Fall Sarrazin:Die Inquisition der SPD

Früher hat die SPD zu schnell ausgeschlossen. Heute ist sie zu langsam. Bei Thilo Sarrazin unternimmt sie jetzt schon den dritten Anlauf.

Kommentar von Heribert Prantl

Was spricht für Thilo Sarrazin? Was spricht gegen seinen Ausschluss aus der SPD?

Eigentlich nichts.

Der Mann ist, das ist die Quintessenz seiner Äußerungen und Publikationen, ein islamophober Rassist. Das widerspricht der Programmatik der SPD grundlegend und grundsätzlich.

Die Partei muss es sich nicht gefallen lassen, dass Sarrazin mit seiner Mitgliedschaft in der SPD kokettiert und für Positionen wirbt, die der Glaubwürdigkeit der Partei schaden. Eine aufgeklärte Partei, die lauten und lärmenden Rassismus duldet, würde sich selbst aufgeben.

Für Sarrazin spricht allenfalls die SPD-Geschichte. Die 150-jährige Geschichte der SPD ist auch eine Geschichte der Ausschlüsse von unliebsamen Personen und Meinungen. Wenn man im Zeitungsarchiv die Geschichte der Parteiausschlüsse bei der SPD recherchiert, kommt man mit einer sehr dicken Mappe aus dem Keller; bei anderen Parteien ist es nur ein Mäppchen.

Das liegt nicht nur daran, dass die SPD eine sehr alte Partei ist, viel älter als jede andere deutsche Partei. Es liegt daran, dass Ausschlüsse schon immer Teil der Droh-, Streit- und Kampfkultur in der SPD waren.

Vor mehr als hundert Jahren hat die SPD ihren eigenen Partei- und Fraktionschef Hugo Haase hinausgeworfen, weil er zusammen mit fast seiner halben Fraktion im Reichstag die Kredite für den Ersten Weltkrieg nicht mehr genehmigte - und damit den sogenannten Burgfrieden mit Kaiser Wilhelm II. störte. Haase gründete dann die USPD.

Meist wurden Leute aus der SPD verbannt, die der Parteiführung zu links waren. Die Parteischiedsgerichte waren so etwas wie die heilige Inquisition der SPD. Man muss da nicht hundert Jahre zurückgreifen.

Der Bänkelsänger Franz Josef Degenhardt, der Kabarettist Wolfgang Neuss und seine Kollege Dietrich Kittner, der Politiker Christian Ströbele, der Rechtsprofessor Uwe Wesel, der Juso-Chef Klaus Uwe Benneter - sie alle teilen ein Schicksal: Sie wurden aus der Partei ausgeschlossen, bisweilen wurden sie dann aber später wieder zurückgeholt.

Der Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Hansen wurde seinerzeit, 1981, aus der SPD ausgeschlossen, weil er die Nachrüstungspolitik von Helmut Schmidt als "geopolitische Schweinerei" bezeichnet und dem Kanzler "Geheimdiplomatie gegen das eigene Volk" attestiert hatte.

Werner Holtfort, damals stellvertretender Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen, verteidigte Hansen vergeblich. Er sah die Gefahr, "dass wichtige kritische Gedanken nicht mehr geäußert werden".

Vielleicht ist in der SPD zu viel niedergemacht worden

Mindestens "in Fragen auf Leben und Tod" - und bei der atomaren Nachrüstung handele es sich um solche - dürfe die Freiheit eines Abgeordneten von keinem Parteiordnungsverfahren "niedergemacht" werden.

Vielleicht ist mittlerweile in der SPD zu viel niedergemacht worden. Es wächst dort nicht mehr viel. Soll nun aber ausgerechnet Sarrazin davon profitieren, dass die SPD früher zu schnell und zu viel ausgeschlossen hat?

Es gibt keine Kontrahierungspflicht für Parteien, es gibt keinen Anschluss- und Benutzungszwang. Eine Partei ist nicht die kommunale Wasserversorgung. Abweichende Meinungen muss eine demokratische Partei dulden, einen fortdauernden Angriff auf ihre Grundüberzeugungen nicht. Es wäre gut gewesen, die SPD hätte Sarrazin schon vor zehn Jahren ausgeschlossen, als das erste Verfahren gegen ihn lief. Jetzt ist es das dritte.

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