Sarah Palin:Heilsbringerin auf Abwegen

Für die religiöse Rechte ist Sarah Palins Kandidatur ein Zeichen Gottes. Auch Palin selbst scheint an einen heiligen Krieg zu glauben.

Frances Fitzgerald

Als John McCain Sarah Palin zu seiner Kandidatin für die Vizepräsidentschaft erkoren hatte, waren die Führer der religiösen Rechten überglücklich. Tony Perkins, Präsident des Family Research Council, nannte die Entscheidung "brillant"; Richard Land, Sprecher der Southern Baptist Convention, der Palin im August McCains Wahlkampfteam vorgeschlagen hatte, erklärte, er sei "außer sich vor Freude"; und James Dobson, Gründer von Focus on the Family, meinte, es sei der glücklichste Tag für ihn seit der Amtseinführung von Ronald Reagan.

Sarah Palin: Sarah Palin begeistert die religiöse Rechte - ihre Anhänger betrachten Palins Vizekandidatur als Zeichen Gottes.

Sarah Palin begeistert die religiöse Rechte - ihre Anhänger betrachten Palins Vizekandidatur als Zeichen Gottes.

(Foto: Foto: AP)

Diese Männer hatten guten Grund zu jubeln. McCain schien endlich eingesehen zu haben, dass er sie braucht. Bei seinem Wahlsieg könnten sie nun für sich in Anspruch nehmen, die Stimmen der Evangelikalen mobilisiert zu haben, und sie könnten das Mitspracherecht einfordern, das ihnen von der Bush-Regierung zugestanden worden war.

Sarah Palin selbst war beinahe zu perfekt, um wahr zu sein. Egal, ob es um Fragen wie Abtreibung, Homo-Ehe, Sozialleistungen für unverheiratete Lebenspartner, Stammzellenforschung, sexuelle Enthaltsamkeit oder Kreationismus als Unterrichtsfach an öffentlichen Schulen ging - sie teilte bei all diesen Themen ihre Meinung. Palin tritt für das Recht auf Waffenbesitz und niedrige Steuern ein, und wie sie beim Parteikonvent der Republikaner gezeigt hatte, konnte sie auch das Feuer populistischer Ressentiments neu entfachen. "Sarah Palin ist die Antwort Gottes", war Dobsons Kommentar.

Palin begeistert die Frauen in den Gemeinden

Die Palin-Begeisterung der religiösen Rechten ist indes nicht frei von Widersprüchen. Vor acht Jahren hatte die Southern Baptist Convention unter Führung von Richard Land und anderen Konservativen erstmals öffentlich erklärt, Frauen kämen als Pastoren nicht in Betracht, und Ehefrauen hätten sich ihren Männern unterzuordnen. Viele Führer der religiösen Rechten hatten ohnehin jahrelang die Ansicht vertreten, berufstätige Frauen und eine zu lockere Kindererziehung seien ein Übel, das zum Verfall der amerikanischen Kultur geführt hat.

Aus unerfindlichen Gründen begeistert Palin die Frauen in den Gemeinden. "Die sind wie von Sinnen", sagt Land über die Frauen in seinem Büro. "Da spielt sich etwas ab unter unseren Schwestern in den evangelikalen Freikirchen, zu dem ich keinen Zugang habe, aber es ist da." Wie viele andere Frauen mühen sich diese "Schwestern" ab, ihre Kinder aufzuziehen und mit schlecht bezahlten Jobs finanziell über die Runden zu kommen. Sarah Palin, die Hockey-Mom, ist jemand, mit dem sie sich identifizieren können. Gleichzeitig erscheint sie ihnen wie die personifizierte Erfüllung ihrer Träume: Eine Schönheitskönigin, die an die Macht gekommen ist, weil sie sich korrupten Mitgliedern des männlichen Establishments mutig in den Weg gestellt hat. Hier war es also, das neue amerikanische Idol - und die Lösung eines Problems, von dem die Führer der religiösen Rechten bisher nicht einmal gewusst hatten, dass es existierte.

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Heilsbringerin auf Abwegen

Nach ihrer Kandidatur im Jahr 2002 für das Amt der Gouverneurin von Alaska besuchte Palin eine von ihr nicht näher benannte evangelikale Kirche. Auf Anfragen bezeichnet sie sich schlicht als "Christin" und weigert sich, öffentlich Stellung zu Glaubensfragen zu beziehen. Doch so viel ist bekannt: Drei Jahrzehnte lang besuchte sie die Gottesdienste der Assembly of God-Kirche in Wasilla; wenn sie sich in der Hauptstadt Alaskas aufhält, sucht sie das Juneau Christian Center auf; beide sind unabhängige Pfingstkirchen und eng mit der religiösen Rechten verbunden, ebenso wie Palins derzeitige Heimatkirche, die Wasilla Bible Church.

