SanktionenWir können euch das Leben schwer machen

Lesezeit: 4 Min.

Das Ziel sind Putins Machtzirkel und dessen Finanzströme: die Zentrale der Bank Rossija in Sankt Petersburg.
Das Ziel sind Putins Machtzirkel und dessen Finanzströme: die Zentrale der Bank Rossija in Sankt Petersburg. (Foto: Olga Matseva/AFP)

Die Sanktionen der USA und der EU gegen Russland richten sich vor allem gegen den Bankensektor. Das Potenzial an Strafaktionen ist dabei noch nicht ausgeschöpft.

Von Matthias Kolb, Brüssel, und Paul-Anton Krüger, Berlin, Berlin/Brüssel

Der Zeitplan ist ambitioniert, aber die Europäische Union will ihre Entschlossenheit und Einheit beweisen. Nachdem die 27 Außenminister am Dienstagabend in Paris das neue Sanktionspaket gegen Russland politisch abgesegnet hatten, verbrachten Experten und Juristinnen die Nacht damit, alles rechtlich einwandfrei zu formulieren. Über die Entwürfe berieten am Vormittag in Brüssel die EU-Botschafter. Weil bis 15 Uhr kein Mitgliedstaat formell Einspruch erhob, konnte die Veröffentlichung der Sanktionen im Amtsblatt vorbereitet werden. Das Ziel: Zwei Tage, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin die selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk anerkannt hatte, treten die Strafen in Kraft.

Die EU hat längst noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, Exportverbote von Hochtechnologie oder der mögliche Ausschluss Russlands aus dem Zahlungssystem Swift etwa fehlen. Dennoch seien die Strafen "schmerzhaft", wie Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian am Mittwoch in Berlin sagte. So dürfen etwa die russischen Banken VEB.RF, Bank Rossija und Promsvyzabank keine Geschäfte mehr in der EU treiben. Dabei gilt die Bank Rossija nicht nur als eine Art "Privatbank" für Russlands Spitzenpolitiker, sondern sie habe auch Filialen auf der Krim eröffnet, heißt es in dem Sanktionsentwurf, den die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte. Die staatliche Promswjasbank liefere "finanzielle Unterstützung für den russischen Verteidigungssektor und das Militär", zudem erhalte sie direkte Anweisungen von Putin.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.

Die Aktionen gegen die Finanzinstitutionen zeigen, wie eng die Absprache der Europäer mit Amerikanern und Briten ist. Am Dienstag hatte Washington ebenfalls VEB.RF und Promswjasbank vom US-Markt ausgeschlossen. Dabei machte ein hoher US-Regierungsvertreter deutlich, dass man in dieser Sanktionsrunde nur anhand "zweier sehr bedeutender russischer Finanzinstitute, die enge Verbindungen zum Kreml und zum russischen Militär haben" demonstriere, was dem großen Rest des russischen Bankensektors blühen könnte.

Die Botschaft: Kein russisches Geldhaus sei sicher, wenn die Invasion in die Ukraine voranschreite. Konkret sagte der Vertreter der Regierung von US-Präsident Joe Biden: "Wir sind bereit, einen Knopf zu drücken, um weitere Maßnahmen gegen die größten russischen Finanzinstitute zu ergreifen, darunter Sperbank und VTB, die zusammen fast 750 Milliarden US-Dollar an Vermögenswerten halten" - oder mehr als die Hälfte der Gesamtsumme in Russland insgesamt.

Die US-Regierung geht davon aus, dass die Maßnahmen wirken werden

Härter ist bereits das Vorgehen gegen russische Staatsanleihen. Faktisch wird es der Zentralbank in Moskau ebenso wie dem Staatsfonds und anderen staatlichen Stellen unmöglich gemacht, auf den Finanzmärkten in den USA oder Europa neues Kapital aufzunehmen. Verboten wird sowohl der Kauf neuer Anleihen (Primärmarkt) als auch der Handel mit solchen, die nach dem Inkrafttreten der Sanktionen ausgeben wurden (Sekundärmarkt). Eine weitere Eskalationsstufe wäre das komplette Verbot des Sekundärmarkts, das würde aber technisch komplizierte und teure Entschädigungen für Inhaber solcher Papiere nach sich ziehen.

