Süddeutsche Zeitung

Italien:Salvini stürzt über seinen Übermut

Der Lega-Chef glaubte, sich alles leisten zu können, nun stellt sich das Parlament quer. Ein Glück für Italien.

Kommentar von Oliver Meiler, Rom

445 Tage - so lange dauerte die 65. Regierung in der Geschichte der italienischen Republik. Für römische Verhältnisse ist das kein schlechter Wert: Er liegt ungefähr im Durchschnitt.

Allerdings hinterlässt das Experiment mit dem rein populistischen Kabinett aus rechter Lega und Cinque Stelle überdurchschnittlich tiefe Furchen in der Gesellschaft. Italien ist gespalten und vollgepumpt mit Ressentiments, von denen viele Italiener davor gar nicht gewusst hatten, dass sie in ihnen schlummerten.

Geweckt und befeuert hat sie Matteo Salvini, der Chef der Lega und De-facto-Premier. Er nutzte seinen Posten als Innenminister dafür, den Italienern Angst zu machen, alles zu dramatisieren, um sich dann als Retter in der Not zu gerieren. Als Hafenwart gegen die Migranten, als Sheriff in Uniform, als Behüter der Selbstgerechten. An Lösungen war Salvini wenig gelegen, nur am billigen Applaus. Und davon erhielt er unerhört viel.

Salvini küsste auch gerne den Rosenkranz

Seine Popularität wuchs exponentiell, mit jedem Auftritt etwas mehr. Seine Shows auf den Piazze und den Stränden des Landes verkamen zu Selbstbeweihräucherungen. Salvini küsste immer auch gerne den Rosenkranz, um seine Figur um eine verquere spirituelle Dimension anzureichern.

Die tollen Umfragewerte und die vielen Likes in den sozialen Netzwerken stiegen ihm zusehends in den Kopf - so sehr, dass er glaubte, er dürfe alles. Salvinis Sehnen nach "allen Vollmachten", um ohne "Sträflingskugel" regieren zu können, wie er es nannte, klang schon unheilvoll nach einem Abdriften in die Halbdemokratie. Nach dem Ungarn Viktor Orbáns, diese Kategorie.

Nun stürzt Salvini über seinen Übermut, zurückgebunden vom Parlament der Republik, für das er nur begrenzte Achtung übrig hatte. Wenn es ihn anhören wollte, schwänzte er. Als es im Urlaub war, zwang er ihm eine Rückkehr auf in der Hoffnung, so baldige Neuwahlen durchzusetzen. Allein für sein Wohl, für seine Macht. Wie es aussieht, misslingt der Coup gründlich. Ein Glück für Italien.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4569441
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.08.2019/fie
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.