen, verraten wir unser Menschenbild. Ist es zum Beispiel sinnvoll, von 'Humankapital' zu sprechen, von 'erfolgreicher Bildung', 'erfolgreicher Ehe' oder 'erfolgreicher Kindheit'? Meine Aufgabe ist es, Unternehmen und Politiker auf diese impliziten Menschenbilder aufmerksam zu machen.

sueddeutsche.de: Und wie geht man mit vorbelasteten Begriffen um, wenn sie einmal im Raum sind?

Bazil: Begriffe rufen bestimmte Vorurteile hervor. Die Frage ist, wollen wir diese Vorurteile eher schwächen oder stärken? Je nachdem, müssen wir sie ersetzen, umdeuten oder gar neue Begriffe bilden. Nehmen Sie zum Beispiel Wörter wie 'Disziplin', 'Gemeinschaftsschule' oder 'Einheitsabitur' - sie sind alle ideologische Reizwörter.

sueddeutsche.de: Sie haben ein Buch über Semiometrie geschrieben - eine Marketing-Methode, bei der Zielgruppen anhand ihrer Assoziationen zu bestimmten Begriffen charakterisiert werden. Lassen sich Menschen tatsächlich so einfach durch ihren Wortschatz beschreiben?

Bazil: Das ist eine statistische Methode. Man ermittelt Schlüsselbegriffe, die etwas über persönliche Vorlieben aussagen. Zum Beispiel, dass Menschen, die mit dem Wort 'Ozean' positive Gefühle verbinden, eher diese als jene Marke kaufen. Der aktive Wortschatz sagt auch etwas über das Wertesystem und das Menschenbild aus. Aber niemand kann nur einer Wertekategorie zugeordnet werden. Die Semiometrie hat 14 Wertekategorien ausgemacht. Niemand ist nur sozial oder nur konservativ.

sueddeutsche.de: Im Jahr 2009 waren Sie Leiter eines Teams, das Wahlkampfreden von Politikern beurteilt hat. Guido Westerwelle hat dabei gut abgeschnitten. Sehen Sie das immer noch so?

Bazil: Ja. Guido Westerwelle erreicht die Menschen, er bindet die Aufmerksamkeit, er hat eine gute Gestik. Insofern ist er ein guter Redner - auch wenn er in seiner Rede beim Dreikönigstreffen nicht die Erwartungen der Öffentlichkeit erfüllt hat.

sueddeutsche.de: Neigt er in seinen Reden nicht zu sehr zur Konfrontation?

Bazil: Es kommt darauf an, als was er spricht - als Parteivorsitzender ist er konfrontativ, als Außenminister kaum. Die Rolle, in der man spricht, diktiert den Sprachstil. Das sollte auch so sein, und das Publikum erwartet es so. Generalsekretäre zum Beispiel werden oft Wadenbeißer genannt - ein Generalsekretär, der nur versöhnliche Töne anschlägt, hat offensichtlich die falsche Aufgabe übernommen.

sueddeutsche.de: Kürzlich wurde das Unwort des Jahres bekanntgegeben: "alternativlos". In der Begründung heißt es, das Wort suggeriere, dass Diskussion unnötig sei und es drohe, die Politikverdrossenheit zu verstärken. Sind wir wirklich so einfach gestrickt, dass wir auf so ein simples Wort hereinfallen?

Bazil: Teilweise ja, aber ganz so einfach ist es nicht. Das Wort gehört zum politischen Machtspiel, ich verbinde damit keine sachliche Aussage.

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