Die US-Regierung verweist darauf, dass bereits die Aussicht auf eine Verschlechterung der Lage und die Sanktionen Wirkung zeigen würden. So sei etwa der russische Aktienmarkt seit November um mehr als 30 Prozent gefallen, und der Rubel habe zehn Prozent eines Außenwerts eingebüßt. Allerdings hält Russland auch Währungsreserven von 630 Milliarden Dollar. Die Bedeutung der Finanzsanktionen hebt seit Tagen auch Kommissionschefin Ursula von der Leyen hervor: "Wir wollen es dem Kreml so schwer wie irgend möglich machen, seine aggressive Politik zu finanzieren."

Putins Verteidigungsminister wird gelistet

Auf der Sanktionsliste landen jene 351 Abgeordneten des russischen Parlaments, die der Anerkennung zugestimmt haben. Zudem verhängen die Europäer Strafen gegen 23 Personen, die nicht mehr in die EU einreisen dürfen; ihre Konten, sofern vorhanden, werden gesperrt. Sergej Schoigu ist der Prominenteste unter ihnen, der 66-Jährige gilt als engster Vertrauter Putins und macht mit diesem sogar Urlaub. Als Verteidigungsminister ist er "letztlich für jede Militäraktion gegen die Ukraine verantwortlich", heißt es in der Begründung.

Auch bestraft die EU die Oberbefehlshaber der Marine, der Landstreitkräfte, der Luftwaffe sowie der Weltraumkräfte der russischen Armee; sie bedrohten "die territoriale Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine". Sanktionen gibt es auch gegen Anton Waino, Leiter der Präsidialverwaltung, sowie Vizepremier Marat Chusnullin - dieser sei "verantwortlich für die Regierungspolitik auf der besetzten Krim".

Putins engsten Machtzirkel greift die EU nicht nur durch die Listung Schoigus an. Betroffen ist auch der Geschäftsmann Jewgenij Prigoschin, der "Gründer und inoffizieller Chef der Wagner-Gruppe", die ihre Söldner in der Ukraine stationiert habe. Weil Wagner-Kämpfer nach Überzeugung der EU auch in Libyen aktiv sind, hatte sie Prigoschin, oft "Putins Koch" genannt, bereits im Herbst 2020 sanktioniert. Nun trifft es auch Prigoschins Ehefrau Ljubow sowie dessen Mutter Violetta, da beide von den Aktivitäten profitieren. Die Botschaft an die Oligarchen: Wir können euch das Leben schwer machen.

Wie ernst die EU die Desinformationskampagnen des Kreml nimmt, zeigen drei Namen auf der Liste: Künftig darf Margarita Simonjan, die als Chefredakteurin des englischsprachigen Senders RT nach eigenen Angaben einen Informationskrieg "gegen die gesamte westliche Welt" führt, ebenso wenig in die EU einreisen wie Maria Sacharowa. Die Sprecherin des russischen Außenminsteriums habe als "zentrale Figur der Regierungspropaganda" für die Stationierung russischer Truppen in der Ukraine geworben. Auf der Liste gelandet ist auch Wladimir Solowjow, der Star-Moderator des Staatsfernsehens, den die EU als "Propagandisten" bezeichnet und eine "extrem feindselige Haltung" gegenüber der Ukraine attestiert.

In Großbritannien hagelt es unterdessen Kritik an den Sanktionen der Londoner Regierung. Premier Boris Johnson hatte am Dienstag angekündigt, Strafen gegen fünf russische Geldhäuser, darunter die Promswjasbank, und drei reiche russische Staatsbürger zu verhängen. Die Oligarchen gelten als Vertraute von Putin. Während Johnson von einem "drakonischen Sanktionspaket" spricht, halten die Opposition sowie vereinzelte konservative Abgeordnete die Maßnahmen für viel zu lasch. Am Mittwoch kündigte der Premier an, der Ukraine mit einem Unterstützungspaket sowie weiteren Waffenlieferungen helfen zu wollen.

© SZ/jsl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Russische Truppen in der Ukraine
:Wie konnte es so weit kommen?

Schon seit Jahren wettert Wladimir Putin gegen eine Osterweiterung der Nato. Warum kommt es genau jetzt zur Eskalation? Über eine Geschichte der Entfremdung.

SZ PlusVon Frank Nienhuysen

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: