Sarrazin geht zur Bundesbank:Rechnen und abrechnen

Thilo Sarrazin hat als Finanzsenator in Berlin mit Leidenschaft den Haushalt saniert - seine markigen Sprüche sind legendär. Nun wechselt er zur Bundesbank.

Constanze von Bullion, Berlin

Sie haben ihn beschimpft und zum Teufel gewünscht, haben sich über seine Arroganz beschwert und über dieses Mundwerk, das gern mal kräftiger zubeißt. Nun ist also Schluss, Thilo Sarrazin beißt nicht mehr, und wieder ist der Jammer groß. Ach, sagen sie jetzt in Berlin, er wird uns fehlen, und dass diese Stadt so einen harten Hund doch braucht.

Sarrazin geht zur Bundesbank: "Da wurde ich etwas lauter": Als Thilo Sarrazin auf die Berliner Bürokratie traf, räumte er ersteinmal mit der "Sachbearbeiterherrschaft" auf.

"Da wurde ich etwas lauter": Als Thilo Sarrazin auf die Berliner Bürokratie traf, räumte er ersteinmal mit der "Sachbearbeiterherrschaft" auf.

(Foto: Foto: Regina Schmeken)

Senatsverwaltung für Finanzen in Berlin, ein preußisches Amtsgebäude an der Spree, das hier ist sozusagen der Geldschrank der Hauptstadt. Wer den Mann sucht, der ihn bewacht, den schickt die Pförtnerin "immer ruff", und da sitzt er dann unter den Dachbalken des Hauses, die Nase in Akten, die Füße in Strümpfen, ein feiner Herr in einer kargen Studierstube, zu der Sparschweine und solches Klimbim keinen Zutritt haben.

Thilo Sarrazin sagt, er arbeite gern hier, auch wenn das keiner mehr glaubt. Sieben Jahre war er Finanzsenator in Berlin, und weil dort nichts so wichtig ist wie Geld, ist Sarrazin der wichtigste Senator. Sein Name ist ein Synonym geworden für Verzicht und den Versuch, einen Schuldenberg von 59 Milliarden Euro abzutragen.

Geschafft ist das nicht, immerhin aber hat Berlin in den letzten zwei Jahren keine neuen Schulden mehr gemacht. Das verdankt es einem unerbittlichen Sparkurs - und Sarrazin, der den Zerberus spielt und jeden wegbeißt, der sein Geld verplempern will.

Jetzt hat er also genug, an diesem Dienstag wird Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit verkünden, dass Sarrazin in den Vorstand der Bundesbank soll. Dort wird am 1. Mai ein Posten frei, und weil Berlin und Brandenburg im Bundesrat einen Kandidaten vorschlagen dürfen, wird Sarrazin bald in Frankfurt sein.

Nachfolger dringend gesucht

Für Berlin ist das eine Zäsur und für Wowereit ein Problem, das er offenbar lange verdrängt hat. Monate ließ er den Senator zappeln, als der weg wollte, heißt es, jetzt soll hopplahopp ein Nachfolger her, jung und kantig, Sozialdemokrat und vorzugsweise aus dem Bund.

Weil ein Berliner Senator aber nicht mehr verdient als anderswo ein Staatssekretär, hat so einer nicht angebissen. Dann hat man Hubert Schulte ins Gespräch gebracht, er ist 57, leitet die Bremer Senatskanzlei, war mal Berliner Finanzstaatssekretär und gilt als netter Mensch, was vielleicht nicht die beste Voraussetzung ist für den Job. Nein, heißt es nun, vielleicht doch ein anderer, man will "in aller Ruhe" entscheiden.

Thilo Sarrazin ist an seinem Schreibtisch in irgendwelche Papiere voller Zahlen vertieft, er schreckt hoch, als die Tür aufgeht, schlüpft in die Schuhe, und weil das nicht gleich klappt, zerrt er etwas ungeduldig an den Dingern. Er wirkt auf den ersten Blick manchmal etwas streng, was auch daran liegt, dass eine Gesichtshälfte seit einer Operation am Ohr gelähmt ist.

Das rechte Auge will nicht mehr ganz aufgehen, das linke guckt dafür umso genauer hin. Je länger man ihn anschaut, desto fröhlicher wirkt er, befreit, er kann das nicht verbergen.

Sarrazin ist noch mal davongekommen, gerade rechtzeitig, denn jetzt frisst die Finanzkrise auf, was er so emsig in seinen Geldschrank geschleppt hat. Eine Milliarde Euro hat Berlin in seiner Amtszeit beim Landespersonal eingespart, der Sumpf bei der Bankgesellschaft ist trockengelegt, die Landesbetriebe schreiben schwarze Zahlen, und die Berliner haben begriffen, dass das schöne Leben auf anderer Leute Kosten vorbei ist. Sarrazin hat ihnen das eingebimst, unermüdlich, und weil er ein leidenschaftlicher Provokateur ist, hat er sie dabei auch gern mal beleidigt.

Mal empfahl er den Bedürftigen, dickere Pullis anzuziehen, statt über hohe Heizkosten zu jammern. Mal stellte er sein berühmtes Hartz-IV-Menü zusammen und behauptete, für vier Euro am Tag könne man prima gesund essen. Mal hat er sich über zu viele Trainingshosen auf Berliner Straßen mokiert, da stimmt doch was nicht mit der inneren Haltung, findet er. "Ist vielleicht nicht sehr taktvoll, vom empirischen Gehalt her aber richtig."

Es hat oft gekracht wegen solcher Sprüche, auch zwischen Sarrazin und Klaus Wowereit, der seinen Senator für einen unpolitischen Mann hält. Das stimmt auch, wenn man Politik als Parteipolitik versteht. Sarrazin ist nie heimisch geworden in den ideologischen Wärmestuben seiner Partei, der SPD, und er hält sich fern von ihrem Milieu, das ihm fremd ist.

Er ist der Sohn einer westpreußischen Gutsbesitzerstochter, die nach dem Krieg nach Recklinghausen kam, sie hatte zwei Brüder im Krieg verloren und den Vater in einem polnischen Lager. Wenn bei den Sarrazins von politischem Unrecht die Rede war, dann war es das der Kommunisten, nicht das der Nazis.

Christlich, gebildet, konservativ, sparsam, so muss man sich diese Lebenswelt vorstellen, eine "stockbürgerliche Familie", sagt Thilo Sarrazin. Sein Vater ist ein Arzt mit Neigung zum Dichten, die Mutter führte zu Hause ein Regiment, das eher von der preußischen Sorte war. Es setzte da schon mal Prügel, wenn Sohn Thilo die Bauklötze im Herd verbrannte, und weil er oft krank war und mickerte, schickten die Eltern ihn mit sieben in ein Kinderheim nach Bayern.

Er sollte da aufgepäppelt werden, hatte "entsetzliches Heimweh", und ist fast ertrunken, mutterseelenallein im Ammersee. Er hat diesen Augenblick nie vergessen, dass da keiner ist, der einen rausholt, nur man selbst.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum aus den Schulen Kritik an Sarrazin laut wird.

Rechnen und abrechnen

Sarrazin ist ins Erzählen gekommen, er kann das gut, und weil er sich selbst auch gern zuhört, lässt er sich nur ungern unterbrechen, wenig fragen, schwer lenken auf seinen Denkbahnen. Das haben sie auch in der Finanzverwaltung bald gemerkt, als er 2001 hier auftauchte. Ein Wesen von einem anderen Stern kam daher, ein intellektueller Managertyp, promovierter Volkswirt mit schnellem Rechner im Kopf, fachlich brillant, persönlich aber schwierig.

Thilo Sarrazin spd ddp

Trat 2002 das Amt des Berliner Finanzsenators an: Thilo Sarrazin

(Foto: Foto: ddp)

Sie haben also erst mal das getan, was sie hier immer getan haben und stapelten dem Neuen den Tisch mit Akten zu. Das war ein Symptom, fand er, nicht für den Fleiß der Beamten, sondern für die ganze ineffiziente Verwaltung des Landes. "Aktenvermerke, die so lang und so umständlich waren, dass man sie auch in anderthalb Stunden nicht bewältigen konnte", sagt Sarrazin.

"Vorlagen, die zu 80 Prozent gar nicht auf meiner Ebene zu entscheiden waren." Eine "verdeckte Sachbearbeiterherrschaft" hat er vorgefunden, bei der Beamte nur den Dienstweg abzeichneten und die Verantwortung dann zügig nach oben weiterreichten.

Als die Aktentürme seine Schultern erreichten, bestellte er einen Referatsleiter ein. Damals ging es um die Frage, ob Berlin den sozialen Wohnungsbau weiter fördern sollte, dort versickerten viele Millionen. Es erschien ein Beamter, Ende fünfzig, in nicht eben eleganter Kleidung.

