Salzhemmendorf:Salzhemmendorf will kein Nazi-Dorf sein

Prozess startet nach Brandanschlag in Salzhemmendorf

Auch wenn wieder Ruhe ist in Salzhemmendorf - Spuren sind geblieben. Die Opfer des Brandanschlages können nicht mehr schlafen.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
  • In Hannover beginnt der Prozess gegen drei Personen, die im August 2015 einen Molotowcocktail in eine von Asylsuchenden bewohnte Unterkunft in Salzhemmendorf geworfen haben sollen.
  • Die Justiz muss entscheiden, ob dies eine gezielte Attacke auf die in dem Haus schlafenden Menschen war.
  • In Salzhemmendorf sind viele Menschen bemüht, sich und ihren Ort als nicht fremdenfeindlich zu präsentieren.

Von Peter Burghardt, Salzhemmendorf

Nun steht die Mutter aus Simbabwe bald vor den jungen Deutschen, die sie und ihre drei Kinder offenbar umbringen wollten. An diesem Mittwoch beginnt am Landgericht Hannover der Prozess gegen zwei Männer und eine Frau, denen der Anschlag vom 28. August 2015 auf eine Flüchtlingsunterkunft in Salzhemmendorf zur Last gelegt wird. Das Trio ist wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung angeklagt - die 34-jährige Afrikanerin wird vor der Großen Strafkammer als Zeugin und Geschädigte aussagen. "Der Vorwurf entspricht den Tatsachen", sagt ihr Anwalt Sebastian Piontek. "Es war sehr viel Glück für die Hausbewohner und meine Mandantin, dass es nicht zu mehr gekommen ist."

In jener Sommernacht fuhren die Beschuldigten laut den Ermittlungen zu einem vornehmlich von Asylbewerbern bewohnten Gebäude am Ortsrand. Saskia B., 24, steuerte demnach das Auto. Um zwei Uhr morgens sollen Dennis L., 31, und Sascha D., 25, einen selbstgebastelten Molotowcocktail durch das Fenster einer Erdgeschosswohnung geworfen haben. Sie trafen das Kinderzimmer der Immigranten aus Simbabwe. Es war wohl Zufall, dass sie diesmal im Nebenzimmer schliefen und dass der Brandsatz nur Teile des PVC-Bodens verschmorte und heftigen Rauch entwickelte. Es war jedenfalls der Moment, als das Leben von Zuwanderern noch weiter aus den Fugen geriet und ein niedersächsischer Flecken in die Weltnachrichten.

Das Besondere an diesem Anschlag: Man hat die mutmaßlichen Täter gefasst

Die Staatsanwaltschaft erkennt "fremdenfeindliche Gesinnung". Der Fall Salzhemmendorf wurde zum Lehrstück. 1005 Angriffe gegen Flüchtlingsheime hat das Bundeskriminalamt 2015 registriert, 901 davon mit einem eindeutig rechtsradikalen Hintergrund. Das Attentat von Salzhemmendorf war nur eines davon, doch es richtete sich als eines der Ersten direkt gegen Menschen. Und diejenigen, die als Täter gelten, wurden sofort gefunden. Sie sind geständig, ganz anders als in den meisten ungeklärten Fällen. Sie kommen mitten aus der Gesellschaft einer als friedlich geltenden Gemeinde in Deutschlands Westen.

Salzhemmendorf, 9350 Einwohner, strukturschwach im Weserbergland zwischen Hameln und Hildesheim gelegen. "Niemand hätte damit gerechnet", sagt noch heute der Bürgermeister Clemens Pommerening, er sitzt im Rathaus. "Für mich ist das alles nicht nachvollziehbar." Dies sei in keiner Weise mit Heidenau zu vergleichen. "Das sind ja nicht die typischen Rechtsradikalen, die Glatzköpfe in Springerstiefeln." Aber wer sind heutzutage die typischen Rechtsradikalen? Wie weit muss es kommen, dass drei junge Leute beschließen, ein Gebäude mit ausländischen Bewohnern anzuzünden?

Wegen Hitlergruß vorbestraft

Es gebe keine rechte Szene im Landkreis, hieß es erst. Das wurde schnell relativiert, als SZ, NDR und WDR recherchierten. In der Umgebung gibt es durchaus rechte Kreise, und die Suche unter anderem in sozialen Netzwerken ergab, dass die Angeklagten zum Beispiel rechtsextreme Bands mochten und einer von ihnen wegen eines Hitlergrußes vorbestraft ist. In einer Garage hätten sie vor dem Terrorakt Rechtsrock gehört, sich schwer betrunken und eine Flasche mit Holzspänen und Benzin gefüllt. Es wäre dann eine gezielte Attacke gewesen, Details muss die Justiz klären.