Diese Kirchen haben offensichtlich Palins Ansichten in sozialen Fragen geprägt, deshalb ist es gewiss legitim, nachzufragen, welchen Einfluss sie auf ihre außenpolitischen Ansichten haben. Schließlich halten alle drei Kirchen an der eschatologischen Lehre des so genannten Dispensationalismus fest. Anhänger dieser Lehre glauben, die Erde werde eines Tages durch eine Katastrophe gigantischen Ausmaßes untergehen. Dabei werden die Christen in einen Zustand der Verzückung geraten; Nichtgläubige aber werden vernichtet und Christus wird auf die Erde zurückkehren. Dispensationalisten erwarten sich von gegenwärtigen Ereignissen Zeichen, die das Herannahen der Endzeit ankündigen. Seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 - die Erfüllung einer biblischen Prophezeiung von der Rückkehr der Juden ins Heilige Land - sehen viele solche Anzeichen im Nahostkonflikt.

Ed Kalnins, seit 1999 Pastor der Assembly of God-Kirche in Wasilla, erzählte unlängst einem Reporter: "Die Heilige Schrift weist besonders auf Erdölkrisen als Zeichen für das Herannahen der Zeit der Verzückung und somit der Endzeit hin. Die Kriege ums Erdöl nehmen ständig zu und die Zeichen für die Erfüllung der Prophezeiungen folgen aufeinander in immer kürzeren Abständen." Larry Kroon, Pastor der Wasilla Bible Church, predigte vergangenen Juli, Gott werde vielleicht bereits diesen Herbst die Erde zerstören, indem er "ein neu erstarktes, reiches und mächtiges kommunistisches Russland wieder auferstehen lasse."

Gottes Plan vom heiligen Krieg

Das Juneau Christian Center, ebenfalls dispensionalistisch orientiert, beherbergte im vergangenen Jahr den christlich-zionistischen Pastor John Hagee. McCain musste dessen Unterstützung im Wahlkampf zurückweisen, weil dieser in einer Predigt behauptet hatte, Hitler sei ein Werkzeug Gottes gewesen, mit dem er die europäischen Juden zwingen wollte, nach Palästina zu übersiedeln.

Viele Anhänger der Pfingstkirchen glauben, allen irdischen Konflikten liege ein spiritueller Kampf zwischen göttlichen und satanischen Kräften zugrunde. Diese Kämpfe seien Teil des göttlichen Plans mit Blick auf die Endzeit. Kalnins predigte zum Beispiel: "Was Sie in einem Terroristen sehen, ist das, was wir den unsichtbaren Feind nennen. Das Geschehen im Irak offenbart im Diesseits einiges von dem, was im Jenseits vor sich geht." Er hat auch den Krieg gegen den Terrorismus einen "heiligen Krieg" zwischen Christenheit und Islam genannt.

Auch Palin scheint zu glauben, einen Krieg zu führen könne "heilig" sein. Als sie diesen Sommer neben Kalnins auf dem Podest stand, bat sie eine Besuchergruppe angehender junger Missionare, dafür zu beten, dass unsere "nationalen Führer die US-Soldaten zur Erfüllung eines Auftrages entsenden, der von Gott gewollt ist. Denn dafür sollten wir unbedingt beten: Dass es einen Plan gibt und dass dieser Gottes Plan ist."

Außerhalb der Kirche kann Palin internationale Konflikte vielleicht ganz realistisch einschätzen. Doch bisher hat sie viel mehr Zeit in der Kirche zugebracht als beim Studium der Außenpolitik. Und die Denkmuster, die diese Kirchen ihren Gläubigen einimpfen, haben wenig mit Diplomatie und Friedenspolitik zu tun. "Als Gläubige müssen wir einen Instinkt dafür entwickeln, dass wir uns im Krieg befinden und dass der Krieg gegen den Terrorismus ein Krieg um unseren Glauben ist", schloss Kalnins. "Ich meine sogar, Jesus selbst hat sein Wirken auf Erden als eine Art Krieg gegen das Böse verstanden."

Die Autorin ist Publizistin, National-Book-Award- und Pulitzerpreisträgerin. Deutsch von Eva Christine Koppold

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