Sarrazin: Gespaltene SPD:"Das konnte man doch nicht ahnen"

Klaus Wowereit redet sich raus und Generalsekretärin Nahles fehlt jede Überzeugungskraft: Wie die SPD-Spitze sich vergeblich müht, den Rauswurf von Thilo Sarrazin zu begründen.

Thorsten Denkler, Berlin

Es gibt Bratwurst und Nackensteak zu sozialverträglichen Preisen und auch Bier und Wein. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages wärmen die Gesichter der Genossen, die an diesem Abend ins Radialsystem an der Spree gekommen sind, einem Veranstaltungs- und Kulturzentrum im Osten Berlins. Die Hauptstadt-SPD feiert ihr Sommerfest. Sie hat Glück mit dem Wetter. Es ist warm genug, um nicht mit Mantel und Schal draußen sitzen zu müssen. Es könnte also alles gut sein. Wäre da nicht dieser eine Name: Thilo Sarrazin.

Wirbel um Paris-Flug von Wowereit mit der Flugbereitschaft

Klaus Wowereit ist in einem Dilemma: Er sagt selbst, er habe immer gut mit "Thilo" zusammengearbeitet. Er nennt Sarrazin wie einen guten Freund beim Vornamen. Aber er kann sich hier auch schlecht gegen die eigene Parteispitze stellen.

(Foto: ddp)

Sarrazin hat ein Buch geschrieben: Deutschland schafft sich ab. Darin vertritt er die Auffassung, dass zu viele erblich Dumme vor allem aus muslimischen Weltgegenden nach Deutschland gekommen seien und hier zu viele dumme Kinder zeugten. Die Intelligenz in diesem Land werde deshalb zurückgedrängt, glaubt Sarrazin. Ergo: Dumme sollen draußen bleiben.

Die SPD auf Bundes- und auf Berliner Landesebene hat deshalb beschlossen, den Noch-Bundesbanker Sarrazin aus der Partei zu werfen - und damit erhebliche Teile der eigenen Basis gegen sich aufgebracht. Die halten nämlich Sarrazins Thesen gar nicht für so abwegig oder zumindest nicht nur das Land sondern auch die Partei für frei genug, dass auch einer wie Sarrazin sagen kann, was er will.

Tausende Briefe sind im Willy-Brandt-Haus und im Berliner Kurt-Schumacher-Haus eingegangen. Überwiegend, so ist zu hören, halten es die Briefeschreiber für falsch, gleich ein Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin anzustrengen.

Von denen müssen einige auch hier auf dem Sommerfest sein. Denn als Landeschef Michael Müller, die Generalsekretärin der Bundespartei, Andrea Nahles, und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, zu erklären versuchen, warum Sarrazin in der Partei nichts mehr zu suchen haben soll, da ist der Applaus doch eher spärlich.

"Nicht im Namen der SPD"

Müller hatte vorher noch gesagt, er werde auf gar keinen Fall den Fall Sarrazin jetzt politisieren. Dafür gebe es Gremien. Mit anderen Worten: Die Entscheidung, das Parteiordnungsverfahren einzuleiten, ist gefallen. Jetzt ist besser Klappe halten angesagt.

Müller aber ist der Erste, der auf der Bühne gegen Sarrazin holzt. Vielleicht bricht es auch deswegen so aus ihm heraus, weil er gerade von einer Umfrage erfahren hat, die am nächsten Tag erscheinen soll: Die Grünen bei 28 Prozent in Berlin, SPD bei 24 Prozent. Und das ein Jahr vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus. Das kann schon mal nervös machen.

Es gehe nicht darum, eine Diskussion zu unterdrücken, sagt Müller. Aber "es gibt Dinge, die müssen wir als Sozialdemokraten nicht ertragen", sagt Müller mit lauter werdender Stimme. Sarrazin vertrete eben ein "grundsätzlich anderes Menschenbild" als die SPD, weil er von einer zementierten Ober- und Unterschicht ausgehe, die nicht veränderbar sei. Er wird noch lauter: "Das ist genau das, wogegen wir seit 147 Jahren kämpfen!" Einige wenige erheben die Hände zum müden Applaus.

Auch Andrea Nahles hat es schwer. Sie versucht die Stimmung für sich zu gewinnen, in dem sie erst mal Stimmung gegen die Nazis macht. "Berlin ist keine Stadt für Nazis, Deutschland ist kein Land für Nazis", ruft sie von der Bühne herunter, als sollte das auch eine Botschaft an Sarrazin sein. Der Applaus aber bleibt ein pflichtschuldiger.

Wowereit im Dilemma

Die Sonne ist inzwischen untergegangen. Nahles erklärt noch, dass sie als das "katholische Arbeitermädchen vom Lande" ohne sozialdemokratische Bildungspolitik jetzt wohl nicht auf dieser Bühne stünde. Genausowenig dürften Sozialdemokraten sich damit zufriedengeben, wenn junge und vermeintlich chancenlose Migranten in den Städten lebten. "Ihnen keine Chance geben, ist das allen Ernstes die Politik der SPD?", fragt sie und versucht kämpferisch zu klingen. Es klingt eher verzweifelt.

Und was ist mit der Meinungsfreiheit? Nahles: "Ich bin der Auffassung, das jeder Unsinn erzählen darf. Aber nicht jeder Unsinn darf im Namen der SPD verbreitet werden." Bleibt die Frage: Wer definiert, was Unsinn im Sinne der SPD ist?

Klaus Wowereit hat sich bisher zum Thema Sarrazin kaum und wenn nur spärlich geäußert. Ihm ist letztlich zu verdanken, dass Sarrazin trotz seiner vielen Verbalentgleisungen Finanzsenator von Berlin bleiben und sogar zum Vorstandsmitglied der Bundesbank aufsteigen durfte.

Wowereit und sein Freund Thilo

Er scheint zunächst auch hier nicht viel dazu sagen zu wollen, hält erst mal den Medien vor, dass diese das Thema so nach oben zögen und zeigt sich ganz allgemein "entsetzt" darüber, wie einige Menschen immer sofort sagen könnten, was 40 Jahre lang schiefgelaufen sei in der Integrationspolitik.

Aber er merkt wohl, dass seine Parteifreunde mehr von ihm erwarten. Wowereit ist in einem Dilemma: Er sagt selbst, er habe immer gut mit "Thilo" zusammengearbeitet. Er nennt Sarrazin wie einen guten Freund beim Vornamen. Aber er kann sich hier auch schlecht gegen die eigene Parteispitze stellen. Darum sagt Wowereit, als wolle er sich dafür entschuldigen, dass er Sarrazin zum Bundesbanker gemacht hat: "Ich konnte ja nicht ahnen, dass er sich so eine Ideologie zusammengezimmert hat."

Die Schuld, Sarrazin erst in eine Position gebracht zu haben, von der aus er öffentlichkeitswirksam seine "Ideologie" verbreiten kann, weist er von sich. Der Berufung Sarrazins in den Vorstand der Bundesbank hätten ja auch die Länder und die Bundesregierung zugestimmt. "Alle Nase fassen", witzelt er, "das haben wir kollektiv gemacht."

So einfach scheint es nicht zu sein. Zumindest nicht für die Wähler und die Mitglieder der SPD. Müller darauf angesprochen, ob es einen Impuls von der Basis gab, Sarrazin aus der Partei zu werfen, antwortet der: "Nein, das waren eher die Funktionäre. Die konnten das nicht mehr ertragen." Einer von der Basis sagt später: "Hoffentlich bekommen die das ordentlich hin mit dem Rauswurf. Wenn das schiefgeht, dann zerreißt es die Partei." Im Moment deutet wenig darauf hin, dass die Parteiführung es so ordentlich hinbekommt, wie der Mann sich das wünscht.

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