Er hatte einen Stapel von Papieren mitgebracht, überall klebten gelbe Merkzettel, und so ähnlich strukturiert war wohl auch der mündliche Vortrag. "Da wurde ich etwas lauter." Fünf Seiten wollte Sarrazin, mehr nicht, mit allen relevanten Zahlen. Er hat den Papierstapel auf den Tisch geklatscht, und weil er "irgendwie schief" stand, rieselte ein Zettelregen auf den Boden. Sarrazin kichert jetzt vergnügt. "Der hat das Haus verlassen und sich dauerkrank gemeldet."

Die Leute wurden unruhig

Was er nicht erzählt, kann man sich dazudenken: Dass nicht der Senator, sondern der Referatsleiter auf dem Boden herumgekrochen und das Papier aufgesammelt haben dürfte. Solche Geschichten sprachen sich herum, Sarrazin wirft mit Akten, hieß es, stimmte gar nicht, sagt er.

Aber es schadete auch nichts, dass die Leute unruhig wurden. Wer etwas bewegen will in solchen Behörden, der darf nicht nett sein und muss "die Treppen von oben kehren", das ist Sarrazins Credo. Er hat also erst mal angefangen, Führungskräfte auszutauschen, ein Jahr später waren alle Leitungsposten neu ausgeschrieben und 30 Prozent Kosten eingespart.

Nun gab es aber nicht nur Erfolgsgeschichten in der Amtszeit des Thilo Sarrazin. Für die Schulen war dieser Kassenwart eine Katastrophe, sagt die Vorsitzende der Berliner Lehrergewerkschaft, Rose-Marie Seggelke, vieles sei da kaputtgespart worden.

Auch die Polizisten klagen, die Sozialarbeiter, die Jugendämter, die in Sarrazins Knauserei keinen Sinn erkennen. In den ersten Jahren reichte es vielleicht, als Garant der Haushaltssanierung aufzutreten, sagt die Fraktionschefin der Linkspartei im Abgeordnetenhaus, Carola Bluhm, aber jetzt fehlt ein inhaltliches Konzept, wo es hingeht.

Thilo Sarrazin kennt die Kritik und pariert sie immer gleich mit einem Gegenangriff. Die Kollegen wollen Geld, sagt er, das können sie haben, aber nur, wenn es vernünftig angelegt wird. Also guckt er sich ihre Pläne halt an und wirft auch mal einen Blick in ihre Verwaltungen. Was er da sieht, gefällt ihm nicht, er versucht das vorsichtig auszudrücken. "Es hat sich ja schon viel verbessert in Berlin, aber eben nicht genug. In weiten Bereichen der Verwaltung geht es nach wie vor etwas unstrukturiert zu. Es gibt da ganze Führungsebenen, die ihre Verantwortung nicht ausreichend wahrnehmen."

Managementkurs für Schulleiter

Die Schulverwaltung ist so eine Zone, die ihm wenig Freude bereitet. Sarrazin ist seit seiner Studentenzeit mit einer Grundschullehrerin verheiratet. Sie erzählt ihm oft, was in Berliner Schulen so los ist und dass es da fehlt, nicht nur bei der Leistung der Schüler. "Wir brauchen eine vernünftige Schulverwaltung, vernünftige Schulräte, vernünftige Schulleiter", sagt er. Gibt es die nicht? Schweigen.

"Die Schulleiter würde ich allesamt einem Managementkurs unterziehen." Wie wäre es denn mit etwas mehr Geld für die Bildung? Er winkt jetzt ab. "In das System können sie so viel Geld reinstecken, wie sie wollen. Da wird sich ohne grundlegend andere Ansätze nichts ändern. Und wenn sich nichts ändert, können wir doch gleich Geld sparen."

Ein paar Tage später, Hintergrundgespräch im Hause Sarrazin, an einem langen Tisch sitzen Journalisten und essen Brote, der Senator macht eine Flasche Pils auf, und dann geht es los. Das hier ist so eine Art Mathe-Nachhilfestunde, Zettel werden verteilt mit bunten Kurven und Linien.

Das eine sind Ausgaben des Landes Berlin, die sind in den letzten Jahren nach unten gesackt. Das andere sind die Steuereinnahmen, die sind gestiegen. Und jetzt kommt die Finanzkrise, und die Linien verknoten sich heillos ineinander.

Berlin muss jetzt neue Schulden aufnehmen, überall werden Konjunkturpakete geschnürt, gleichzeitig brechen die Steuereinnahmen weg, "kreuzgefährlich" findet Sarrazin das, und er bezweifelt, dass diese Maßnahmen irgendjemandem nutzen. "Ich bestehe nur noch aus Unbehagen", wird er noch sagen, bevor er seinen Mantel nimmt. Dann geht er, ohne sich umzudrehen, ein Herr, der es immer eilig hat.

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