Sachsen:Schuld sind immer die anderen

Der Die-da-ismus nach der Randale in Bautzen bringt niemanden weiter. Es braucht den Mut, differenziert zu diskutieren, was schief gelaufen ist - und wie es besser werden kann.

Kommentar von Cornelius Pollmer

Wer trägt Schuld an der Randale in Bautzen? Ganz einfach: die da oben, die da drüben und die da unten. Die da oben tragen Schuld, weil sie zwar die Geflüchteten ins Land geholt haben, sich jetzt aber nicht ernsthaft genug um deren Integration bemühen. Die da drüben tragen Schuld, weil sie aus ihren Städten alle verjagen, die von anderswo kommen, um sich dann darüber zu beschweren, dass nichts los ist. Und die da unten tragen Schuld, weil sie den Staat, der ihnen Obdach gibt, auch noch provozieren und beschimpfen.

So stellen sich die Dinge dar, je nach Perspektive, und auf exakt dieses Fingerzeigen reduziert sich die Debattenqualität nach öffentlichen Unruhen wie jenen in Bautzen. Der jeweilige Schauplatz wird dann per Ferndiagnose zum Nazikaff, die Antwort darauf ist Enttäuschung und in der Regel noch mehr Wut. Journalisten ist es in diesem ermüdenden Spiel sogar möglich, mit ein und demselben Text den Linken als Verharmloser in Erscheinung zu treten und den Rechten als pauschalisierender Voll-Heini von der Mainstream-Presse.

Bautzen fügt diesem Muster insofern noch etwas hinzu, als dieses Mal Gewalt wohl auch initiativ von Asylbewerbern ausgegangen ist. Da darf der Asylgegner jubeln: Endlich haben die mal angefangen! Noch eine Gruppe mehr also, auf die man mit dem Finger zeigen kann. Und, ach so, die Bundeskanzlerin trägt ja sowieso immer Schuld.

Nur steht zu befürchten: Kein einziger Rechtsradikaler lässt sich mit dem Zeigefinger missionieren. Kein Geflüchteter fühlt sich so sicherer oder besser integriert. Kein lokaler Verantwortungsträger wird durch den Die-da-ismus motiviert, offen und differenziert über Erfolge, aber auch Probleme am Ort zu sprechen.

Was ist falsch gelaufen? Wie wird es besser? Und wie kommt man dahin?

Die Frage nach Bautzen ist nicht, ob es im Osten Deutschlands Regionen gibt, in denen enthemmte Rüpel-Sachsen und deren Fremdenhass ein signifikantes Problem darstellen (gibt es). Die Frage nach Bautzen ist nicht, ob die Ossis nicht vielleicht doch alle Nazis sind (sind sie bei Weitem nicht). Und die Frage nach Bautzen ist für die Öffentlichkeit nicht zwingend, wer wie viel Prozent der Schuld trägt an Körperverletzungen und öffentlicher Unordnung. Die Fragen sollten vielmehr sein: Was ist falsch gelaufen? Wie wird es besser? Und wie kommt man dahin?

Zusammengekommen ist in Bautzen eine bestens organisierte rechte Szene mit verhaltensauffälligen Asylbewerbern. Zusammengekommen sind Frust, Alkohol und Langeweile - und zwar auf beiden Seiten. Diese haben sich dann leider nicht über diese traurigen Gemeinsamkeiten gefunden, sondern gerieten über das sie Trennende aneinander.

Besser wird es überhaupt nicht, solange alle Beteiligten jene Hilflosigkeit eint, mit der sie nach der Verantwortung bei anderen suchen. Die Kultur des Fingerzeigens aber trägt genau dazu bei. Besser könnte es deswegen nur dann einmal werden, wenn sich zunächst Kultur und Sprache verändern, mit der die Öffentlichkeit Vorfälle wie in Bautzen verhandelt.

Wenn diese Öffentlichkeit sich nicht damit begnügt, Menschen nach dem Verfahren Töpfchen & Kröpfchen zu sortieren. Wenn sie bei der bloßen Identifizierung von strukturellen Problemen wie Rassismus nicht stoppt, sondern sich ernsthafte Gedanken um deren Behandlung macht. Wenn sie bereit ist, differenziert zu diskutieren. Das hieße nicht, vor Gewalttätern und Brüllköpfen gleich welcher Herkunft einzuknicken. Es hieße sehr wohl, den öffentlichen Raum in einer Weise zu verteidigen, die den selbstformulierten Ansprüchen an diesen erst gerecht wird.

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