Obendrein war einer der mutmaßlichen Brandstifter, Sascha D., bei der Freiwilligen Feuerwehr und half danach sogar beim Löschen. Inzwischen ist er ausgetreten und auch der vormalige Jugendwart, der in seinem Facebook-Profil bei der NPD "gefällt mir" angeklickt hatte, was natürlich nicht strafbar ist, aber auffällig. Der andere mutmaßliche Brandstifter, Dennis L. äußerte sein Bedauern für das, was er getan habe, seine Mutter ihre Verzweiflung.

Demo gegen Fremdenhass - doch Spuren sind geblieben

Alles liegt so nah beisammen und wirkt doch so verworren, das macht die Geschichte übersichtlich und diffus zugleich. Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stefan Weil eilte an den Tatort und sprach den sehr deutlichen Satz: "Das hier war versuchter Mord, um die Dinge klar beim Namen zu nennen." Es kamen auch eine Menge Journalisten, und eine neonazistische Gruppe aus der Region verteilte rassistische Flugblätter. Noch am Abend gab es eine große Demo gegen Fremdenhass.

Daran will der Bürgermeister Clemens Pommerening erinnern, ein großer, freundlicher, jugendlicher Mann. An die Gegenwehr. Es geht um den Ruf seiner ruhigen Stadt. Der Sturm sei vorbeigezogen, meint er, "ist alles gut ausgegangen." Eine Welle der Hilfsbereitschaft habe es danach gegeben für die derzeit ungefähr 100 Syrer, Afghanen oder Iraker von Salzhemmendorf. Die meisten von ihnen kommen aus der neuen Erstaufnahme in einer früheren Kaserne der Briten in Hameln. Pommerening schwärmt von Spenden, Integrationslotsen und Flüchtlingsbüro. Er erzählt von Kindern in Schulen und ersten Jobs für die Schutzsuchenden - "das läuft hier vorbildlich". Das eingesetzte Geld sei ja nicht verloren, und man brauche Zuwachs. Andererseits dürfe man den Bogen nicht überspannen und müsse wachsam sein, "wir halten die Augen offen."

Spuren sind geblieben, obwohl auf den ersten Blick nichts zu sehen ist. Der Oberbrandmeister Thomas Hölscher klagt am Telefon darüber, wie unfair die Medien die Freiwillige Feuerwehr behandelt hätten; der Verdächtige Sascha D. war da wie gesagt Mitglied. Man könne "den Kameraden nur vor die Stirn kucken", sagt er. Man müsse "gedanklich mal einen Schlussstrich ziehen", findet Hölscher, wobei drei Kameraden in Hannover als Zeugen vor Gericht geladen seien. "Ich hoffe, dass wir solche Einsätze nicht wieder kriegen."

Die angegriffene Frau kann nicht mehr schlafen, heißt es

Im Erdgeschoss des ockergelben Flüchtlingsbaus sitzen an einem nasskalten Abend drei Männer von der Elfenbeinküste. Sie waren nach einer Odyssee durch Afrika und über das Mittelmeer gerade zwei Wochen zuvor in Salzhemmendorf angekommen, als es neben ihnen brannte. Einer von ihnen erzählt, er habe das Feuer im Schlaf gar nicht mitbekommen und anschließend große Angst gehabt, als da plötzlich die Polizei und die Reporter Fragen stellten. Auch habe sich ein plötzlich angereister Anwalt Kunden sichern wollen. Jetzt sei wieder alles in Ordnung. Der Ivorer hat Lesen und Schreiben gelernt, arbeitet auf dem Bau und träumt davon, Lkw-Fahrer zu werden. Sein Asylantrag läuft, Freiwillige lernen mit ihm Deutsch. An der Wand stehen Sprachübungen wie diese: "Hast du Angst?" - "Ich habe keine Angst." - "Ich habe Angst vor dem Tod."

Von der angegriffenen Frau aus Simbabwe heißt es, sie habe nach der Schreckensnacht kaum mehr schlafen können. In Salzhemmendorf blieb sie fürs Erste und zog mit ihren Kindern aus der attackierten Wohnung in ein Dachgeschoss. Sie sei traumatisiert und in Behandlung, sagt ihr Anwalt Piontek kurz vor dem Prozess. "Es geht ihr im Augenblick nicht gut."

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